Wie Blinde schreiben und die Uhr ablesen

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Gerhard Freunscht zeigte den Schülern auch ein Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Spiel für Blinde. Foto: S. Hubele
Gerhard Freunscht zeigte den Schülern auch ein Mensch-Ärger-Dich-Nicht-Spiel für Blinde. Foto: S. Hubele

Die Frage danach, wie er sein Leben mit der Erblindung gemeistert habe, sei die Frage, die ihm am meisten gestellt wurde, antwortet Gerhard Freunscht mit ei...

Die Frage danach, wie er sein Leben mit der Erblindung gemeistert habe, sei die Frage, die ihm am meisten gestellt wurde, antwortet Gerhard Freunscht mit einem Schmunzeln: "Ich musste mit den Gegebenheiten einfach fertig werden."
Er hatte einen sechsjährigen Sohn und war verheiratet, da musste die Familie auch weiterhin von ihm versorgt werden. Der gelernte Kaufmann schulte um, und arbeitete noch viele Jahre als Fachbereichsleiter für IT bei Siemens. Nebenher kümmerte er sich um die Belange von Blinden, ob als Mitglied des Vorstandes im Bayerischen Blindenbund oder als Mitarbeiter in einem Arbeitskreis, der sich dafür einsetzt, dass es in Kommunen barrierefrei und somit Blinden- und Rollstuhlgerecht zugeht. Eine Netzhautablösung sorgte dafür, dass Gerhard Freunscht mit 27 Jahren blind wurde: "Das ist jetzt schon fast fünfzig Jahre her." Auch das Laufen, Schwimmen, Rad- und Skifahren gab Freunscht wegen seiner Blindheit nicht auf: Fahrradfahren kann er mit einem Tandem, beim Laufen hält er über eine Expanderschnur Kontakt zu einem Mitläufer, beim Schwimmen wird er ebenfalls gelotst. Und Skifahren geht in der Loipe ganz einfach, auch wenn er nichts sehen kann. Dann fährt seine Frau vor ihm und sagt ihm jeden Hügel und jede Kurve an.
Der kontaktfreudige Rentner ist gerne unterwegs, so auch in Schulklassen: Den Kindern kann er vieles über ein Leben in Blindheit anschaulich mitteilen.


Lesen mit den Fingern

Die Kinder der dritten Klasse der Röttenbacher Grundschule hatten eine ganze Menge Fragen an den Blinden. So wollte Ashley wissen: "Kannst Du schreiben?" und Gerhard Freunscht antwortete, dass er zwar auch noch mit Stift auf Papier schreiben könne, doch seinen PC bevorzuge. Hier kann er mit allen zehn Fingern sicher auf der Tastatur schreiben - und weil der Computer ihm alles vorliest, weiß er genau, was er geschrieben hat. Auch Henning war neugierig: "Sehen Sie alles schwarz?" Ja, antwortete Freunscht und erklärt, dass er nur die Wärme der Sonne spürt, nicht jedoch das Licht sieht. Marie fragte: "Wie können Sie lesen?" "Mit den Fingern", antwortete Freunscht - und zeigte den Kindern die Blindenschrift, die von Louis Braille vor über 100 Jahren erfunden wurde und bis heute für alle Sprachen gültig ist. Alex wollte wissen, woher der blinde Mann weiß, wie spät es ist und Freunscht zeigte ihm seine spezielle Uhr: Bei dieser lässt sich das Glas aufklappen, so dass er die genaue Uhrzeit mit den Fingern ertasten kann. Aber es gibt auch sprechende Uhren, verriet Freunscht. Diese sagen auf Knopfdruck an, wie spät es ist.
Kartenspiele, Mensch-Ärger-Dich-Nicht und viele andere Spiele, die speziell für blinde Menschen entwickelt wurden, hatte Gerhard Freunscht in die Klasse mitgebracht. So werden beispielsweise beim Mensch-Ärger-Dich-Nicht die Figuren in den Spielplan in kleine Löcher gesteckt. Die vier Farben der Spielfiguren lassen sich an deren kleinen Köpfchen abtasten: Die grünen Männchen haben beispielsweise einen ganz spitzen Kopf. Auch das Gehen mit dem Blindenstock durften die Kinder selbst ausprobieren: Mit diesem wird in der gesamten Körperbreite über dem Weg hin- und her getastet, so dass der Blinde weiß, wo sich ein Hindernis befindet oder ob der Weg frei ist. Die Lehrerin der 3b, Katrin Körner, durfte eine Brille aufsetzen, die simulierte, dass sie nur noch über zehn Prozent ihres Sehvermögens verfüge: Jetzt waren nur noch die Fenster im Klassenraum als helle Flecken zu erkennen. Dass die bunten Flecken die Pullover der Kinder sind, das wusste sie: "Aber ich kann keine Einzelheiten sehen", stellte sie fest.
Gerhard Freunscht hat Spaß daran, den Kindern zu erklären, wie sich ein Blinder in der Welt der Sehenden zurechtfindet. Seit nunmehr zwanzig Jahren fährt er im ganzen Landkreis herum und besucht Schulen. Die Kinder sind fasziniert und hören aufmerksam zu, was Freunscht erzählt - und hören gar nicht auf, zu fragen. Sylvia Hubele