Wer ist nun Opfer, wer ist hier Täter?

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Diametral entgegengesetzte Zeugenaussagen verhinderten jede Aufklärung. Nach zweistündiger Beweisaufnahme blieb völlig offen, wer Täter und wer Opfer war. U...

Diametral entgegengesetzte Zeugenaussagen verhinderten jede Aufklärung. Nach zweistündiger Beweisaufnahme blieb völlig offen, wer Täter und wer Opfer war. Und da das Hohe Gericht, wie Strafrichterin Ilona Conver etwas resigniert feststellte, über keine hellseherischen Fähigkeiten verfügt und nicht aufgrund einer Schimäre, also eines Trugbildes über Schuld und Unschuld entscheiden kann, blieb den Juristen nichts anderes übrig, als den Prozess wegen Sachbeschädigung eines Autos mit einer 200-Euro-Geldauflage einzustellen.


Vorspiel auf der Autobahn

Angeklagt war ein 32-jähriger Ingenieur aus Schweinfurt. Er soll laut Staatsanwaltschaft am Nachmittag des 27. September 2015 mit einem heftigen Fußtritt die Autotür eines weißen BMW beschädigt haben. Diese vorgebliche Sachbeschädigung war aber nur der Endpunkt einer unrühmlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Autofahrern.
Die Vorgeschichte spielte sich folgendermaßen ab: Der Beschuldigte fuhr in seinem schwarzen Audi gemeinsam mit seiner Ehefrau auf dem Beifahrersitz auf der A 70 von Schweinfurt in Richtung Haßfurt. Sie befanden sich auf der linken Fahrspur, als kurz vor ihnen der weiße BMW ebenfalls leicht nach links ausscherte, um ein anderes Fahrzeug zu überholen. Möglicherweise befand sich für den BMW-Fahrer der Audi im toten Winkel. Jedenfalls, so der Angeklagte, habe er fast die Kontrolle über seinen Wagen verloren und mit der Radkappe die Seitenplanke der Autobahn gestreift.
Eine Zeit lang fuhren die zwei Autos hintereinander her, bevor sie bei der Ausfahrt Knetzgau rausfuhren. Kurz nach dem Autohof in einer Industriestraße überholte dann der Angeschuldigte in seinem Audi das andere Fahrzeug und bremste so abrupt ab, dass auch der BMW anhalten musste. Beide Fahrer stiegen aus ihren Autos aus. Vor Gericht beschrieb jeder den jeweils anderen als aufbrausend, jähzornig und unbeherrscht.
Von daher kann es nicht verwundern, dass es darüber, wer bei diesem Showdown dann Täter und wer Opfer war, völlig widersprüchliche Aussagen gab.


Frauen stehen hinter den Männern

Die Ehefrauen der beiden Beteiligten sagten jeweils, der andere Mann habe den ihren angegriffen und in den Schwitzkasten genommen. Erst weil er sich aus der Umklammerung durch den anderen habe befreien wollen, so der Angeklagte, sei er unabsichtlich mit dem Fuß an die Autotür gekommen. Seine Frau sah dies ebenso wie ein befreundeter Zeuge, der aus seinem eigenen Auto heraus alles beobachtet haben wollte.
Die Insassen des BMW, also der Geschädigte und dessen Frau, waren im Zeugenstand bei der Schilderung der Vorgänge völlig aufgelöst. Insbesondere die Beifahrerin konnte kaum sprechen, als sie, zitternd am ganzen Körper, den Ablauf mit verweinter Stimme schluchzend und aufgewühlt wiedergab.


Nervlich fix und fertig

Sie beschrieb den Angeklagten als äußerst aggressiv, der damals völlig ausgeflippt auf ihren Mann losgegangen und ihn zu Boden gerissen habe. Er habe wegen der beschädigten Felge an seinem Audi getobt und als sie ihm gesagt habe, er solle sich doch beruhigen, habe er ihr mit voller Lautstärke ins Ohr gebrüllt. Sie sei daraufhin nervlich fix und fertig gewesen. Letztendlich habe er Anlauf genommen und gegen die noch geöffnete Tür des BMW getreten, obwohl das linke Bein und die Schulter des Fahrers noch draußen gewesen seien.
Nach Abschluss der Beweisaufnahme standen sich die Gegensätze unversöhnlich gegenüber. Eine objektive Annäherung an das, was damals wirklich geschehen war, war schier unmöglich. Von daher schlug die Vorsitzende eine Einstellung gegen eine geringe Geldauflage vor. "Schweren Herzens" ließ sich der Angeklagte mit seinem Verteidiger Ingo Seipel darauf ein. Die 200 Euro gehen an die Kreisverkehrswacht Haßberge.