Städteplaner machen aus Neubrunn einen coolen Ort

3 Min
Professorin Dr. Martina Baum studierte an der Bauhaus-Universität in Weimar und an der Hochschule Coburg, bevor sie am Karlsruher Institut für Technologie promovierte. Seit 2001 ist sie in Praxis, in Forschung und Lehre tätig. Sie kümmerte sich um urbane Transformations- und Umbauprozesse, strategische Raumentwicklung, integrierte Städteentwicklung und research-by-design-Ansätze. Seit 2014 ist sie Direktorin des Städtebauinstituts der Universität Stuttgart und Professorin für Stadtplanung und...
Professorin Dr. Martina Baum studierte an der Bauhaus-Universität in Weimar und an der Hochschule Coburg, bevor sie am Karlsruher Institut für Technologie promovierte ...
Professorin Dr. Martina Baum studierte an der Bauhaus-Universität in Weimar und an der Hochschule Coburg, bevor sie am Karlsruher Institut für Technologie promovierte. Seit 2001 ist sie in Praxis, in Forschung und Lehre tätig. Sie kümmerte sich um urbane Transformations- und Umbauprozesse, strategische Raumentwicklung, integrierte Städteentwicklung und research-by-design-Ansätze. Seit 2014 ist sie Direktorin des Städtebauinstituts der Universität Stuttgart und Professorin für Stadtplanung und...
Mit großem Interesse studierten Bürger und Gäste die Ausstellung.
Mit großem Interesse studierten Bürger und Gäste die Ausstellung.
 
Man sieht ihnen an, dass das "Neubrunn-Spiel" Spaß macht.
Man sieht ihnen an, dass das "Neubrunn-Spiel" Spaß macht.
 
Das "neue Morgenroth" - produktiv" im Konzept mit durchmischten Angeboten.Günther Geiling
Das "neue Morgenroth" - produktiv" im Konzept mit durchmischten Angeboten.Günther Geiling
 
Eine bestehende Garage am Dorfplatz soll hier zu einem "Dorfspäti" werden, einem Ankerpunkt der Infrastruktur im Dorf.
Eine bestehende Garage am Dorfplatz soll hier zu einem "Dorfspäti" werden, einem Ankerpunkt der Infrastruktur im Dorf.
 
Die Ausstellung war gleichzeitig der Abschluss des Semesters für die Studenten; von links wissenschaftlicher Mitarbeiter Andreas Beulich, Prof. Martina Baum, Bürgermeister Karl-Heinz Kandler und wissenschaftlicher Mitarbeiter Alexander Richert.
Die Ausstellung war gleichzeitig der Abschluss des Semesters für die Studenten; von links wissenschaftlicher Mitarbeiter Andreas Beulich, Prof. Martina Baum,  Bürgermeister Karl-Heinz Kandler und wissenschaftlicher Mitarbeiter Alexander Richert.
 

Für den Kirchlauterer Gemeindeteil haben Stuttgarter Studenten ein halbes Jahr lang nach neuen Impulsen und Entwürfen gesucht.

Der ländliche Raum ist derzeit mehr denn je in der Diskussion und steht vor großen Herausforderungen. Als einen Glücksfall kann es deswegen die Gemeinde Kirchlauter ansehen, dass die Universität Stuttgart mit ihrem "Institut für Städtebau und Entwerfen" ausgerechnet den Gemeindeteil Neubrunn ausgesucht hat: 13 Studenten aus ganz Deutschland und sogar aus China und Osteuropa entwickelten an dem fränkischen Dorf Zukunftsideen.

Lebendige Dorfgemeinschaft

Mit den Zielen: Ortsmitte reaktivieren und Dorfgemeinschaft neu entdecken. Zum Semesterabschluss stellten die Universitätsvertreter das Ergebnis der Bevölkerung vor. Da gab's ein Wiedersehen.

Dass das "Institut für Städtebau und Entwerfen" auf Neubrunn kam, hat seinen Grund. Die Architektin und Stadtplanerin Martina Baum kommt aus Neubrunn und ist seit 2014 Direktorin des Städtebauinstituts und Lehrstuhlinhaberin an der Universität. Das Städtebauinstitut ist mit vier Lehrstühlen und Fachgebieten sowie über 40 Mitarbeitern das größte Institut der Fakultät Architektur und eines der größten universitären Institute mit diesem Schwerpunkt in Deutschland. Es deckt das weite Spektrum der ländlichen Planung von der Analyse über die Planung bis hin zur detaillierten Gestaltung in Forschung und Lehre ab. "Wir sind mit unseren Projekten durchaus auch weltweit unterwegs, arbeiten weltweit zusammen und ganz konkret an bestimmten Orten". Als Beispiel nannte Baum die Elendsviertel von Buenos Aires, wo sie Kindergärten und soziale Einrichtungen planten.

"In Neubrunn hatten wir schnell Zugang zu Leuten und Informationen und deswegen war es für mich naheliegend, dieses Dorf herauszusuchen. Außerdem kann ich damit auch meinem Heimatort etwas zurückgeben", freute sich die Architektin; auch die Studenten waren begeistert von der Aufnahme durch die Bevölkerung. "Wir waren alle überrascht von dem Zusammenhalt im Ort und dass es noch so viele Vereine gibt, die wirklich funktionieren," meinte eine Studentin. Ein anderer stellte fest "wir haben hier auch gespürt, dass das Landleben ein sehr emotionales Thema ist und eigentlich jeder etwas dazu zu sagen hat. Die Bürger denken trotzdem, dass bei ihnen vieles im Reinen ist, aber als Außenstehender sieht man doch noch Potenziale brachliegen."

Der Einsatz der Studenten hat seinen Wert

Die Studenten waren im November zu einer Exkursion in Neubrunn, haben mit Vertretern des Landratsamtes, der Leadergruppen und vor allem den Bürgern gesprochen - sogar am Wirtshaustisch.

Aus planerischer Hinsicht waren sie begeistert von der Bauqualität der Architektur, die man in kleineren Orten oft nicht so sehe. "Vieles ist noch top wie der schöne Platz vor der Kirche. Man spürt hier auch, dass die Leute auf ihr Zeug oder ihr Eigentum noch aufpassen. Auch ist es ein Glück für die Region, dass man in früherer Zeit alte Gebäude stehen ließ."

Martina Baum stellte heraus, dass es wichtig sei, sich auf den Ort einzulassen. Man sehe Gebäude, die nicht überall stehen. "Deswegen muss man sich einen solchen Ort genau ansehen, denn er hat Kontinuität. Diese wollen wir aufgreifen, aber gleichzeitig in die Zukunft führen. Hierzu muss man die Identität des Ortes verstanden haben. Erst dann kann man Ideen entwerfen und überprüfen, ob man richtig liegt."

Würde sie eine Firma beauftragen, müsste die Gemeinde dafür viel Geld ausgeben

Die Vorschläge sollten als Ideenschmiede und Impulse gesehen werden. Bürger und Gemeinde müssten selbst entscheiden, was sie damit machen. "Auf jeden Fall ist hier ein halbes Jahr lang die Arbeit von 13 Studenten hineingeflossen mit einer Masse von Ideen, die sicher sehr wertvoll sind", betonte die Professorin. Ausgangspunkt war das Ensemble des Gasthauses Morgenroth - lange Zeit der soziale Treffpunkt im Ort mit einer wichtigen Rolle als Metzgerei, Laden, Gastwirtschaft und Tanzbar, Jagd und Hundezucht. Laut der Dorfchronik gab es hier sogar Pottasche, Siefen-Siederei und Brauerei mit Bierkeller.

Das "neue Morgenroth" lädt alle ein: Dorfbewohner können hier ihre Einkäufe erledigen, die Radfahrer eine Pause im Schatten genießen, der Besucher an einem Workshop teilnehmen. Die Mitarbeiter brauen eigenes Bier oder stellen Seifen her. Es wird zum sozialen Treffpunkt für Dorfbewohner wie Besucher. Kernprodukt ist die kleine Brauerei. Bei einem durchschnittlichen Bierverbrauch von 104 Litern pro Deutschem errechnen sich für Neubrunn im Jahr 62 520 Liter. Das würde den Bedarf des Dorfes decken und eine kleine Brauerei könnte sogar noch 20 Prozent an Besucher ausgeben.

Treffpunkt für die Menschen

Gegenüber Morgenroth würde das "Dorfspäti" als Ausgangspunkt für die Infrastruktur stehen. Ein intelligenter Marktplatz zur Lebensmittel- und Arzneiversorgung mit Geldautomaten und Packstation neben der Bushaltestelle. Die Digitalisierung ließe sich zudem nutzen: Per App Lebensmittel bestellen und sie sich nach Haus liefern lassen. Noch eine Idee: in der Nähe eine offene Dorfküche befinden, die jeder benutzen dürfte.

Weitere Zukunftsideen zeigten neue Wohnformen nach dem Genossenschaftsprinzip oder flexibles Wohnen. Im Altort sind die Häuser oft zu groß für ein bis zwei Personen. Dafür gäbe es Alternativen. Manche wollen gerne im Dorf bleiben, dann müsste es Möglichkeiten für eine Betreuung geben. Aber auch junge Erwachsene suchen oft eine kleine Wohnung oder vielleicht eine Mietwohnung.

Die angehenden Städteplaner schlagen dezenten Tourismus mit Zimmervermietung oder Ferienwohnung vor, sie stellten sich Frage, was passiert, wenn Arbeitsplätze in der Industrie wegfallen. Welche Rolle spielt das Handwerk und andere Dienstleistungen. In Neubrunn könnten neue Arbeitsformen entstehen.

Die Besucher der Ausstellung diskutierten intensiv über diese Zukunftsideen. Bürgermeister Karl-Heinz Kandler sah gute Ansätze für betreutes Wohnen und die Nutzung von leerstehenden Scheunen. Durch Breitband habe man ganz andere Möglichkeiten für das Arbeiten zu Hause.

Zahlreiche Besucher wie Horst Gehring setzten sich mit den Zukunftsideen für Neubrunn auseinander. Manchmal, fanden die Dorfbewohner, schimmere schon die Sicht der Stadtbewohner bei dem Projekt durch.

Am Ende gab es sogar ein "Neubrunn-Dorf-Spiel": Über Karten mussten die Spieler als Gruppe zusammenarbeiten und zusammen den Weg finden, der für das Dorf nachhaltig ist.