"Kirche ohne Politik gibt es nicht"

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Dekan Jürgen Blechschmidt in seinem Büro im Pfarramt Rügheim. Klaus Schmitt
Dekan Jürgen Blechschmidt in seinem Büro im Pfarramt Rügheim.  Klaus Schmitt
Dekan Jürgen Blechschmidt auf der Kanzel der Rügheimer Dekanatskirche
Dekan Jürgen Blechschmidt auf der Kanzel der Rügheimer Dekanatskirche
 
Der Dekan vor der Rügheimer Kirche
Der Dekan vor der Rügheimer Kirche
 

Die evangelischen Christen feiern heuer das Reformationsjubiläum. Was kann das heute bedeuten? Dekan Jürgen Blechschmidt im Gespräch.

Das Reformationsjubiläum spielt sicher auch eine Rolle, wenn am Samstag, 14. Oktober, die Synode des evangelisch-lutherischen Dekanatsbezirks Rügheim in Rügheim zusammentritt. Die Synodalen treffen sich dort mit dem Dekan Jürgen Blechschmidt (59 Jahre).

Unser Portal hat die Synode und das Reformationsjubiläum zum Anlass genommen, um fünf Fragen an den Dekan zu stellen, der seit zehn Jahren in dieser Funktion tätig ist. Der Dekanatsbezirk ist weitgehend identisch mit dem Kreis Haßberge; jedoch gehören einige Orte im Kreis Schweinfurt noch dazu, und die Kirchengemeinde Gleisenau ist Teil des Dekanats Bamberg. Hier das Interview:

Frage: Sehr geehrter Herr Blechschmidt, an diesem Wochenende findet die Synode des evangelischen Dekanatsbezirks Rügheim statt. Dabei geht es auch um die Jugendarbeit. Wie will und kann die evangelische Kirche in der heutigen Zeit mit ihren vielen "Ablenkungen" junge Leute erreichen?
Blechschmidt: In den Kirchengemeinden unseres Dekanates gibt es viele verschiedene Aktivitäten in der Jugendarbeit, unter anderem Jugendchöre, Jugend- und Jungschargruppen, Ausflüge und Fahrten, Jugendgottesdienste (zum Beispiel das "Rocksofa" in Rentweinsdorf). Diese werden mit Hilfe der neuen Medien gestaltet, und mit Methoden, von denen wir hoffen, dass sie Jugendliche und junge Erwachsene ansprechen. Daneben gibt es noch den traditionellen Konfirmandenunterricht, bei dem die jungen Leute etwas über unseren Glauben und über unsere kirchlichen Traditionen lernen sollen.Es ist uns bewusst, dass es heutzutage für junge Leute viele andere Angebote zur Freizeitgestaltung gibt, und wir können und wollen auch niemanden zwingen, zu uns zu kommen. Allerdings merken wir auch immer wieder, dass junge Leute sich auch heutzutage noch die existenziellen Fragen des Lebens stellen und bei uns Antworten suchen und oft auch finden: Was ist der Sinn des Lebens? Wozu bin ich auf der Welt? Was will ich erreichen? Was verstehe ich unter einem guten und sinnvollen Leben? Die Antworten auf diese Fragen finden sich in der Bibel und können von unserem christlichen Glauben aus gegeben werden. Die Grundwahrheiten, von denen wir ausgehen, sind die gleichen, die auch uns Erwachsene und Senioren geprägt haben. Die Methoden dazu müssen sich allerdings verändern und auf die jeweilige veränderte gesellschaftliche Situation eingehen. Deswegen ist die Jugendarbeit bei uns immer wieder Thema, nicht nur während der Dekanatssynode.

Junge Leute sind auch Kinder und Jugendliche, die in unserem reichen Land in immer größerer Zahl in Armut aufwachsen. Welche Rezepte hat die evangelische Kirche, auch hier im Dekanat Haßberge, um diesen Menschen zu helfen?
Hilfe geschieht von unserer Kirche aus in dreifacher Hinsicht: Erstens direkt vor Ort in den Kirchengemeinden (unkompliziert, persönlich, und ohne dass es "an die große Glocke gehängt" wird). Zweitens als Beratung durch unser Diakonisches Werk (wo Familien und Menschen jeden Alters Rat suchen und bekommen). Drittens durch die sozialpolitische Arbeit unserer diakonischen Dachverbände, der evangelisch-lutherische Kirche Bayerns und der evangelischen Kirche Deutschlands (wo versucht wird, die Regierenden auf bestehende soziale Probleme hinzuweisen und staatliche Rahmenbedingungen zu verbessern). Kirche gehört bei uns zur politischen Kultur und trägt zum sozialen Bewusstsein unserer Gesellschaft bei.

Muss die evangelische Kirche in einer Zeit, in der der Populismus auf dem Vormarsch ist, mehr zu einer politischen Kirche werden? Oder geht das am Auftrag der Kirche vorbei?
Christen/innen sind immer zugleich Bürger/innen und leben mitten in einer Gesellschaft und in einem Staat. Und sie haben natürlich den Auftrag, diese Gesellschaft und diesen Staat im christlichen Sinn mitzugestalten. Mit anderen Worten: Kirche ohne Politik gibt es gar nicht. Wir haben in der Vergangenheit immer wieder Stellung zu gesellschaftsrelevanten Themen bezogen, und das werden wir auch weiterhin tun.

Martin Luther hat vor 500 Jahren vor allem den Ablasshandel scharf kritisiert und damit die Reformation begründet. Welche Erscheinungen würde Martin Luther in der heutigen Gesellschaft anprangern?
Das Lebensthema Martin Luthers war ja unser Verhältnis zu Gott, unserem Schöpfer und himmlischen Vater. Dass dieses nicht angstbesetzt sein muss, sondern dass Gott in Jesus Christus freundlich auf uns zukommt und uns gnädig ist, war seine reformatorische Wieder-Entdeckung beim Bibellesen. Deshalb würde er meiner Meinung nach auch heutzutage den Glauben der Menschen in unserer Gesellschaft näher betrachten. Und wahrscheinlich würde er die Vermischung verschiedener Religionen und esoterischer Weltanschauungen im Glauben einiger Menschen kritisieren. Diese Haltung, sich sozusagen in einem "religiösen und weltanschaulichen Supermarkt" zu bedienen und sich aus jedem Bereich das auszusuchen, was einem gerade gefällt, würde er ablehnen.

Martin Luther war Mönch. In welcher Person würde er heute auftreten? Wo würden Sie sich heute vor allem einen Martin Luther wünschen?
Martin Luther war nur eine kurze Zeit in seinem Leben ein Mönch. Vor allem war er Professor für Theologie an der Wittenberger Universität. Darin war er richtig gut, denn er konnte auch schwierige theologische Inhalte so vermitteln, dass sie konkret und anschaulich wurden. "Man muss dem Volk aufs Maul schauen", also die gleiche Sprache sprechen wie die "normalen" Leute, war seine Devise bei der Übersetzung der Bibel. Er hat eine Sprache gefunden, die die Menschen seiner Zeit verstanden haben. Da könnten wir auch heutzutage noch viel von ihm lernen. Deshalb würde ich ihn mir auch heute wieder als Theologieprofessor wünschen.

Die Fragen stellte unser Redaktionsmitglied Klaus Schmitt