Auf den Tag genau vor 70 Jahren marschierten die US-Truppen in Ebern ein. Zeitzeugen berichteten am Donnerstagabend beim heimatkundlichen Gesprächskreis, was in diesen turbulenten Tagen alles passierte.
Otto Einwag hat ihr Bild noch genau vor Augen. Die Krankenschwester war aus Rentweinsdorf in ihrem Kittel gekommen, um Medikamente zu holen. Sie versorgte Verwundete, die im Schloss untergebracht waren. Sie wollte sich auf den Rückweg machen, als an diesem Mittwochvormittag, dem 4. April 1945, Tiefflieger von Süden über die Stadt donnerten und an der Hirschen-Scheune mit dem Beschuss begannen. "Wir flüchten alle unter die Torbögen der Häuser am Marktplatz und riefen auch zur Schwester, dass sie doch schnell kommen soll", warnte damals der Bube Otto.
Und die Antwort der Frau hat Einwag auch noch im Ohr: "Die haben mir raufwärts nix getan, tun sie mir jetzt auch nix." Sekunden später war sie tot. Niedergestreckt von den Garben des Bord-MGs ebenso wie eine Unterpreppacherin, die beide im Streitsgarten aufgebahrt wurden, wie sich Otto Einwag erinnert.
Ebenso, dass auf Pfarr- und Dorschengarten Bomben abgeworfen wurden.
Einwag war zusammen mit Altbürgermeister Rolf Feulner und Elmar Liebender einer der Zeitzeugen dieser Tage, da in Ebern noch ein Nazi-Kommandeur die Stadt gegen die anrückenden US-Truppen verteidigen wollte, Panzersperren aus Rundhölzern errichten ließ und Fahnenflüchtige per Schnellgericht exekutiert wurden. Bei der heimatkundlichen Gesprächsrunde von Kreisheimatpfleger Günter Lipp am Donnerstagabend in den Frankenstuben lebten die dramatischen Ereignisse vor 70 Jahren wieder auf.
Viele Anekdoten Dazu "flattern viele Anekdoten und Geschichten durcheinander", meinte Lipp, weswegen er die ihm bekannten Ereignisse in chronologische Reihung gebracht hatte.
Dazu zählten Tieffliegerangriffe am Karfreitag, 30. März, ebenso, wie das schöne Wetter am Ostersonntag, das die Vorahnung auf einen bevorstehenden Angriff der US-Truppen noch befeuerte. "Damals hofften alle, dass die Amis kommen, weil die besser als die Russen wären", steuerte Rolf Feulner Kindheitserinnerungen bei.
Am Ostermontag, 2. April, sei der Gauleiter Dr. Hellmuth aus Würzburg geflohen und habe seinen Stab ins Untermerzbacher Schloss verlagert, sagte Günter Lipp. Die Geschehnisse am Weißen Sonntag haften noch ganz deutlich im Gedächtnis von Rolf Feulner. "Die Erstkommunion wurde noch friedlich gefeiert. Erst am Abend begannen die Luftangriffe und wir mussten alle in die Luftschutzkeller."
Tags darauf seien Kolonnen deutscher Soldaten den Losberg hochgezogen und hätten um Essen gebettelt.
"Da staunten sie, als sie unsere Kommunionstorten bekamen", erzählte der Altbürgermeister.
Zu dieser Zeit seien die US-Truppen von Ermershausen aus auf Ebern vorgerückt. Elmar Liebender hört heute noch den Befehl des Ortskommandanten: "Das ist nur eine Panzerspitze, die knallen wir ab." Liebender: "Wenig später knatterten Massen an Militär durch die Stadt. So einen Troß hätte man sich gar nicht vorzustellen gewagt."
Zwei Brücken gesprengt Zu diesem Zeitpunkt aber waren die Panzersperren noch aufgebaut, die Sandhöfer Brücke und die Brücke über den Angerbach wurden gesprengt. Elmar Liebender: "Das war Wochen zuvor schon alles vorbereitet worden." Otto Einwag: "Wir wollten die Holzsperren abbauen, aber uns wurden die Ziehsägen abgenommen.
Der Polizeichef hat geschrien: Wer einer etwas hier wegmacht, dann ich von meiner Schusswaffe Gebrauch!"
Elmar Liebender, der sich wie Feulner und Einwag auch noch genau an die Luftschutzkeller im Stadtgebiet, wie in den Kellerhäuschen in der Hirtengasse, wo sogar allerhand Werkzeuge lagerte, erinnerte, wusste eine andere Episode: "Wir saßen im Schutzkeller, als drei Hitlerjungen kamen und nach dem Pfarrer und den Bürgermeister suchten."
Auch erinnerten sich die Zeitzeugen, dass einmal Gefangene durch Ebern durchgetrieben wurde, die "verhungert und verlumpt aussahen", so Otto Einwag, weswegen Frauen Brote aus den Fenstern warfen. Deswegen wurde sie von der NS-Kreisleitung einbestellt. "So braun war Ebern nicht", fand Günter Lipp.
Am 9. April sorgte eine Protestversammlung der Frauen vor dem Rathaus für eine Wende. "Da waren die Witwe Fösel und der Hauptlehrer Hoch vorne dabei.
Sie forderten, dass die Stadt kampflos übergeben wird." Am Tag darauf, hätten die Frauen, Kinder und die wenigen Männer die Sperren zersägt. Am 11. April seien Bürgermeister Josef Wappes und Stadtpfarrer Otto Schnorr mit weißen Kopfkissen rausgezogen, um den anrückenden Truppen die Kapitulation zu signalisieren.
Stockbesoffene Parteileitung Auf Nachfrage von Bürgermeister Jürgen Hennemann, was denn aus der Parteileitung geworden sei, erzählten die Zeitzeugen, dass die in Richtung Heubach geflohen sei, mit "Roth und Barthelmann in SS-Uniform im Stechschritt vorneweg", was im Gedächtnis haften blieb. Und noch eine Tatsache: "Die Nazis waren in den letzten Tagen nur noch stockbesoffen", so Otto Einwag.
Auch habe sich ein Lehrer aus Heubach, ein "elender Nazi", im Haus des Bürgermeisters erschossen, als die US-Panzer vorrückten.
Der Einmarsch erfolgte - anders als beispielsweise in Kirchlauter - ohne Probleme, weil ohne Gegenwehr, obwohl Otto Einwag noch weiß, dass sich "einer mit Panzerfaust auf Lauer legte, die anderen ihn aber überzeugten, dass das doch keinen Sinn mehr macht". Rolf Feulner: "Beim Einmarsch waren wir alle in den Kellern und dann hatte es geheißen, dass die Kinder als erste raus sollen. Dann haben wir zum ersten Mal diese Riesen-Panzer gesehen und auch den ersten Neger."
23 Häuser beschlagnahmt Die US-Kommandantur übernahm zunächst die Nazi-Kreisleitung, die im Rathaus residiert hatte, zog dann ins Polizeigebäude und später ins Düsel/Mayr-Haus um.
"Die Amis wussten schon vor dem Einmarsch genau, wer welche Zuständigkeiten hatte", ist Günter Lipp überzeugt. Alle Männer im Alter von zwölf bis 70 Jahren mussten am Marktplatz antreten und Fotoapparate, Gewehre, Messer oder andere Waffen abgeben.
23 Häuser bzw. Wohnungen wurden den Archiv-Aufzeichnungen zufolge, die Günter Lipp ausgegraben hat, von den Amerikanern beschlagnahmt. Darunter das Forstamt, das Kujathhaus, die Hirschen- und die Eisenbahn-Wirtschaft sowie Häuser entlang der Coburger Straße oder die Losbergstraße hinauf. Dazu Rolf Feulner als Anrainer: "Das waren die neuesten Häuser, die schon Heizung hatten. Wir sind halt zu Verwandten ausgezogen."
Ominöser Tod von Ehepaar Essensausgabestellen für die Bevölkerung wurden im Gasthof Gall und in der Untergasse eingerichtet, wie Werner Scharf als Neuigkeit aus Gesprächen mit
Vorfahren beisteuerte.
Am 12. April erfolgte der Abtransport der Internierten aus dem Gefängnis nach Hammelburg, wo eine Zentralstelle eingerichtet wurde. Die Alt-Eberner berichteten noch von der Plünderung der Geschäfte durch Polen und dass sie selbst nur eine Stunde Ausgang hatten. In der Nacht vom 13. auf 14 April ereignete sich ein bis heute ominöser Mord am Wachtmeister-Ehepaar Meyer in dessen Schlafzimmer in der Rittergasse, deren Kehlen und Pulsadern durchtrennt waren, wie Oskar Schmidt weiß, sowie am 20. April der Unfall, bei dem sich ein US-Panzerfahrer beim Durchfahren des Grauturms tödlich verletzte, weswegen am Tag darauf ein daneben stehendes Haus abgerissen wurde, um eine Sprengung des Turmes abzuwenden.