Welche Menschen kaufen bei der Haßfurter Tafel ein?

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Das Angebot an Obst und Gemüse wechselt wöchentlich. Heute stehen Wirsing, Weiß- und Blaukraut auf dem Speiseplan. Fotos: Katja Kölbl
Das Angebot an Obst und Gemüse wechselt wöchentlich.  Heute stehen Wirsing, Weiß- und Blaukraut auf dem Speiseplan. Fotos: Katja Kölbl
"Tafel"-Kunde Werner ist Elvis-Fan. Jedoch streikt der CD-Player.
"Tafel"-Kunde Werner ist Elvis-Fan.  Jedoch  streikt der CD-Player.
 
Die 76-jährige Brigitte Bötsch (links im Bild) steht jeden Dienstag im "Tafel"-Laden und gibt Lebensmittel aus. Das Bild zeigt sie mit ihrer Kollegin Klara Trunk und einem Bekannten, der für das Foto den Kunden mimt.
Die 76-jährige Brigitte Bötsch (links im Bild) steht jeden Dienstag im "Tafel"-Laden und gibt Lebensmittel aus. Das Bild zeigt sie mit ihrer Kollegin Klara Trunk und einem Bekannten, der für das Foto den Kunden mimt.
 
Ist denn schon wieder Ostern? Nein. Aber die Osterhasen werden wegen ihrer langen Haltbarkeit erst Ende des Jahres ins Körbchen gepackt.
Ist denn schon wieder Ostern? Nein. Aber die Osterhasen werden wegen ihrer langen Haltbarkeit erst Ende des Jahres  ins Körbchen gepackt.
 

Etwa 50 Tonnen an Lebensmittel gibt die Haßfurter Tafel pro Jahr an bedürftige Personen im Landkreis Haßberge aus. Fünf bis sechs Kilogramm sind es etwa pro Besuch und Nase. Doch was sind das für Menschen, die dort einkaufen? Zwei von ihnen hatten den Mut, von ihrem Schicksal zu erzählen. So unterschiedlich ihre Geschichten auch sind, sie beginnen mit dem gleichen Satz: "Nie hätte ich gedacht, einmal Tafel-Kunde zu sein."

Jetzt auch noch der Kassettenrekorder. Werner, der seinen Nachnamen nicht nennen will und auch nicht Werner heißt, deutet frustriert in eine Ecke seines voll gestopften Wohnzimmers. Dort steht unter einer Wanduhr mit dem vergilbten Konterfei von Elvis Presley nicht nur ein ockerfarbenes Telefon mit Wählscheibe, sondern auch ein DVD-und CD-Player, ein altes Radio und ein noch älterer Kassettenrekorder. Alle drei Geräte sind kaputt. In den meisten Haushalten wären die Staubfänger schon längst in den Müll gewandert und ersetzt worden.

Kein Geld, keine Musik

Doch Werner hat kein Geld für moderneren Ersatz. "Man muss mit dem zufrieden sein, was man hat", sagt Werner. Er klingt traurig - und mutlos. Werner ist 66 Jahre alt und hat sein Leben lang als Hilfsarbeiter gearbeitet. Als junger Kerl schuftete er sich auf dem Bau das Kreuz kaputt. Danach arbeitete er im Zeiler Milewski-Möbelwerk und wurde bei dessen Konkurs Anfang der 1990er Jahre entlassen. "Danach habe ich gestempelt und mich mit Hilfsjobs durchgeschlagen", erzählt er.

Eine Zeitlang hatte er die langen Stunden ohne Arbeit mit dem Sammeln von Briefmarken und Münzen füllen können. "Das habe ich alles verkaufen müssen", erzählt er. In der 46-Quadratmeter-Wohnung steht nichts mehr, was er zu Geld machen könnte. Trotzdem räumt Werner mindestens ein Mal pro Woche seine kargen Besitztümer in der Wohnung hin und her. "Man muss irgendetwas tun, um nicht so viel nachzudenken", sagt er.
Der Rentner lebt mit seiner 65-jährigen Frau (auch sie ist Rentnerin) von knapp 1000 Euro im Monat. "Ich habe keine Hoffnung, dass es besser wird. Ich bin froh, dass ich schon so alt bin. Ich habe nichts mehr zu verlieren", sagt er.

Zu stolz, um Wohngeld zu beantragen

Wohngeld hat er nie beantragt und auch den Antrag auf Grundsicherung hat er nicht abgeschickt. "Da soll man 50 Fragebögen ausfüllen, die man nicht versteht und sich vor denen nackig machen. Dafür bin ich zu stolz."
Vor drei Jahren hat er sich immerhin beim "Tafel"-Verein in Eltmann gemeldet. Seitdem holt er dort ein Mal pro Woche den "Einkaufskorb" ab - Brot, Kartoffeln, Joghurt und Gemüse zum symbolischen Preis von 1,50 Euro. "Das reicht für eine Woche", sagt er.

Eigentlich ist der "Einkaufskorb" als Zugabe gedacht, die dem Kunden ein paar Euro sparen soll. "Die Zusammenstellung und die Menge sind weder geeignet noch ausreichend für eine Woche", stellt Marianne Schmittlutz klar. Denn am Johannes-Nas-Platz 7 in Eltmann gilt das "Tafel"-Prinzip: "Wir können nur das weitergeben, was wir kriegen", sagt die Zweite Vorsitzende des Haßfurter "Tafel"-Vereins, der den "Tafel"-Laden betreibt.

Gekauft wird, was da ist

Nachdem die Kunden einzeln eingetreten sind, bekommen sie an der Ausgab zuerst das "Grundkörbchen". In einer Plastikstiege liegen Obst (meist Bananen und Äpfel), Brot, Gebäck, zwei Trockenwaren (wie Nudeln, Müsli oder Zahncreme) und Süßigkeiten. Danach wird - je nach Haushaltsgröße - die Grundausstattung mit weiteren Lebensmitteln aufgestockt. Die meisten Kunden verlassen den Laden mit fünf bis sechs Kilo Nahrungsmitteln, manchmal sind auch Hygieneartikel dabei.

Eltmann ist die Außenstelle des Haßfurter Vereins, der 2004 gegründet wurde. Der "Tafel"-Laden Eltmann versorgt mit 38 ehrenamtlichen Helfern Kunden aus 15 Gemeinden. Der größte Teil davon kommt aus Zeil.
2011 haben 118 Kunden (mit den Haushaltsangehörigen sind das 277 Personen, davon 102 Kinder) den Laden in Eltmann besucht. Auch Anna holt sich ein Mal pro Woche einen Einkaufskorb bei der "Tafel" in Eltmann ab - seit der Eröffnung 2006.

Drei Jobs und doch kein Geld

Anna (Name geändert) ist 46 Jahre und Mutter dreier Kinder. Die Osteuropäerin lebt seit 25 Jahren in Deutschland. Sie arbeitet hart, hat drei verschiedene Jobs und bringt ihre Familie trotzdem nicht ohne die finanzielle Unterstützung des Staates durch. 1400 Euro stehen der vierköpfigen Familie insgesamt zur Verfügung. Anna nimmt es gelassen: "Ich kann gut haushalten und habe keine Schulden. Wir leben nicht schlecht."

Wer der redseligen Frau begegnet, kann sich kaum vorstellen, dass Anna in jungen Jahren durch die Hölle ging. Vor 14 Jahren floh sie mit drei kleinen Kindern vor ihrem eigenen Mann ins Frauenhaus und musste ganz von vorne anfangen. "Ich kenne Trauer, Misserfolg und Selbstmordgedanken", sagt sie. Geholfen hätten ihr der Glaube an Gott und gute Freunde. "Ohne die hätte ich es nicht geschafft", sagt sie heute.

Vor den Frauen, die ehrenamtlich bei der "Tafel" arbeiten, hat sie großen Respekt. "Das ist keine einfache Arbeit", sagt sie. Und: "Wir werden bei der ,Tafel‘ wie in einem Laden bedient." Sie weiß auch, dass es viele Menschen nicht verkraften, hier einkaufen zu müssen - und aus Scham nicht kommen.

Betagte Helfer bei der Tafel

Eine der ehrenamtlichen Helferinnen ist Brigitte Bötsch aus Eltmann. Die 76-Jährige steht seit Beginn im "Tafel"-Laden und gibt Lebensmittel aus. Die meisten Helfer sind wie sie über 60 Jahre alt, der älteste Mitarbeiter ist 79. Brigitte Bötsch nimmt Anteil am Schicksal ihrer Kunden. Trotzdem macht ihr die Arbeit Spaß. "Manche haben es nicht verdient, hierher kommen zu müssen", sagt sie.

Bevor die "Tafel" dienstags von 14 bis 17 Uhr Lebensmittel ausgibt, bereiten vier bis fünf Helfer alles vor. "Die ersten Kunden stehen schon kurz nach 12 Uhr auf der Straße", erzählt Brigitte Bötsch.
Heute liegen Osterhasen in den Plastikkörben - und das kurz vor Weihnachten. Dahinter steckt eine einfache Logik: Die Osterhasen haben eine lange Haltbarkeitsdauer. "Aber jetzt müssen sie raus", sagt Bötsch. Weihnachtsmänner und Adventskalender werden vermutlich um Pfingsten in den Körben liegen. "Damit haben unsere Kunden aber kein Problem", sagt die Helferin.

Werner ist es egal, ob Osterhasen oder Nikoläuse in seinem Einkaufskorb liegen. Der 66-Jährige ist Diabetiker.
Er fürchtet sich vor den langen Tagen vor dem Fernseher, an denen er auf einen Anruf hofft, der ihm Arbeit bringt. Nicht auszudenken, wenn nach dem Radio auch noch das Fernsehgerät seinen Geist aufgeben würde. Die Stille, sie wäre für Werner nicht auszuhalten.

Gemacht wird, was Geld bringt

Genau wie seine Frau jobbt der Rentner stundenweise, macht Fahrdienste oder Gartenarbeit. "Das ist mir egal."
Früher hatte Werner viele Träume. Er wollte Vater werden und die Welt bereisen. Jetzt ist es sein Ziel, das zu halten, was er hat: die Ehe und seine Wohnung. "Solange man ein Dach über dem Kopf hat, geht's ja noch", sagt er. Und wenn er doch noch zu Geld kommen würde? Die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: "Dann würde ich den CD-Player und das Kassettendeck reparieren lassen. Und danach in einer Wirtschaft essen gehen."