Jetzt ist Flexibilität gefragt: So wirkt sich Corona auf die Ausbildungssituation im Kreis Haßberge aus
Autor: Teresa Hirschberg
LKR Haßberge, Donnerstag, 05. November 2020
In lokalen Betrieben, aber auch unter den Ausbildungsanwärtern schafft Corona Unsicherheit. Trotzdem ist der Landkreis Haßberge weiterhin mit offenen Stellen überversorgt.
Nach dem Praktikum war die Enttäuschung zunächst groß: Als der 16-jährige Realschulabsolvent beim Eberner Bauhof nicht übernommen wurde, musste eine Alternative her. Nicht 08/15 sollte der Traumjob sein, dafür an der frischen Luft und körperlich anstrengend. Da kam Peter Stretz die zündende Idee: Wasserbauer beim Schweinfurter Schifffahrtsamt. Denn der Berufsberater weiß, wie häufig Jugendliche bei der Suche nach der optimalen Ausbildung Hilfe brauchen - seit Corona mehr denn je.
Keine persönlichen Gespräche und auch keine Schulbesuche: Mit dem ersten Lockdown ab dem 18. März begann auch für ihn eine neue Ära, erzählt Stretz. Normalerweise besucht er als einer von drei Berufsberatern im Landkreis Haßberge regelmäßig Mittelschulen und Realschulen, um den Schülern für die Berufswahl wichtige Tipps zu geben. Danach haben die Jugendlichen die Möglichkeit, sich freiwillig für Einzelgespräche anzumelden. Rund 90 Prozent würden auf dieses Angebot zurückgreifen.
Schüler fühlen sich zunehmend unsicher
Doch genau diese berufsorientierende Unterstützung fiel durch die Schulschließungen und späteren Zutrittsbeschränkungen weg. "Wir mussten also von uns aus auf die Schüler zugehen", sagt Stretz. Über die vorab gespeicherten Kontaktdaten boten er und seine beiden Kolleginnen zumindest telefonische Beratung an - und stießen auf viel Dankbarkeit. "Dieses Jahr habe ich festgestellt, dass mehr Abschlussschüler sagen, dass sie sich noch nicht entscheiden können, weil sie sich unsicher fühlen und keine Praktika machen konnten", berichtet Stretz. "Die Jugendlichen waren wie gelähmt in ihrem Berufswahlprozess." Nun mussten die Schulbesuche erneut vorübergehend unterbrochen werden. "Aber wir haben gute Signale vom Kultusministerium, dass wir ab nächster Woche wieder raus dürfen", versichert Stretz.
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Zu Beginn der Pandemie sei die Befürchtung groß gewesen, dass viele Betriebe die für den 1. September zugesagten Ausbildungsverträge wieder auflösen könnten. Aber: "Im Kreis Haßberge wurde kein einziger Vertrag wieder zurückgenommen", freut sich der Berufsberater. Corona habe zumindest in diesem Jahr den Ausbildungsmarkt noch nicht negativ beeinflusst.
"Wir haben von einigen Betrieben schon die Rückmeldung bekommen, dass sie nicht mehr so streng an ihren Bewerbungsfristen festhalten", erklärt Stretz weiter. "Sie haben nicht mehr die Auswahl an Bewerbern, die sie sich wünschen würden, und sind dadurch etwas flexibler."
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557 Ausbildungsstellen standen in diesem Jahr 467 Bewerbern zur Auswahl - das sind etwa 1,2 Stellen pro Jugendlichem. Seit 2017 gibt es im Landkreis Haßberge ein solches Überangebot an offenen Stellen, in Schweinfurt und Bamberg sei dieser Wendepunkt bereits einige Jahre früher eingetreten, sagt Stretz. "Es gibt noch einen Graumarkt, wenn Betriebe sagen, dass sie eine Stelle nicht melden möchten, oder wenn über ein Praktikum schon jemand dafür gefunden wurde."
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Dennoch sei die Zahl der Ausbildungsangebote im Vergleich zum Vorjahr um etwa zehn Prozent zurückgegangen. Ein Umstand, den Stretz auf den Lockdown und die damit verbundene Unsicherheit in den Betrieben zurückführt. Auch die Anzahl der Bewerber sank seit 2019 um etwa zehn Prozent. Der Berufsberater hat nachgerechnet: "Der gravierende Rückgang an Bewerberzahlen kommt aus dem Mittelschulbereich." Hier gab es heuer 32 weniger Absolventen als noch 2019. Dies liege zum einen am geburtenschwachen Jahrgang; einige Schüler hätten sich aber auch dafür entschieden, das Jahr freiwillig zu wiederholen oder nach dem Abschluss zunächst ein Angebot zur Berufsvorbereitung wahrgenommen.
Auch Schwächeren eine Chance geben
Mit 75 Prozent ist die Quote der Bewerber, die ihre betriebliche Ausbildung auch tatsächlich starten, überdurchschnittlich hoch - bayernweit liegt der Wert bei 57 Prozent. "Das zeigt, dass sich die Jugendlichen ordentlich bewerben. Aber auch, dass die Betriebe keine Bestenauslese mehr machen, sondern schwächeren Bewerbern ebenfalls eine Chance geben", meint Stretz.
Die Abbruchquote habe sich trotz Corona zum Vorjahr nicht verändert. Der 30. November sei ein wichtiger Stichtag, wenn in vielen Betrieben nach drei Monaten die Probezeit endet. "Aber auch bei den Jugendlichen, die ihre Ausbildung schon vor Längerem begonnen haben, ist kein Anstieg bei den Abbrüchen zu verzeichnen", sagt Franziska Schnitzer, Geschäftsstellenleiterin der Haßfurter Arbeitsagentur. "Sonst müssten sie sich bei uns als arbeitslos melden."
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Gastronomie, Handel, Lebensmittelverkauf, Kranken- und Altenpflege sowie Tief- und Hochbau zählen zu den Berufsbereichen, die einen deutlichen Bewerbermangel aufweisen. In der Verwaltung, Unternehmensorganisation und Chemie sieht es dagegen genau umgekehrt aus. "Manche Betriebe schreiben gar nichts mehr aus, weil sie denken: Es meldet sich ja sowieso niemand", sorgt sich Stretz. Er appelliert dennoch, alle offenen Stellen anzugeben. "Das macht für mich Heimat, Region und Zukunft aus, dass solche Dinge öffentlich gemacht werden."
3,3 Prozent beträgt die Arbeitslosenquote im Bereich Grundsicherung und Arbeitslosengeld I für den Landkreis Haßberge aktuell. Ab Oktober 2019 ist der Kundenbestand beim ALG I um 36 Prozent gewachsen, seit September 2020 ist wieder ein leichter Rückgang zu beobachten.
11.500 Anzeigen für Kurzarbeitergeld gibt es im Kreis Haßberge (geschätzter Wert). Für den gesamten Agenturbezirk Schweinfurt wurden 30 000 Anzeigen registriert. Wie viel Kurzarbeitergeld bezogen wird, zeigt sich erst nach drei Monaten. So lange hat der Arbeitgeber Zeit, den Antrag zu stellen.