"Hallo Herr Hitler, Warum?"

3 Min
Annis Vater wird bei einer Versammlung verwundet. Angeblich war es der Vater von ihrem Schulfreund Hansi. Ab da an, will sie ihren Freund nie mehr wieder sehen. Foto: Johanna Eckert
Annis Vater wird bei einer Versammlung verwundet. Angeblich war es der Vater von ihrem Schulfreund Hansi. Ab da an, will sie ihren Freund nie mehr wieder sehen.  Foto: Johanna Eckert
Hansi und Anni müssen sich ausruhen. Das Marschieren in der Hitler-Jugend macht ihnen zu schaffen. Foto: Johanna Eckert
Hansi und Anni müssen sich ausruhen. Das Marschieren in der Hitler-Jugend macht ihnen zu schaffen. Foto: Johanna Eckert
 
Seitdem Anni weiß, dass ihr Vater tot ist, will sie keinen Geburtstag mehr feiern. Ihre Mutter versucht dennoch, die Normalität zu bewahren und schenkt ihr eien Kuchen zum 15. Geburtstag. Foto: Johanna Eckert
Seitdem Anni weiß, dass ihr Vater tot ist, will sie keinen Geburtstag mehr feiern. Ihre Mutter versucht dennoch, die Normalität zu bewahren und schenkt ihr eien Kuchen zum 15. Geburtstag. Foto: Johanna Eckert
 
Für viele Ereignisse sucht Anni Gründe Doch ihr "Warum?" bleibt stets unbeantwortet. Foto: Johanna Eckert
Für viele Ereignisse sucht Anni Gründe Doch ihr "Warum?" bleibt stets unbeantwortet. Foto: Johanna Eckert
 
Ihre Mutter versucht Anni zu erklären, was Hitler für ein Mensch. Aber das junge Mädchen will es selbst herausfinden. Die Mutter weiß, dass es ihre Tochter nicht lange in der Hitler-Jugend aushalten wird. Foto: Johanna Eckert
Ihre Mutter versucht Anni zu erklären, was Hitler für ein Mensch. Aber das junge Mädchen will es selbst herausfinden. Die Mutter weiß, dass es ihre Tochter nicht lange in der Hitler-Jugend aushalten wird. Foto: Johanna Eckert
 
Aufmerksam verfolgten die Schülerinnen und Schüler das Theaterstück. Jeder hatte so seine Lieblingsszene. Im Nachgespräch konnte mit den Schauspielern darüber diskutiert werden. Foto: Johanna Eckert
Aufmerksam verfolgten die Schülerinnen und Schüler das Theaterstück. Jeder hatte so seine Lieblingsszene. Im Nachgespräch konnte mit den Schauspielern darüber diskutiert werden. Foto: Johanna Eckert
 
Immer wieder verfasst Anni ihre Fragen an Hitler in Briefe. Aber nie schickt sie einen Brief wirklich ab.
Immer wieder verfasst Anni ihre Fragen an Hitler in Briefe. Aber nie schickt sie einen Brief wirklich ab.
 
Im KZ wird Anni zu einer Nummer. Beeindrückend düster ist das Bühnenbild aus Koffern aufgebaut.
Im KZ wird Anni zu einer Nummer. Beeindrückend düster ist das Bühnenbild aus Koffern aufgebaut.
 

Ein aufrüttelndes Theaterstück an der Mittelschule in Ebern prangerte die Menschenverachtung unter dem NS-Regime an und animierte die Schüler, die Augen vor Unrecht nicht zu verschließen.

Das Theaterstück "ÜBERdasLEBEN oder meine Geburtstage mit dem Führer" lockte am Mittwoch knapp 450 Schüler der siebten bis zehnten Klassen in die Mittelschule nach Ebern. Der Widerstand im Nationalsozialismus stand im Mittelpunkt.
Der Zweite Weltkrieg und die Ära Hitler - ein grauenhaftes Kapitel in der Geschichte. Damals gab es Opfer, Täter und viele Zuschauer. Das soll heute nicht mehr passieren. "Dass ihr nicht alles einfach so mitmacht, wünsche ich euch. Sondern dass ihr überlegt, hinter was ihr steht und dementsprechend auch reagiert", sagte Siegfried Weidlich vom Evangelischen Dekanatsjugendreferat Rügheim den Jugendlichen. Sich aktiv gegen Ungerechtigkeit zu wehren, ist auch die Botschaft des Schauspielensembles aus Witten.
Mit Heike Czehmann, Jugendsozialarbeiterin an der Mittelschule Ebern, hat er die Künstler in Begleitung der Duisburger Philharmoniker engagiert.

Letzte Andenken

Eine Blockflöte und eine Milchkanne - das ist noch übrig aus ihrer Vergangenheit. Die alte Anni holt beides aus einem großen braunen Koffer, mitten aus einem großen Koffer-Berg, der das Bühnenbild ist.
Und dann springt die Geschichte zurück, gut 80 Jahre. Es ist der 20. April 1933. Anni wird neun Jahre alt. Es gibt Kuchen und Blumen. Ihre Eltern tanzen fröhlich durch die Wohnung. Der Musiklehrer Herr Liebmann spielt ein Ständchen. Ein Freund der Familie erzählt Anni, dass an diesem Tag auch ein Mann namens Hitler Geburtstag hat. Anni freut das und schreibt dem ihr noch unbekannte Mann: "Vielleicht können wir ja mal zusammen feiern?"

Im Strudel der Geschichte

Das war der letzte halbwegs "normale" Geburtstag. Von da an geraten Anni, ihre Freunde und ihre Eltern immer mehr in den Strudel der historischen Ereignisse. Einige von ihnen werden Anhänger der NS-Diktatur und marschieren mit, so wie Annis Freund Hansi. "Hansi, willst du wohl in den Krieg gehen? Wo ist denn überhaupt ein Krieg?", fragt Anni ihren Freund, der sich ganz eifrig bei der Hitler-Jugend engagiert. "Keine Ahnung, wo Krieg ist. Aber der Führer wird es mir schon rechtzeitig sagen", entgegnet ihr Hansi.
Anni kann der Masse nicht entgegen stehen. Sie hat sich angestrengt, auch wenn sie es eigentlich überhaupt nicht wollte. Sie hat alles mitgemacht, sogar die Sache mit der Beschimpfung ihres Musiklehrer Liebmanns, beichtet sie ihrer Mutter. "Und weil alle schrien, musste ich ja auch schreien. Erst ganz leise, dann immer lauter: Er ist Jude, er ist Jude!", erzählt Anni verzweifelt.

Juden als Sündenbock

Die Schüler in der Aula der Mittelschule in Ebern suchen nach Erklärungen für die Judenverfolgung. "Hitler hat einfach einen Sündenbock gebraucht. Die Juden hatten viele Eigenheiten, um die sie beneidet wurden", erklärt Beate Albrecht, die das Stück inszeniert hat und eindrucksvoll Annis Mutter auf der Bühne verkörpert. "Zudem wollte Hitler eine arische Rasse züchten und da haben seiner Meinung nach die Juden nicht dazu gepasst. Nicht nur Juden wurden im Dritten Reich verfolgt: auch Roma und Sinti, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle und auch Menschen, die ihre Meinung sagten.
So auch Annis Vater, der politisch linksorientiert war. Zunächst wird er von den "Braunen" bei einer Versammlung verwundet. Anni kann es nicht fassen. Gerne würde sie diesen Herrn Hitler mal kennenlernen und fragen: "Magst du überhaupt Menschen?". Kurze Zeit später kommen die Männer mit den schwarzen Stiefeln, durchwühlen die Wohnung der Familie und holen den Vater ab. Mit diesem Ereignis treten Annis Geburtstage Jahr für Jahr immer mehr in den Hintergrund.

Sie will keinen Kuchen mehr und auch keine Kerzen auspusten. Sie kann nicht feiern. "Hallo Herr Hitler, Warum?", kommt ihr immer wieder in den Kopf. Ihr Vater wird auf der Flucht erschossen.
Mit ihrem 15. Geburtstag fühlt sich Anni auf den Schlag erwachsen. Sie hat einen starken Charakter. Sie wartet nicht, "bis der Spuk vorbei ist". Sondern sie steht für das ein, was sie glaubt und schließt sich einer Gruppe von Jugendlichen an, die auf den Drill der Hitlerjugend keine Lust hat.
Anfangs noch in Auflehnung gegen die Gleichmacherei, tritt die Gruppe mehr und mehr in den aktiven Widerstand. Als Anni jedoch gefangen genommen wird, entwickelt sich ihr Kampf um ein gerechtes Leben zu einem Kampf ums Überleben. Ihr wird der Name genommen und sie bekommt eine Nummer. Ihre Familie hat sie verloren. Nur ein Koffer mit zwei, drei Dingen bleiben ihr für den Neuanfang.

Analogien zum Heute

"Auch heute gibt es ähnliche Situationen. Als wir mit einer Schulklasse im Gespräch waren, kam das Thema Mobbing auf. Das ist nichts anderes", motivieren die Schauspieler ihr Publikum, über die Thematik nachzudenken.
"Die Musik, die unser Schauspiel untermalt hat, war keine handelsübliche Fahrstuhlmusik", bringt der Schauspieler Florian Walter den Jugendlichen näher. "Auch uns haben Angesichts von Terror und Unmenschlichkeit die Worte gefehlt."

Arbeit mit Zeitzeugen

"Zusammen mit Zeitzeugen haben wir dieses Theaterstück geschaffen. Wir haben viel recherchiert und mit ehemaligen Insassen des KZ Ravensbrück Gespräche über die Zeit des Nationalsozialismus geführt", erzählt Beate Albrecht beeindruckend von der Phase der Konzeption des Theaterstücks. "Somit hat auch jede Szene einen realistischen Hintergrund." Eine tieftraurige, klangvolle Reise in die Vergangenheit, erzählt von Schicksalen, Freundschaften und Feindschaften, die verdeutlicht, dass es nötig ist, jeden Tag für Demokratie und Menschlichkeit einzutreten - auch heute noch.