Abschiebung droht: Kitzinger Modefirma kämpft um Flüchtling

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Silke Schulz, bei Drykorn in Kitzingen zuständig fürs Personal, betreut auch Mori an seinem Arbeitsplatz. Der junge Afghane näht seit einem Jahr für das Modeunternehmen ...
Foto: Traudl Baumeister

Ein junger Afghane arbeitet als Schneider und ist bestens integriert. Nun soll er in ein Land abgeschoben werden, das er nicht einmal kennt. Seine Kollegen protestieren.

Mori* hat Angst vor dem 27. Juni. Panische Angst. An diesem Tag droht dem 23-Jährigen die Abschiebung nach Afghanistan. Im Flugzeug nach Kabul zu sitzen, die Vorstellung ist für Mori so schlimm, dass er sie in keinem Fall erleben will.

Um ihn verstehen zu können, hilft ein Blick zurück: Mori war noch nie in seinem Heimatland. Geboren wurde er 1994 im Iran. Seine nach wie vor dort lebenden Eltern und er gehören der in Afghanistan teilweise unterdrückten und verfolgten schiitischen Minderheit der Hazara an. Die Eltern flohen 1993 ins Nachbarland. Als illegale Flüchtlinge ohne Aufenthaltstitel haben sie keine Papiere, folglich hat auch ihr Sohn keinen Pass. Vor den Schikanen gegen Illegale im Iran flieht Mori, am 15. Juli 2015 kommt er in Deutschland an.

Eigene Wohnung und Steuererklärung

Seit einem Jahr arbeitet er 40 Stunden in der Woche als Schneider bei der Modefirma Drykorn in Kitzingen. In den vergangenen Wochen erledigte er gerade seine Steuererklärung, hofft auf eine kleine Rückzahlung. Mori zahlt Krankenversicherung und hat eine kleine Wohnung, die er selbst finanziert. Und er spricht recht gut Deutsch. Ganz ohne offiziellen Kurs. „Die Kollegen sind einfach toll. Sie üben während der Arbeit fleißig mit Mori“, sagt Silke Schulz, zuständig fürs Personal (140 Mitarbeiter) in der Kitzinger Drykorn-Niederlassung.

Unterstützung vom Geschäftsführer

Einen Sprachkurs hat Mori nie bekommen. Sein Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) wurde im September 2016 erstmals abgelehnt. Am 13. April 2017 wurde Moris Widerspruch vor dem Verwaltungsgericht verhandelt. Im Mai 2017 erhielt er den endgültigen Ablehnungsbescheid.

„Das ist auch völlig in Ordnung so“, sagt Gerrit Voss, der kaufmännische Geschäftsführer von Drykorn in Kitzingen. Der Richter, argumentiert Voss, müsse sich an das derzeit geltende Recht halten. Demnach gebe es wohl keine rechtlich haltbaren Gründe, Mori in Deutschland Asyl zu gewähren und ihn hier als Flüchtling anzuerkennen. Schließlich drohe ihm, dem Afghanen, in seiner Heimat nachweislich bisher keine Verfolgung, keine Folter, keine Todesgefahr. Er war ja, wie gesagt, noch nie dort.

Bestens integriert

Asyl zu gewähren, fährt Voss fort, brauche man nicht. Genauso allerdings wie es keinen Asylgrund gebe, gebe es auch keinen Grund, seinen Mitarbeiter abzuschieben. „Er finanziert sich selbst, fügt sich ins deutsche Arbeitsleben problemlos ein und wird gebraucht. Warum also sollte man ihn wegschicken? Es gibt keinen vernünftigen Grund.“ Voss stellt dem Afghanen ein sehr gutes Zeugnis aus. „Hätten wir ein Einwanderungsgesetz und man müsste für eine Arbeitserlaubnis beispielsweise 80 Punkte erreichen, dann hätte er die heute schon längst erreicht“, sagt Voss. Alles, was Mori bräuchte, um im September eine dreijährige Ausbildung bei Drykorn beginnen zu können, sei ein Aufenthaltstitel. Beispielsweise eine Duldung nach der im Integrationsgesetz enthaltenen sogenannten Drei-plus-zwei-Regel (drei Jahre Ausbildung plus zwei Jahre Arbeiten). Alles andere sei wirtschaftlich sinnlos und menschlich inakzeptabel. „Wir schaden uns damit selbst und verbauen ihm eine Chance. Mit welcher Begründung?“, fragt der Chef des mittelständischen, weltweit agierenden Modeunternehmens.

Schulz hat viel Zeit in Mori investiert, viel telefoniert und viele Wege für und mit ihm zurückgelegt. „Ich habe eine ganze Liste an Ansprechpartnern für die unterschiedlichsten Belange“, sagt die Personalleiterin. Im Zweigunternehmen in Baden-Württemberg mache man ebenfalls Erfahrungen mit der Beschäftigung eines Geflüchteten, erzählt sie. Die Kollegen dort könnten alles Nötige mit einem Amt regeln. Der Betroffene dort habe längst die Genehmigung für die Lehre und die zwei Jahre Arbeiten im Anschluss.

Härtefallkommission entscheidet

Auf die hofft auch Mori, und mit ihm hoffen Margarete und Alfred Hemmerich aus Reichenberg (Lkr. Würzburg). Das Ehepaar hat den jungen Flüchtling im Mai 2016 durch einen Zufall kennengelernt und sich seiner angenommen. Fast jedes Wochenende verbringt der Afghane in Reichenberg, gehört fast schon zur Familie. „Wir sind für ihn quasi seine deutsche Mama und sein deutscher Papa“, sagen sie.

Auch die Hemmerichs versuchen, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um Mori eine Chance und eine Lebensperspektive zu geben. Sie haben Landtagspräsidentin Barbara Stamm und Staatssekretär Gerhard Eck eingeschaltet und hoffen auf eine positive Entscheidung in der Härtefallkommission. Ebenso wie Moris Betrieb. „Wir haben“, sagt Drykorn- Geschäftsführer Voss, „quasi so etwas wie eine Patenschaft für ihn übernommen“ – auch, weil die Zusammenarbeit bereits ein Jahr sehr gut funktioniere. Für ihn gehört zu verantwortungsvollem und nachhaltigem Wirtschaften, das von Unternehmen gefordert werde, auch humanitäres Handeln dazu. Und Vernunft. Einen deutschen Auszubildenden zu finden, der gleichermaßen begeistert und geeignet für diese Arbeit sei, so Voss, sei nahezu aussichtslos.

Auch Barbara Stamm beobachtet den Fall

Am Montag, 27. Juni, läuft Moris Aufenthaltsverlängerung ab. Seine Akte liegt bereits bei der zentralen Ausländerbehörde in Schweinfurt, das für die Abschiebung zuständig ist. Für Mori eine Horrorvorstellung, die dazu führt, dass er sich mit Suizidgedanken trägt. Eine Entscheidung der Härtefallkommission steht noch aus. Landtagspräsidentin Barbara Stamm sagt auf Anfrage: „Die Bundesregierung hat sich am 1.

Juni 2017 mit den Regierungschefs der Länder angesichts des jüngsten Anschlags in Kabul darauf geeinigt, die Sicherheitslage in Afghanistan durch den Bund bis Juli 2017 neu zu beurteilen. Bis dahin werden die Abschiebungen weitestgehend – bis auf Sonderfälle, wie Straftäter oder sogenannte Gefährder – ausgesetzt.“ Stamm werde den Fall persönlich nachhaltig im Auge behalten.

Doch die Lage für Mori spitzt sich zu. Die Abschiebung droht. Möglicherweise schon am 27. Juni.

* Der volle Namen des jungen Mannes ist der Redaktion bekannt. Aus für uns nachvollziehbaren persönlichen Gründen bat er darum, nur den Spitznamen zu benutzen, den ihm seine Arbeitskollegen gaben. Wir sind seiner Bitte gefolgt.