Die etwas andere Lindenstraße: Weniger Tragödie, mehr Gemeinschaft

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Foto: Marian Hamacher
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Harald Pfaff Foto: Marian Hamacher
Harald Pfaff Foto: Marian Hamacher
 
Heribert Moser Foto: Marian Hamacher
Heribert Moser Foto: Marian Hamacher
 
Die Linde, die der Straße ihren Namen gab. Foto: Marian Hamacher
Die Linde, die der Straße ihren Namen gab. Foto: Marian Hamacher
 
Foto: Marian Hamacher
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Anders als in der in München spielenden Seifenoper geht es in der Fatschenbrunner Lindenstraße deutlich beschaulicher zu. Zwar ist die kurze Straße schnell durchlaufen, einige Parallelen sind dennoch zu finden.

Sanft trommeln die Regentropfen auf den Asphalt. Mehr ist nicht zu hören - äußerlich jedenfalls. In vielen Köpfen dürfte hingegen fast reflexhaft Mundharmonika-Musik einsetzen, sobald das Straßenschild ins Blickfeld gerät: "Lindenstraße" steht in schwarzer, serifenloser Schrift auf dem nicht mehr ganz so weißen Grund. Selbst wer der ARD-Seifenoper ablehnend gegenübersteht, kann die vom Erfinder der Serie, Hans W. Geißendörfer, eingespielte Titelmusik wohl schon nach den ersten Tönen mitpfeifen. Heute vor 30 Jahren flimmerte die Vorabendserie erstmals über die Bildschirme der Republik. Seitdem hat sie nicht nur akustisch Spuren hinterlassen.

Auch bei Tanja Stubenrauch. Die 26-Jährige wurde zwar erst geboren, als die Serie schon vier Jahre auf dem Buckel und die Fernseh-Tode von gleich acht Darstellern hinter sich hatte, doch für sie spielt die TV-Soap eine größere Rolle als ihr lieb ist. "Mein Mann schaut nicht nur jeden Sonntag die neuen Folgen, sondern auch täglich die Wiederholungen im Digitalfernsehen", sagt Stubenrauch und fügt lachend hinzu: "Das ist fürchterlich. Ich hasse es." Während sonntags das Abendessen warten muss, bis der Abspann ertönt ist, zögert die Serie unter der Woche die Mittagsmahlzeit hinaus. "Das ist wirklich ganz ungünstig terminiert", sagt die 26-Jährige. Sie bekomme dann stets zu hören: "Nur noch fünf Minuten, ist gleich vorbei."

Seit fast sechs Jahren wohnt sie mit ihrem Mann Manuel (33) samt Nachwuchs im Haus mit der Nummer 3, Deutschlands wohl berühmtester Adresse. Allerdings nicht in München, sondern in dem Oberauracher 274-Seelen-Gemeindeteil Fatschenbrunn.

2012 riefen die Serienfiguren Caro und Josi zu einem Flashmob vor jedem Gebäude mit dieser Adresse auf, um gegen den Klimawandel zu protestieren. Schon in Bayerns Landeshauptstadt machten sich gerade einmal eine Handvoll Fans und Klimaschützer auf den Weg in die dortige Lindenstraße, um mit Smartphones und Taschenlampen gegen 18 Uhr ein SOS-Signal in den Vorabend-Himmel zu senden. Kein Wunder, dass im Steigerwald an diesem Tag außer den Straßenlaternen keine anderen Lichtquellen auftauchten. "Davon haben wir nichts mitbekommen", sagt Stubenrauch.


Friedliche Alternativwelt

Ende der 80er Jahre hätte das womöglich anders ausgesehen. Über 15 Millionen Zuschauer entschieden sich zu Zeiten des Kalten Kriegs dazu, Familie Beimer und Co. allwöchentlich durch die friedlichere Alternativwelt zu begleiten. Inzwischen greifen nur noch zwischen zwei und drei Millionen Zuschauern pünktlich zur Fernbedienung. Zu ihnen gehört Harald Pfaff nur noch selten. Der Schreinermeister ist in der Lindenstraße groß geworden und arbeitet wenige Meter vom Haus der Familie Stubenrauch entfernt in der Werkstatt seines Bruders Manfred. "Bis vor zehn Jahren habe ich die Serie öfters geschaut, inzwischen bleibe ich höchstens noch einmal kurz hängen", sagt der 52-Jährige, den besonders interessierte, welche Tragödien die Macher sich für die Serien-Familien als nächstes einfallen ließen.

Nachhaltig in Erinnerung geblieben ist ihm das Schicksal Ludwig Dresslers. Der TV-Arzt wurde 1989 in Folge 169 von einem Auto angefahren, weshalb er seitdem in einem Rollstuhl sitzt. Doch das ist inzwischen auch schon wieder so lange her, dass Pfaff gar nicht mehr auf den Namen "dieses Doktors" kommt.

Obwohl die Lindenstraße im beschaulichen Fatschenbrunn in wenigen Minuten durchlaufen ist, lassen sich offenbar dennoch Parallelen ziehen. Denn während im Fernsehen die wichtigsten Alltagsthemen im griechischen Restaurant "Akropolis" bei einem Bier ausdiskutiert wurden, fand der Fatschenbrunner Stammtisch jahrzehntelang im "Lindenhof" Unterschlupf. "Der ist aber leider nur noch für Pensionsgäste offen", erklärt Pfaff, der die starke Gemeinschaft sowohl in der Straße als auch im Ort schätzt. "In der Großstadt weiß man teilweise nicht einmal, wer zwei Häuser weiter wohnt. Hier ist der Zusammenhalt wahrscheinlich deutlich größer", sagt der 52-Jährige, dessen Schwägerin für eine ältere Nachbarin, die nach einem Unfall nicht mehr so gut zu Fuß ist, einkaufen geht.


Späte Namensgebung

Wie Pfaff wohnte auch Heribert Moser schon in der fränkischen Lindenstraße, als die noch gar nicht so hieß. "Bis zur Gebietsreform, aus der Oberaurach entstand, gab es hier nur Hausnummern", erinnert sich der 77-Jährige, der 1965 sein Haus bezog. Sieben Jahre später hat die Straße wegen der vor der nahen Kirche St. Michael stehenden Linde ihren Namen erhalten. "Ach, das wusste ich gar nicht", sagt Tanja Stubenrauch dazu überrascht.
Die am Sonntag ausgestrahlte Jubiläumsfolge hat sie sich nicht angesehen. "Ich habe daheim genug Chaos, da brauche ich das nicht auch noch im Fernsehen", sagt sie und grinst.