Sigismund von Dobschütz Ihr Debütroman "Ein Winter in Sokcho" sei "ein kleines Meisterwerk", urteilte schon 2016 die Jury bei Vergabe des Robert-Walser-Preises an die französisch-koreanische Autorin E...
Sigismund von Dobschütz Ihr Debütroman "Ein Winter in Sokcho" sei "ein kleines Meisterwerk", urteilte schon 2016 die Jury bei Vergabe des Robert-Walser-Preises an die französisch-koreanische Autorin Elisa Shua Dusapin (26). Die französische Zeitung "Le Figaro Littéraire" nannte das nur 144 Seiten starke Buch einen "Roman von einzigartiger Schönheit". Tatsächlich ist dieser Kurzroman so zartfühlend und liebevoll geschrieben, dass er seine Preise verdient hat.
Wie Elisa Shua Dusapin ist auch ihre Protagonistin, eine junge Mitarbeiterin einer kleinen Pension im südkoreanischen Küstenort Sokcho, die Tochter eines französischen Vaters und einer südkoreanischen Mutter. Die Vermutung dürfte deshalb berechtigt sein, dass autobiographische Elemente, persönliche Erfahrungen und Gefühle Dusapins in ihrem Buch eingearbeitet sind. Das Studium in Seoul war der einzige Ausflug der Ich-Erzählerin in die schillernde weite Welt. Doch die junge Frau ist zur Unterstützung ihrer allein lebenden Mutter nach Sokcho zurückgekehrt.
In diesem eiskalten Winter hat sich nun ein junger Mann, Comic-Zeichner Yan Kerrand aus der Normandie, in der Pension eingemietet. Während die junge Frau, mit einem recht oberflächlichen Koreaner befreundet, sich nach der weiten Welt sehnt, sucht der junge Zeichner gerade die Stille und Einsamkeit an der Grenze zu Nordkorea. Doch mit jedem Gespräch, jedem Spaziergang kommen sich die beiden jungen Menschen aus so unterschiedlichen Welten langsam näher. Beide suchen einen Neuanfang, jeder auf seine Weise.
Es macht beim Lesen einfach Freude, die beiden im Lauf der wenigen Wintermonate zu begleiten, zu beobachten. Feinfühlig schildert die Autorin die zögerlichen Annäherungsversuche der asiatisch-zurückhaltenden jungen Frau und des mit Frauen und der Liebe noch unerfahrenen Mannes. In seinen Comics zeichnet er fast nur Männer, an Frauenbildnissen scheitert er. Solche Skizzen landen im Papierkorb. Erst als die Ich-Erzählerin ihre eigene Scheu überwindet, gelingt es ihr, Kerrand aus seinem Pensionszimmer zu locken. Bezaubernd beschreibt Dusapin in kleinen Gesten und Szenen das vorsichtige Herantasten der beiden.
Nebenbei wird auch das Leid der jungen Halbkoreanerin offenbar, die als unehelich geborene Tochter eines Franzosen auch nach über 20 Jahren noch immer der Nachbarschaft Gesprächsstoff bietet und nicht einmal in ihrer Heimatstadt Sokcho als Koreanerin anerkannt wird. In Begleitung ihres französischen Gastes spricht man sie sogar auf Englisch an wie jede beliebige Touristin. Auch dies ist wohl ein Grund, weshalb die junge Frau ihre Heimat gern verlassen und nach Frankreich gehen würde.
Diese liebenswerte, zartfühlend geschriebene Romanze gleicht einer kunstvollen Miniatur - so schön, so leicht, so zerbrechlich. Die Lektüre dieses Kurzromans wirkt noch lange nach, wie es heute nur wenigen Büchern noch gelingt. In Dusapins Buch geht es nicht um Handlung, sondern um Gefühle, um das zumeist Unausgesprochene. "Ein Winter in Sokcho" wärmt einem das Herz.