Fränkin lernt im Auslandssemester Sibirien kennen

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Ein Festbankett hatten die russlanddeutschen Frauen vorbereitet. Von rechts: die beiden "Omas", die Kommilitonen Felix und Roman, Lukas, dann ein weiterer Dolmetscher, Lena Schuster und die Koordinatorin des Goethe-Instituts vor Ort. Fotos: Lena Schuster
Ein Festbankett hatten die russlanddeutschen Frauen vorbereitet. Von rechts: die beiden "Omas", die Kommilitonen Felix und Roman, Lukas, dann ein weiterer Dolmetscher, Lena Schuster und die Koordinatorin des Goethe-Instituts vor Ort. Fotos: Lena Schuster
Der alte Gas-Bus
Der alte Gas-Bus
 
Liebevoll verziertes altes russisches Häuschen
Liebevoll verziertes altes russisches Häuschen
 
Lena mit dem olympischen Feuer.
Lena mit dem olympischen Feuer.
 

Die 21-jährige Lena Schuster aus Untersteinbach lernt gegenwärtig ein Land kennen, das viel zu bieten hat. Die Menschen haben ein großes Herz, an jeder Ecke gibt es etwas zu bestaunen und zu entdecken. Die junge Frau aus dem Steigerwald fühlt sich in einem "Winterwonderland".

Die meisten jungen Leute zieht es heute nach Asien oder Amerika - einen ganz eigenen Kopf hat die 21-jährige Lena Schuster aus dem Rauhenebracher Gemeindeteil Untersteinbach. Sie lernt seit acht Monaten Russisch und vertieft gerade ihre Sprachkenntnisse in Sibirien. Ja, Sibirien. Es gibt möglicherweise nettere Flecken auf dieser Welt, und doch erlebt Lena Schuster dort aufregende Tage, die sie begeistern, wie sie unserer Zeitung berichtet.

Sie studiert Europastudien mit wirtschaftlichem Schwerpunkt und Bezug auf Osteuropa an der Technischen Universität Chemnitz. Wegen des osteuropäischen Schwerpunkts muss sie eine osteuropäische Sprache lernen, ihre Wahl fiel auf Russisch. Klar, schließlich kann die junge Frau bereits Englisch, Französisch und Spanisch, da "wollte ich endlich mal eine slawische Sprache lernen", meint sie.

"Warum Russland? Mich hat schon immer fasziniert, eben nicht in diese Länder zu reisen, wo jeder Zweite gerne studieren oder Urlaub machen will. Und nach meinen Aufenthalten in Mazedonien, Kosovo, Estland, Weißrussland und Bulgarien habe ich mir dann gedacht: Ich bin abgehärtet, Russland kann kommen", erzählt die 21-Jährige.

"Alles außer Sibirien"

Und warum Sibirien? Lena: "Naja, also das war nicht wirklich so geplant. Ich bin ins Auslandsbüro zu meiner Uni und meinte: ,Ich will ein Auslandssemester in Russland machen und ich will überall hin, außer nach Sibirien, da ist es mir zu kalt!‘ Dann habe ich aber erfahren, welche guten Beziehungen die TU Chemnitz zur Polytechnischen Universität in Tomsk hat und wie viele gute Erfahrungen ehemalige Studenten mit der Tomsker Uni gemacht haben, und letztendlich war mir das wichtiger als das Wetter. Und ich bereue es nicht! Die Betreuung hier ist erstklassig!" Lena Schuster studiert in Tomsk Wirtschaft (auf Englisch).

Lena Schuster hat hier bereits einige Situationen gemeistert, wie sie auch in ihrem Blog im Internet berichtet. So berichtete sie bei der Robert-Bosch-Stiftung russischen Studenten von ihren Projekten in Deutschland, etwa über Möglichkeiten des Freiwilligendienstes in Deutschland und Europa. Sie wagte die Nagelprobe: "Nur Deutsche haben bei der Plakataktion mitgemacht und jeder hatte einen Dolmetscher für Russisch neben sich stehen, außer ... ich!" So wechselte sie zwischen Deutsch und Russisch hin- und her und meisterte voller Ehrgeiz - und mit ein wenig Vorbereitung - die Lage.

Keine Zeit!

Am Ende sagte ihr ein Geschichtsprofessor erstaunt: Er habe noch nie jemanden getroffen, der nach acht Monaten bereits so gut sprechen könne, zumal die Sprache als die drittschwerste der Welt gilt. Er lud Lena Schuster gleich ein, an seiner Fakultät ein Seminar abzuhalten über Migration. "Insgeheim hoffe ich aber, dass der das wieder vergisst, weil ich erstens keine Zeit habe und zweitens keine Zeit habe und drittens keine Zeit habe." Denn Sibirien ist so spannend. So ist die Untersteinbacherin auch schon aufgebrochen zu einer Fahrt 60 Kilometer über Land für ein Interview. Mit Unterstützung des deutschen Goethe-Instituts besuchte sie mit Kommilitonen Russlanddeutsche und befragte sie zu ihrem Leben, ihrer Geschichte, ihrer Identität.

Im Vorfeld gab es einen Vortrag eines russlanddeutschen Professors, der an der Uni Tomsk lehrt. "Ich kann ja eigentlich nicht zwei Stunden am Stück zuhören, aber dieser Mann hat es geschafft!" Viele in Deutschland, findet sie, wissen nur sehr wenig darüber, was damals und heute mit Russlanddeutschen passiert.

Das Goethe-Institut hatte den Kontakt hergestellt. Los ging es mit Dolmetscherin Darja - "unser Team war perfekt" - an einem Sonntagmorgen am Busbahnhof mit einem Gas-Bus ("Schrottkiste, die für mich allerweil ganz normal aussieht"). Eineinhalb Stunden später am Melnikovo-Busbahnhof. "Der hatte was von den 50ern/60ern, war irgendwie spannend, wie in einer Zeitreise." Vorbei kamen die Jugendlichen an sibirischen, liebevoll verzierten Häuschen: "einfach wunderschön!"

Oma mit Verstärkung

Eigentlich war das Treffen mit einer älteren Frau ausgemacht worden, begrüßt wurden sie von "zwei Omas", die sie in ihr Haus führten; alles "wirklich sauber, alles natürlich ein bisschen älter als in Deutschland, aber macht ja nichts. Blümchentapeten und Blümchenteppich haben das kitschig-schöne Haus gemütlich gemacht. - Als wir ins Wohnzimmer sind, hat uns schier der Schlag getroffen: Die hatten ein richtiges Festmahl für uns gekocht! So was ist einfach die typische russische Gastfreundlichkeit, die ich in Deutschland so noch nie erlebt habe."

Fleischklöße, Frikadellen, Kartoffeln mit gebratenen Zwiebeln, fünf Salate ... Lena schmunzelt: "Die eine Oma hat gar nicht verstanden, warum ich kein Fleisch esse, und meinte, da würden mir ja die ganzen Vi tamine fehlen ... Aber als sie mich gefragt haben, ob ich als Vegetarierin auch Kuchen esse und ich bejaht habe, waren sie ganz glücklich!" Zweiter Gang: Kuchen, noch ein Kuchen, Erdbeergrütze, verschiedene Sorten Käse, gezuckerte Kondensmilch und ganz viel Tee: "Mann, waren wir satt danach."

Lena Schuster war so beeindruckt, dass sie es sogar über sich brachte, die auf ihren Teller gepackte Rote Bete zu essen, obwohl sie die nun gar nicht mochte. "Danach haben wir uns endlich dem gewidmet, wofür wir eigentlich da waren: dem Interview." Die Studenten erfuhren, dass "die Eltern aus Saratov (an der Wolga, da wohnten die meisten) kamen. Als Deutschland Russland überfallen hatte (1941), kamen Offiziere zu ihrem Haus und meinten, sie wären alle Faschisten und Verräter und müssten innerhalb von 24 Stunden alles packen und abhauen. Das Groteske an der Sache war, dass die Russlanddeutschen, seitdem sie nach Russland übersiedelt waren, durch die Zarin Katharina die Große im 18. Jahrhundert treu dem russischen Staat gedient haben, selbst in diversen Kriegen, und sich gar nicht mehr als Deutsche identifizierten ... aber als der Krieg anfing, waren sie dann plötzlich die Faschisten." Sie wurden in Züge gesteckt und gen Osten gefahren, weit, weit weg. Viele verloren ihre Familienangehörigen, trafen diese erst nach Jahrzehnten wieder. In Sibirien wurden sie angesiedelt: im Omsker Oblast, Altai-Gebirge, Novosibirsker Oblast und Tomsker Oblast.

Will mit Deutschen nichts zu tun haben

Eine Frau berichtete, dass sie, als sie in die Schule kam, kein Russisch konnte, weil ihre Eltern daheim nur deutsch redeten. Und als sie einen russischen Mann gefunden hatte, gab es Ärger mit dem Vater, der sich lieber einen deutschen Schwiegersohn gewünscht hätte - "schwierig, da es nur noch zwei deutsche Männer in ihrem Dorf gab, die sie beide blöd fand". Heute lebt sie hier mit ihrem Mann. Der war nicht da: Er wollte mit Deutschen nichts zu tun haben.

Lena Schuster faszinierte auch die Sprache: "Ihre Vorfahren stammten aus Hessen, deswegen hat sie noch diesen hessischen Dialekt geredet, den man vor 250 Jahren dort gesprochen hat! Das hat sich so lustig angehört, man musste genau hinhören, um alles zu verstehen! Unsere arme russische Dolmetscherin hat nur noch Bahnhof verstanden ..." Lena Schuster bilanziert: "Insgesamt war der Tag bei den Omas einer der interessantesten Tage hier in Tomsk!" Keine Frage, dass die dünnen jungen Leute nicht fort durften ohne Proviant: "Mit leeren Händen gekommen, vollbepackt bis zum Gehtnichtmehr gegangen, das war wie eine vorweihnachtliche Bescherung."

Zuletzt: "Trotz Erschöpfung haben wir's uns nicht nehmen lassen, das olympische Feuer von Sotschi 2014 in nächster Nähe anzuschauen. Denn: Kaum zu glauben, aber es ist für sechs Stunden nach Tomsk gekommen. Natürlich war die Hälfte der Straßen gesperrt und ein extrem hohes Polizeiaufgebot. Ich hab mich durch die Menge gerangelt und ein Bild mit dem Fackelmann bekommen. Ich hab die olympische Fackel sogar anfassen dürfen! Und der Fackelträger ist dann weggerannt!"