Wir waren schon immer eine Mischvölkerkultur

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Zum Leserbrief "Ist das schon der Beginn der Volksverblödung?" vom 8. September: "Am Anfang war ein römischer Feldhauptmann aus Sizilien, ein Kerl, dunkel wie eine braune Olive, der einem blonden Germ...

Zum Leserbrief "Ist das schon der Beginn der Volksverblödung?" vom 8. September: "Am Anfang war ein römischer Feldhauptmann aus Sizilien, ein Kerl, dunkel wie eine braune Olive, der einem blonden Germanenmädel Latein beigebracht hat ..." Dann kam ein griechischer Arzt, ein Kreuzritter aus der Picardie, ein jüdischer Gewürzhändler aus Syrien, ein ganz grundsätzlicher, ernster Mensch, der sich noch vor der Hochzeit taufen ließ und die katholische Haustradition begründete.

Danach kam ein dicker Schiffer aus Holland, ein wandernder Müllerbusch aus dem Elsass, ein spanischer Reiteroberst, ein katholischer Landsknecht, ein Soldat Napoleons, ein desertierter russischer Kosak, ein Offizier aus Wien, ein ungarischer Magyar und ein böhmischer Musikant.

Und das alles hat am Rhein gelebt, gesoffen, gesungen, gerauft und Kinder gezeugt. Und alle sind sie von da: der Beethoven, der Goethe, der Schiller, der Matthias Grünwald, der Gutenberg und und und. Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben! Das ist wie bei einem großen Strom, der durch das Zusammenfließen kleiner Quellen, Bäche und Flüsse entsteht. "Vom Rhein zu stammen, das ist Europa, das ist Abendland!" (Zuckmayer: "Des Teufels General").

Eine ähnliche historische Genealogie ließe sich auch für die meisten anderen deutschen Regionen, insbesondere auch für Bayern und Franken entwerfen, denn: Deutschland liegt in der Mitte von Europa, wer in Europa von Nord nach Süd, West und Ost und umgekehrt wollte, musste hier durch. Und immer wieder blieben Leute, die sich mit den Einheimischen vermischten. Wir sind also ein Mischvolk, mehr noch als die anderen europäischen Völker. Alle großen Kulturen waren und sind Mischvölkerkulturen.

Beispiele: Erlangen. Eine Gründung französischer Protestanten nach der Vertreibung aus ihrer Heimat. Die zahllosen polnischen Namen im Ruhrgebiet. Das holländische Viertel und Potsdam. Ergo: Die Deutschen und ihre europäischen Nachbarn waren immer ein Einwanderer-, Auswanderer- und Durchwandervolk.

Für all das ist der Verfasser des obigen Briefes blind. Auch dafür, dass zum Beispiel unsere Krankenhäuser und unsere Müllabfuhr auf ihre ausländischen Mitarbeiter unbedingt angewiesen sind. Er ist auch blind dafür, dass die meisten Ausländer arbeiten, also Geld verdienen, und Steuern sowie Sozialabgaben zahlen und deutsche Waren sowie Dienstleistungen mit ihren Geld kaufen. Dass es bei den Asylbewerbern Arbeitslose in höherer Zahl gibt, ist zum einen auf Sprachhindernisse zurückzuführen, zum anderen aber - vor allem - darauf, dass sie zu einem beträchtlichen Teil keine Arbeitserlaubnis bekommen, allenfalls nach oft endlosen Wartezeiten.

Ich habe als Anwalt noch keinen Asylbewerber als Mandanten erlebt, für den eine Arbeitsstelle kein wichtiges Anliegen gewesen wäre. Die restriktive Praxis der Behörden bei der Erteilung von Arbeitserlaubnissen für Flüchtlinge zwingt diese zur Untätigkeit, vor allem auch dann, wenn keine oder ungenügende Sprachförderung erfolgt.

Die meisten dieser Flüchtlinge haben schreckliche Erlebnisse und Schicksale hinter sich, es ist daher unsere verdammte Christen- und Staatsbürgerpflicht, sie aufzunehmen und ihnen zu einem menschgerechten Leben zu verhelfen, das ihnen in ihrer Heimat verwehrt wurde. Immer wieder bekomme ich von Flüchtlingen, wenn ich sie frage, weshalb sie lebensgefährliche Fluchten auf seeuntauglichen Booten übers Meer auf sich genommen haben, die Antwort: Die Umstände, unter denen wir daheim leben mussten, waren so, dass man sich eines Tages sagt, lieber ersaufe ich im Meer, als weiter so zu vegetieren!

Helmbrecht von Mengershausen

Bad Staffelstein