Wort zum Sonntag für den 4. Oktober: I m Laufe meiner Lebenszeit habe ich die Dankbarkeit verloren, sicher dadurch, dass man ja heute über alles verfügen kann. Die Regale sind voll. Es gibt immer alle...
Wort zum Sonntag für den 4. Oktober: I m Laufe meiner Lebenszeit habe ich die Dankbarkeit verloren, sicher dadurch, dass man ja heute über alles verfügen kann. Die Regale sind voll. Es gibt immer alles und zu jeder Zeit. Vor dem Erntedankfest können wir schon die ersten Lebkuchen kaufen und Weihnachten selbstverständlich frische Erdbeeren verzehren, entweder aus dem energiefressenden Gewächshaus oder mit dem "klimaneutralen" Düsenflugzeug nach Europa eingeflogen. Immer alles und zu aller Zeit.
Ein zweiter Grund ist der Stress, der verhindert, dass ich genieße, weil ich immer noch dies und das nicht erledigt habe, ständig ein unbewusster oder bewusster Dauerdruck in mir herrscht - verengt sich der Herzraum, in dem Dankbarkeit Platz hat.
Drei Dinge haben mir meinen Herzraum wieder geöffnet:
Erstens die Posaunenchöre in meiner ersten Gemeinde, wenn sie das Erntedanklied, "Wir pflügen und wir streuen", gespielt haben. Da spürte ich, dass ich berührt wurde: "Wir pflügen, und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand: Der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf und träuft, wenn heim wir gehen, Wuchs und Gedeihen drauf. Refrain. Er sendet Tau und Regen und Sonn und Mondenschein und wickelt seinen Segen gar zart und künstlich ein und bringt ihn dann behende in unser Feld und Brot, es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott. Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt, und hofft auf ihn."
Dies Lied ist von Matthias Claudius! Den kannte ich von: "Der Mond ist aufgegangen" - und seitdem wird bei uns mittags wieder ein Tischgebet gesprochen. Das war verloren gegangen.
Das Zweite, was mir den Herzraum zum Danken öffnete, waren die Erinnerungen an meine Omas und meine Eltern, wie sie mit Lebensmittel umgingen:
Die eine Oma nahm mich immer mit in den Hühnerstall, wenn sie dort den Hühnern vorsichtig die Eier aus dem Gelege nahm und dann in einem Bausch ihrer Schürze in die Küche transportierte, um mir Eierkuchen zu backen. Die andere Oma rollte am Samstagabend zur Vorsuppe für den Sonntag Markklößchen, und eines (oder zwei) durfte ich dann schon mal naschen. Unter den kundigen Händen meiner Mutter entstand am Sonntagmorgen nach dem Kindergottesdienst - ich ging da noch rein, weil es noch einen gab - der beste Kloßteig der Welt - und auch hier durfte genascht werden.
Geschmackserlebnisse aus der Kindheit lösen bei mir sofort einen ganzen Schwall von Dankbarkeit - wie geht's Ihnen? - Ja und dann noch mein Vater mit seiner Achtung vor Lebensmitteln: "Me schmesst kei Bruot forrt - dess mocht mer net - mir honn in Rußland Honger geghoot ..." Der dritte Herzraumöffner sind meine Frau und mein Sohn, die in den letzten Jahren unseren Ziergarten in ein einziges Gewächshaus Gottes verwandelt haben. Vergessen ist die Zeit der holländischen Einheits- und Verlegenheitstomaten - nein, bei uns auf dem Tisch landen an die zehn verschiedenen Sorten jeglicher Größe und Farbe. Und der Hammer: Die schmecken sogar verschieden - heftige u n g l a u b l i c he Erfahrung ! Und gespannt bin ich auf die drei neuen Kohlsorten, und welche Kartoffelsorten er uns aus seinem Permakulturbeet in Kürze servieren wird.
Mit meiner Genussfähigkeit habe ich meine Dankbarkeit wieder gefunden und bin so froh und zufrieden damit. Und öffne, wenn ich esse, nicht nur den Blick auf den Herrn des Himmels, sondern bin ihm auch noch dankbar, dass ich danken kann! Lassen Sie sich in dieser Zeit mit Dankbarkeit beschenken.
Ihr Gerd Kirchner
Pfarrer in Bad Brückenau