Kriegsvertriebene von einst erinnern sich an die Aufnahme in Fierst und Kirchlauter anno 1946/1947.
Seit Jahrtausenden die Zeit der Herbergssuche. Und der (Rück-)Besinnung. Millionen von Flüchtlingen sind wieder weltweit unterwegs. Die Heimat zurücklassend auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft. Voller Hoffnung auf ein besseres Leben, eine bessere Welt, einen Akt der Nächstenliebe.
Dass Integration funktioniert, haben vergangene Jahrzehnte bewiesen: Die Aufnahme der Übersiedler aus der DDR und der Sowjetunion, die Einbindung der Kriegsvertriebenen. "Und jetzt denkst an so manchem Stammtisch, dass wegen der Asylbewerber das christliche Abendland zugrunde geht", hat der Altbürgermeister von
Kirchlauter, Peter Kirchner, bei einem Seniorentreffen festgestellt, zu dem er auch Flüchtlinge aus Syrien eingeladen hatte.
Zahlenvergleich: damals, heute
Und er stellte einen Vergleich an: "Jetzt haben wir nicht einen Asylbewerber im Dorf, aber viele schimpfen auf sie wie die Rohrspatzen. 1946 kamen auf 511 Einwohner 110 Heimatvertriebene und auch das haben wir geschafft, obwohl damals nicht an jedem Sonntag der Göger und die Klöß' auf dem Tisch standen und mehr als das halbe Dorf nach dem Beschuss zum Teil in Schutt und Asche lag."
Damals hatten die einen wenig, die anderen gar nichts, zeigt sich im Gespräch mit Heimatvertriebenen von damals, die in den Haßbergen Fuß gefasst und eine neue Heimat gefunden haben, und den Vertreterinnen der damaligen Gastfamilien Grede Rottmund (Jahrgang 1925), Karola Wild und Ludwina Heckelmann (beide Jahrgang 1930).
Viele Details haben sich ins Gedächtnis eingebrannt. Auch solche Szenen, dass eine Gastfamilie die Dielen ihrer Wohnung herausgerissen hat, mit der Begründung, dass der Schwamm drin sei, nur um niemanden aufnehmen zu müssen.
Herbert Lang (mittlerweile 90 Jahre alt) hat die Szenen der Flucht noch genau im Kopf, als am 2. Mai 1946 in Kleinschüttüber (damals Kreis Marienbad) der tschechische Verwalter vor der Haustüre stand und die ganze Familien binnen drei Stunden das gesamte Anwesen räumen musste. Jeder durfte nur 50 Kilo Gepäck mitnehmen.
"Es geht nach Bayern"
Es ging ins Sammellager nach Bad Königswart, dort wurden 30 Personen samt Gepäck in einen Waggon gepfercht. Der Zug fuhr über Eger nach Schirnding, "Es geht nach Bayern, zu den Amis", schallte es erleichtert durch den Zug. "Der ganze Bahndamm war gesäumt mit den weißen Bändern, die wir alle auf Anordnung der Tschechen hatten tragen müssen", erinnert sich Lang noch ganz genau.
Die nächsten Stationen waren Wiesau (Entlausung), Schweinfurt, wo ein Waggon abgekoppelt und nach Ebern rangiert wurde. Mit dem Auto des "Baders Schorsch", einem Handlungsreisenden in Sachen Schweine, ging's weiter ins Lager Fierst, von wo aus die Verteilung auf die Ortschaften rundum erfolgte. Wo sie nicht immer mit offenen Armen aufgenommen wurden, sogar Polizei-Einsätze sind überliefert, wie sie bei einem Gesprächsabend des Eberner Bürgervereins angesprochen wurden. Auch in Kirchlauter war der Polizist Hofbauer vielen Neuankömmlingen ein willkommener Helfer.
Am 9. Mai kamen mehrere Familien aus Kleinschüttüber in Kirchlauter an: Die Langs, die Pollands, Kornhäusers, Oels und andere. Am Dorfplatz erfolgte die Verteilung. "Der Bürgermeister musste zum Teil bestimmen, wer wen nimmt", erinnert sich Herbert Lang, dessen Familie sogar aufgeteilt wurde. Danach erfolgten noch kleine Korrekturen. "Wir wurden gegen einen Sack Hafer für die Hasen eingetauscht."
Die anfangs eher feindliche Stimmung sei aber schnell umgeschlagen. Herbert Lang: "Bei der Familie von Simon Röhner wurde ich wie ein Familienmitglied aufgenommen, was ich denen nie vergessen werde. Sohn Emil wurde in einer schweren Zeit als Heimatvertriebener mein bester Freund."
Bayern wurde seine zweite Heimat. "Nach den Wirren am Anfang sind wir danach immer 100-prozentig untergekommen", erzählt der Mann, der als 17-Jähriger eingezogen wurde und damals meinte, Ostpreußen verteidigen zu können. In Kirchlauter fand er schnell Anschluss, weil er sich keiner Arbeit zu schade war. Erntehelfer, Holzmacher. "Ein echter Tagelöhner", befand Peter Kirchner.
In Theatergruppe integriert
Auch in der Theatergruppe spielte Lang mit, der danach in Lohr Anstellung fand und nach einer Zwischenstation in Wüstenbirkach mit seiner Frau, die aus Südböhmen stammte, in Pfarrweisach heimisch wurde. Dort war der Kufi-Fahrer (35 Jahre lang) und IG-Metaller in vielen Vereinen aktiv, die ihn auch zum Ehrenmitglied ernannten (VdK, Kriegerkameradschaft). Bei der Sudetendeutschen Landsmannschaft ist Lang vom ersten Tag an dabei.
Ebenfalls aus Kleinschüttüber stammt Karl Hufnagl, der auch in Kirchlauter landete und jetzt in Ebelsbach lebt. Er besucht jedes Jahr die alte Heimat, weil er gerne nach Karlsbad fährt. Und dabei hat er eine bemerkenswerte Feststellung gemacht: "Die junge Generation denkt schon ganz anders und meint, dass die Vertreibung ein ganz großer Fehler ihrer Vorfahren war."
An die Tage in Kleinschüttüber hat Hufnagl auch noch konkrete Erinnerungen. "Es gab allein acht Schreinereien."
Auch von der Ankunft im Lager Fierst haben die Heimatvertriebenen noch Details im Kopf: "Wir teilten uns mit sieben anderen Kindern ein Zimmer und es gab nix zu essen." Zwei Kinder einer Familie Klier wurden von einem Auto überfahren, das gegen eine der Baracken rollte. Kathi Kaiser erzählt, dass sie in der alten Heimat mit Gewehren zum Zug getrieben wurden. Dort wurden ihnen noch die Töpfe abgenommen, die sie in aller Eile zusammengepackt hatten. "Die braucht ihr nicht, ihr kommt zu den Amis, die haben Dosen, wurde uns geheißen."
Und auch die Verteilung im zusammengeschossenen Kirchlauter ist noch lebendig: "Die wollten einen jungen Mann und kein kleines Madla." Weswegen der damals von den Amerikanern eingesetzte Bürgermeister Peter Kirchner senior schon resolut werden musste. Im Nachhinein zeigen die einst Vertriebenen, die in Kirchlauter sesshaft wurden, Verständnis für die anfänglichen Vorbehalte: "Da wurden die eigenen Kinder aus ihrem Zimmer verdrängt und die Betten umgebaut, damit wir unterkamen."
Das letzte Bett freigemacht
Karola Wild steht für die Menschen auf der Seite der Aufnehmenden: "Die Leute haben einem leid getan. Die waren so eingeschüchtert, da haben wir sie halt aufgenommen." Gleichwohl weiß auch sie, dass "wir selbst schlecht dran waren und dann des letzte Zimmerla hergeben mussten".
Deutliche Vorbehalte bekamen die Ankömmlinge auch in Wüstenwelsberg zu spüren. "Des Madla könna mir ned gebraung, die isst ja nur alles weg", klingt es noch in den Ohren. "Und ich hab sooo einen Hunger ghabt", knurrt der Magen noch nach. Peter Kirchner: "Die Kinder wurden mit Mehlpapp gefüttert." Adolf Hufnagl: "Natürlich sind wir beim ersten Kontakt mit den Laubenders erst einmal beschnuppert worden. Dann wohnten acht Kinder in zwei Räumen. Aber wir merkten schnell, dass wir bei guten Leute ungekommen sind."
Wie Herbert Lang sind auch bei den Kirchlauterern die Theateraufführungen unmittelbar nach Kriegswende noch präsent. ""Wir haben ein Stück über die Heilige Elisabeth im Saal aufgeführt, wo jetzt der Wilde Kaiser ist. Die Leut' haben Rotz und Wasser gegrinna."
Böhmisch und fränkisch
Freilich schränkt Karola Wild ein, dass "ich mich am Anfang mit dena ihrm Dialekt schon schwergetan hab'". So hätten sie in ihrem Laden "zehn Deka" bestellt, "wie im Böhmischen".
Eine Integrationsfunktion übte damals auch die Faustball-Mannschaft aus, die jede Woche zusammenkam und in der auch die Neubürgerinnen mitspielten. Doch der Zusammenhalt war mitunter nur von der kurzer Dauer: Viele der Vertriebenen-Familie wurden auseinander gerissen, weil es einfach am Platz fehlte. Adolf Hufnagls Verwandten landeten beispielsweise in Bamberg, Nürnberg oder in Hessen. Er selbst kam nach Ebelsbach, wo es in Gleisenau ebenfalls ein Aufnahmelager gegeben hatte.
"Wer keine Bauerei ghabt hat, war arm dran", blicken alle Gesprächsteilnehmer zurück. Mit Geld wurde nichts bezahlt, nur mit Naturalien oder Arbeitsleitungen.