Wenn Drogen durch die Krise helfen sollen

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Günther Feiler und Katja Leonhard müssen sich immer besser organisieren, denn die Suchtberatung der Caritas kämpft gegen ein wachsendes Problem an. Sucht ist mittlerweile in jedem Dorf, in jeder Gesellschaftsschicht präsent, wenn auch nur selten sichtbar. Foto: sw
Günther Feiler und Katja Leonhard müssen sich immer besser organisieren, denn die Suchtberatung der Caritas kämpft gegen ein wachsendes Problem an. Sucht ist mittlerweile in jedem Dorf, in jeder Gesellschaftsschicht präsent, wenn auch nur selten sichtbar. Foto: sw

Zur Caritas in Haßfurt kommen nicht nur Drogenabhängige, die im Beratungsdienst Hilfe suchen. Auch viele Frauen in der Lebensmitte versuchen, den Alltag erträglicher zu gestalten. In der Gesellschaft herrsche erdrückender Konsumdruck.

"Wir erziehen Konsum-Psychopaten." Das sagt Herbert (Name geändert), der im letzten Jahr seinen Drogen-Entzug abschloss und derzeit versucht, sich ein neues Leben aufzubauen. Auch Günter Feiler, der Leiter der Suchtberatung der Caritas in Haßfurt, sieht einen wesentlichen Grund für die wachsende Suchtproblematik im "Immer-mehr-haben-und-werden-müssen", dem gesellschaftlichen Druck, der sich seit Jahren immer massiver aufbaut.
Der Mensch muss am Arbeitsplatz den Rhythmus der Maschinen übernehmen, natürlich bringt eine moderne Frau Familie und Beruf unter einen Hut, pflegt nebenbei Oma und Opa, und die Kinder müssen möglichst ein Studium erreichen. Menschen campieren vor Läden, weil ein neues Smart-Phone auf den Markt kommt, ein neues Auto-Modell wird Monate lang in den Medien zelebriert, bis es zu kaufen ist. In der modernen Welt braucht es eine stabile Gesundheit und - noch wichtiger - ein stabiles Selbstbewusstsein und Wertegerüst, um dem Konsum- und Werbedruck Stand zu halten.

Der Weg in die Sucht


Immer mehr Menschen brechen unter diesem Druck zusammen, sehen vermeintliche Auswege in Alkohol, Medikamenten oder anderen Drogen. 261 Menschen haben sich im letzten Jahr an die Drogenberatung der Caritas in Haßfurt gewandt.
"Wenn wir mehr Stellen hätten und beispielsweise ein eigenes Angebot für Ess-Störungen machen könnten, wären es noch viel mehr", meint Günter Feiler.
Herbert hat sich zum Interview bereit erklärt, weil er nach durchstandenem Entzug - dem zweiten bereits - warnen möchte. Der 42-Jährige stammt aus gutem Haus, hat einen Beruf gelernt und steht trotzdem vor dem Nichts. Sicher kann er stolz sein, die Sucht niedergekämpft zu haben, aber seit einem Jahr sucht er Arbeit.
Körperliche Schäden hat der Drogenkonsum bei ihm glücklicherweise nicht hinterlassen - aber den Führerschein bekommt er nach einem Unfall unter Drogeneinfluss frühestens im kommenden Frühling zurück. "Ohne Auto ist man hier im Landkreis praktisch nicht vermittelbar, auch nicht in eine Umschulung", erklärt Feiler.

Immer gut drauf


Herbert war 18, als er begann, in der Gastronomie zu arbeiten - nachts, gegen die innere Uhr. "Da kriegst Du schnell mit, was die Kollegen so einwerfen, um immer fit und gut drauf zu sein", erzählt er. Mit Speed ging es los, dann zusätzlich Haschisch - "je nachdem, ob du rauf oder runterkommen willst". Heroin habe ihn zunächst abgeschreckt. Doch scheinbar gab es Menschen - quer durch alle Bevölkerungsschichten, die Heroin konsumieren, aber keine Junkies sind. Ein Zerrbild, dem er da aufsaß: "Das geht nicht, ich war gleich drauf", erklärt er schonungslos. Sein Hausarzt habe mit ihm damals eine "selbst gestrickte" Substitution gemacht. Die Droge wurde durch Codein ersetzt, dann langsam runterdosiert. Herbert war erst einmal "clean".
Aber da war weiterhin der Druck, erfolgreich zu sein. Warum der Rückfall? Die Unfähigkeit, mit Problemen umzugehen, die cholerische Veranlagung, die im Kontakt mit dem Gast gar nicht gut ankommt.
Herbert war inzwischen Wirt und entdeckte die Wirkung starker Schmerzmittel für sich: "Dann hörst du ganz gelassen deinen Gästen zu, die ganze Nacht". Die Sucht war wieder da. Auf 80 Prozent beziffert Günter Feiler die Rückfallquote.

"... dann braucht dich keiner"


Herbert weiß aus eigener Erfahrung, woran das liegt: "Du hast die Sucht überwunden, willst durchstarten, hast klare Ziele - und dann braucht Dich keiner". Er ist sich bewusst, dass er sich seine derzeitige Situation selbst eingebrockt hat, aber der fehlende Führerschein bremst ihn jetzt aus. Und dann ist da die Erinnerung im Unterbewusstsein: "Du erinnerst dich viel besser an die Glücksgefühle als an den Morgen danach", erzählt er. Deshalb kämpft er verzweifelt gegen die Langeweile, läuft und fährt mit dem Fahrrad dagegen an. Nicht einmal ehrenamtlich kann er in seinem kleinen Dorf ohne Führerschein aktiv werden.
Günter Feiler hofft mit Herbert, dass er möglichst bald wieder mobil ist, dann dürfte einer Umschulung nichts mehr im Wege stehen. Am liebsten würde er seine Erfahrungen einsetzen, um auch anderen Betroffenen zu helfen.
Drei Berater stehen bei der Caritas zur Verfügung, zwei in Vollzeit vom Bezirk Unterfranken finanziert, eine 15-Stunden-Kraft steuert die Caritas bei. Doch die Problematik verstärkt sich: Zur Suchtproblematik kamen HIV und Hepatitis C dazu, und ganz gefährlich ist Crystal Meth: "Überall und erstmal günstig zu kriegen", aber von verheerender Wirkung. Dieses Drogenangebot trifft auf Menschen, die "keine Wurzeln haben und alles haben wollen", bestätigen er und Kollegin Katja Leonhard Herberts Analyse.

Die Dunkelziffer ist hoch


"Nur" 30 Prozent der Klienten sind Frauen - aber sie haben eine große Dunkelziffer, vor allem in Bezug auf Bulimie. Stark zunehmend ist die Alkoholabhängigkeit bei den Frauen.
Zwar sieht Feiler den Alkoholkonsum junger Menschen sehr kritisch, aber er beobachtet, dass oft Frauen Mitte 40 ein Problem bekommen. Überhaupt sind 60 Prozent seiner Klienten älter als 35, also deutlich jenseits der jugendlichen Experimentierphase.
Mehr Prävention wünscht sich Günter Feiler. Die Jugendsozialarbeit an Schulen sei ein guter Ansatz, aber "doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein", wenn sich die Rahmenbedingungen nicht ändern.