Die Dämmerung und die immer weiter steigende Zahl von Einbrüchen machen Menschen Angst. Immer mehr legen sich gefährliche CS-Sprays zur Selbstverteidigung zu oder beantragen sogar den Kleinen Waffenschein. Dazu ein Standpunkt von Klaus Schmitt.
Die Franken verspüren ein gesteigertes Bedürfnis nach Sicherheit. Immer mehr holen sich Pfeffersprays und Schreckschusspistolen ins Haus. Das wird auch gegenüber dieser Zeitung bestätigt. "Die Menschheit hat Angst", erklärt ein Mann, der anonym bleiben möchte. Waffenhändler aus der Region gehen Gesprächen derzeit aus dem Weg, geben keine Auskunft. Aber Fakt ist, dass Privatkunden vermehrt kaufen, was an frei verkäuflichen Waffen und Verteidigungsmitteln angeboten wird: Pfefferspray, CS-Gas, Schreckschusspistolen.
Kein Blatt vor den Mund nimmt der Verband deutscher Büchsenmacher und Waffenhändler (VDB). "Das persönliche Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung ist enorm gestiegen", sagt Ingo Meinhard vom VDB.
Das unterstreichen auch Ergebnisse einer Telefonumfrage unter den VDB-Mitgliedern. Der Absatz an frei verkäuflichen Verteidigungsmitteln habe sich heuer im Schnitt verdoppelt, einige Geschäftsleute verkauften gar die vierfache Menge. Vor allem nach den Terroranschlägen von Paris gebe es mehr Menschen, die Waffengeschäfte aufsuchen und sich dort beraten lassen. "Die Leute erklären, sie würden sich unsicher fühlen", sagt Ingo Meinhard.
Diese Entwicklung untermauern offizielle Zahlen. Das bayerische Innenministerium bestätigt einen Zuwachs bei der Erteilung der sogenannten Kleinen Waffenscheine, die dazu berechtigen, dass man Schreckschusswaffen mit sich führen darf. Ende Oktober 2015 gab es laut Statistik 46 690 solcher Berechtigungen - 3161 mehr als noch ein Jahr zuvor. Über die Gründe, die zu dieser Zunahme führten, schweigt das Ministerium: "Hierzu liegen uns keine Erkenntnisse vor", heißt es dazu lediglich auf eine Anfrage der Redaktion.
In Nürnberg hat sich die Zahl der neu ausgegebenen Kleinen Waffenscheine in diesem Jahr im Vergleich zu 2014 ebenfalls fast verdoppelt. Signifikant ist die Zahl der Kleinen Waffenschein auch im benachbarten Schweinfurt gestiegen.
Im Landkreis Haßberge ist ein ähnlicher, aber abgeschwächter Trend zu beobachten. Im Jahr 2015 hat das Landratsamt Haßberge in Haßfurt etwas mehr Kleine Waffenscheine ausgestellt als in den Jahren zuvor. Aber auffällig ist die Zahl nicht nach oben gegangen, bestätigte Ullrich Nembach vom Sachgebiet öffentliche Sicherheit und Ordnung des Landratsamtes unserer Zeitung.
Genaue Daten liegen derzeit nicht vor. Nach Nembachs Angaben hat die Behörde in der Kreisstadt in den vergangenen Jahren durchschnittlich 30 bis 50 Kleine Waffenscheine pro Jahr ausgestellt.
Was die Leute dazu bewegt, kann der Experte nicht sagen. "Wir hinterfragen das nicht", erklärt er zur Vorgehensweise. Anders als bei der Waffenbesitzkarte, für die angehende Waffenbesitzer ein berechtigtes Interesse nachweisen müssen. Ullrich Nembach vermutet, dass für den Kleinen Waffenschein vielfach der Wunsch nach einer Schreckschusspistole für die Silvesterknallerei ein Motiv ist.
Peter Schall ist bayerischer Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei; er meint zu dieser Aufrüstung privater Haushalte mit dem Kleinen Waffenschein: "Hier kann es durchaus sein, dass die Bürger glauben, sich gerade nachts mal wehren zu müssen. Es ist ja nun selbst auf dem Land so, dass Fremde ins Blickfeld rücken, da die Flüchtlinge flächenmäßig verteilt werden müssen."
Auch wenn die polizeilichen Statistiken nichts dafür hergeben, scheint das Sicherheitsgefühl bei dem einen oder anderen doch beeinträchtigt zu sein. Ursache dafür sind nach Meinung von Peter Schall die vielen bösartigen Mails und Einträge in sozialen Netzwerken, mit denen massiv Stimmung gegen die Flüchtlinge gemacht und Kriminalität herbeigeschrieben werde. "Genau diese Gerüchte führen aber dazu, dass der Bürger glaubt, sich bewaffnen zu müssen", meint Schall. Es geht also um Angst.
Der stellvertretende Chef der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, bestätigt die Meinung von Peter Schall: "Offenbar gibt es in der Bevölkerung ein gesunkenes Sicherheitsgefühl und den Eindruck, man müsse seinen Schutz selbst in die Hand nehmen. Das kann schnell Züge von Selbstjustiz annehmen. Ich halte das für gefährlich."
Zu den meistverkauften Artikeln zählt übrigens ein CS-Gas-Spray. Die 40 Milliliter gibt es für zehn Euro. 90 Prozent der Kunden sind Frauen, eine schreibt sogar auf Amazon: "Habe dieses Spray gleich für die ganze Nachbarschaft bestellt, da es eine gute Bewertung hat." Zudem heißt es: "Ich schlafe besser, wenn ich ein Abwehrspray neben dem Bett habe."
Das schnell wirkende Pfefferspray ist in Deutschland ausschließlich zur Tierabwehr zugelassen. Nur dann sind der Besitz und das Mitnehmen in der Öffentlichkeit erlaubt. Das gilt auch für alle Varianten wie Pfeffergel und Pfefferschaum. Gegen Menschen darf es nur in einer Notwehrsituation eingesetzt werden, wenn kein anderes geeignetes Mittel zur Verfügung steht.
Ein Hersteller verzeichnete in diesem Herbst einen um 600 Prozent gestiegenen Absatz von Pfefferspray. Besonders die handlichen Modelle würden in großen Mengen nachgeordert.
Informationen zum Kleinen Waffenschein:
Schreckschusswaffen Der sogenannte Kleine Waffenschein wurde im Oktober 2002 eingeführt und berechtigt zum Führen von Signal-, Reizstoff- und Schreckschusswaffen. Diese müssen allerdings mit dem PTB-Prüfzeichen versehen sein. Zum bloßen Erwerb einer Waffe mit dem PTB-Zeichen F genügt in Deutschland die Volljährigkeit, und auch der Besitz ist erlaubnisfrei.
Eignungsprüfung Folgende Kriterien werden an den Antragsteller eines Kleinen Waffenscheins gestellt: keine Vorstrafen (höchstens eine Freiheits-, Jugend- oder Geldstrafe von weniger als 60 Tagessätzen), eine fachgerechte Aufbewahrung der Waffen, Mindestalter 18 Jahre sowie keine Drogen- und Alkoholabhängigkeit. Ferner darf keine psychische Beeinträchtigung vorliegen.
Kosten Der Kleine Waffenschein wird von den Landratsämtern in den Landkreisen oder den Verwaltungen der kreisfreien Städte ausgestellt. Die Erlaubnis wird alle drei Jahre geprüft. Die Kosten sind auf 30 bis 150 Euro gestaffelt.
Unterschied Im Gegensatz zum Kleinen Waffenschein gibt es den richtigen Waffenschein. Das ist die Waffenbesitzkarte. Die brauchen zum Beispiel Jäger oder Sportschützen. Ohne die Karte gibt es keine scharfen Waffen. Hier prüfen die Behörden auch das Bedürfnis, also den Grund für den Waffenbesitz. Zum Beispiel bei einem Jäger oder einem Schützen.
Schutz In der Fachsprache gibt es auch noch den sogenannten Großen Waffenschein. Den brauchen Personen, die eine Waffe zu ihrem persönlichen Schutz mit sich führen, etwa Politiker oder andere gefährdete Leute. pg/ks
Kommentar von Klaus Schmitt: Trügerisches und gefährliches Sicherheitsgefühl
Einmal im Jahr, meist im Frühling, lädt die Polizei im Landkreis zur Pressekonferenz ein und gibt die Zahlen der aktuellen Kriminalstatistik bekannt. Der Tenor ist seit Jahrzehnten der gleiche: Die Bürger im Landkreis Haßberge können sich sicher fühlen und sie leben sicher.
Die Zahlen, die weitgehend stabil bleiben, belegen dies. Auch wenn es mal den einen oder anderen Ausreißer nach oben oder unten gibt.
Die Statistiken passen nun aber überhaupt nicht zu dem Trend, dass Privatleute aufrüsten mit Schreckschusswaffen, Reizgas oder Pfefferspray. Neigen die Menschen zur Hysterie? Wie auch immer: Solche erlaubten Waffen sind gefährlich und vermitteln ein trügerisches Sicherheitsgefühl. Was passiert, wenn man mit seiner Schreckschusspistole im Haus einen Einbrecher überrascht hat, der eine scharfe Waffe mit sich führt? Wenn man Glück hat, haut der Gauner ab. Wenn man Pech hat ... Die Sicherheit der Bürger ist Aufgabe der Polizei. Schützen kann man sich anders und wirkungsvoller.