3. Oktober 1990: "Ist das nicht ein herrlicher Tag?"

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Franz Geuß studiert eine Notiz und einen Artikel über den Auftritt von Otto von Habsburg am 3. Oktober 1990 im Festzelt auf dem einstigen Todesstreifen zwischen Allertshausen und Hellingen. Foto: Ralf Kestel
Franz Geuß studiert eine Notiz und einen Artikel über den Auftritt von Otto von Habsburg am 3. Oktober 1990 im Festzelt auf dem einstigen Todesstreifen zwischen Allertshausen und Hellingen. Foto: Ralf Kestel
Otto von Habsburg (vorne mittig) bei der Wiedervereinigungsfeier am 3. Oktober 1990 mit dem damaligen Staatssekretär Albert Meyer, Landrat Rudolf Handwerker und dem jetzigen Landrat von Hildburghausen, Thomas Müller. FT-Archivfoto: Eckehard Kiesewetter
Otto von Habsburg (vorne mittig) bei der Wiedervereinigungsfeier am 3. Oktober 1990 mit dem damaligen Staatssekretär Albert Meyer, Landrat Rudolf Handwerker und dem jetzigen Landrat von Hildburghausen, Thomas Müller. FT-Archivfoto: Eckehard Kiesewetter
 

Der Ehrenvorsitzende der Eberner CSU, Franz Geuß, stammt aus Lindenau in Thüringen, wuchs aber im Westen unmittelbar am Grenzzaun auf. Er erinnert sich an diese Zeit und die Freude, als er wieder nach Heldburg durfte.

Den kleinen Grenzverkehr hat er sprichwörtlich und aktiv betrieben: Franz Geuß war zum Ende des Zweiten Weltkrieges ein sechs Jahre alter Knilch. Er lebte mit seinen Eltern in Lindenau im Heldburger Unterland, wuchs aber mehr bei den Großeltern im oberfränkischen Gleismuthhausen auf. Besonders der Opa, der zwei Jahre im KZ Dachau eingesperrt war, hat ihn sehr geprägt.

Die Flucht der versprengten Wehrmachtseinheiten, den Einmarsch der US-Truppen hat er noch genau vor Augen, deren Rückzug auch, das Nachrücken der Sowjettruppen ebenso, womit die Trennlinie zwischen amerikanischer und sowjetischer Besatzungszone gezogen, die Aufspaltung in Ost- und Westblock besiegelt wurde.

"Bei Nacht und Nebel erwischten meine Eltern gerade noch die letzte Fuhre, um im Mai 1946 von Thüringen nach Bayern zu kommen, wobei sie erwischt und sogar festgenommen wurden", erzählt Geuß kurz vor dem 25.
Jahrestag, da die Trennung friedlich beendet wurde. "Für mich war es unvorstellbar, so etwas noch miterleben zu dürfen", gibt der mittlerweile gereifte Grenzgänger von einst zu.


Im Schatten des Todesstreifens

Die Folgejahre haben Geuß geprägt. Gleismuthhausen lag auch direkt an der Zonengrenze, aber auch der richtigen Seite. "Den Zaunbau haben wir hautnah mitbekommen." Wälder wurden gerodet, Wurzelstöcke herausgesprengt. Beobachtungen, die den Heranwachsenden erschüttert und gleichzeitig geprägt haben.

1956 wurde er Soldat und engagierte sich politisch in der Jungen Union (JU). Noch genau erinnert er sich an den Tag des Mauerbaues. "Davon erfuhr ich in Hamburg-Altona", als er sich auf dem Weg zu seinem Standort Rendsburg in Schleswig-Holstein befand. Als er Ostern 1962 zu einer JU-Tagung nach Berljn wollte, war ihm dies als Soldat nur noch per Flugzeug möglich. "Ich hätte damals nie im Leben daran geglaubt, dass dies wieder einmal so problemlos möglich sein würde."

Nach zehn als Soldat schlug Franz Geuß die Beamten-Laufbahn in der Bundeswehrwaltung ein, besuchte die Fachhochschule in Wildflecken und kam 1972 zur Standortverwaltung nach Ebern und damit wieder in Grenznähe.

In der Balthasar-Neumann-Kaserne erlebte er dann auch hautnah den Zusammenbruch des Ostblocks, als am 9. November 1989 die DDR-Flüchtlinge in ihren Trabis von Passau aus nach Ebern gelotst wurden. "Ich fuhr an diesem Morgen wie gewohnt zum Dienst und habe dann an der Baunachbrücke all die vielen Trabis gesehen. Damals waren wir alle sehr gefordert, Truppe wie Standortverwaltung."

Geuß erinnert sich noch an so manches Gespräch in diesen "turbulenten Tagen", wie er selbst sagt. "Ich weiß noch wie euphorisch die Neuankömmlinge waren und deswegen fast jede Versicherung abgeschlossen hätten, die man ihnen aufschwatzte. Ich habe sie davor gewarnt und mit Hinweis auf die Marktwirtschaft zu Vergleichsangeboten geraten."

Die Begegnung mit den DDR-Bürgern bezeichnet der 76-Jährige heute noch als "überwältigend". Die Dimension, die sich dahinter verbarg, erkannte der Pragmatiker sofort: "Zu meinem Sohn habe ich gesagt: Wir erleben Weltgeschichte."

Und so organisierte er als CSU-Vorsitzender zum 3. Oktober 1990 eine Wiedervereinigungsfeier nach einem ökumenischen Gottesdienst in der Stadtpfarrkirche. "Die war damals brechend voll." Am Nachmittag ging es ins Festzelt, das auf dem Grenzstreifen zwischen Allertshausen und Hellingen aufgebaut worden war. Es sprach der Europaabgeordnete Otto von Habsburg, dessen Ehefrau auf der Heldburg aufwuchs. Geuß zitiert aus Aufzeichnungen von Ingo Hafenecker über diesen Moment: "Ist dies nicht ein herrlicher Tag?"

Im einstigen Grenzgebiet zwischen den Landkreisen Haßberge und Hildburghausen herrschte damals das "blanke Verkehrs-Chaos", hat Geuß noch vor Augen. Damals vereinbarten die Landräte der Grenz-Landkreise die Wiederholung im Fünf-Jahres-Turnus. Ob's in Sonneberg diesmal wieder einen Massenauflauf gibt?


Normalität kehrte ein

Ob Franz Geuß teilnimmt, ist ungewiss. Normalität ist eingekehrt. Nach Lindenau ist er gleich zwischen Weihnachten und Neujahr 1989 gefahren. Damals noch über Trappstadt. "Ich habe mit Leuten gesprochen, die meine Eltern noch kannten. Meinen Geburtsort wollte ich auf jeden Fall wieder sehen, nachdem ich Jahrzehnte lang nicht hin konnte. Das Geburtshaus stand noch, unser Wohnhaus aber war abgerissen."

Mehrfach ist er danach "noch rüber": "In Heldburg hatte ich den Bahnhof und die Molkerei noch genau in Erinnerung und absolut nichts hatte sich verändert."

Jetzt im Ruhestand besucht er mal Ummerstadt (den Soldatenfriedhof), Bad Colberg oder die Heldburg mit den Enkeln. Die Anfangs-Euphorie wurde vom Alltag eingeholt. "Zu unseren Feiern am Gedenkstein am 3. Oktober in Ebern sind zuletzt auch immer weniger Leute gekommen", stellt Geuß sachlich fest.