Ein Jubiläumsprogramm hat natürlich eine ganz starke Tendenz zur Retrospektive, zur Wiederbelebung der Vergangenheit. Das war zum einen eine höchst vergnügliche Sache, denn es waren die bewegten späten 60-er und 70-er Jahre, in denen Lisa Fitz volljährig und politisch bewusst wurde - und auch viele in ihrem Publikum. Es waren die "wuiden Jahre" für sie persönlich, die mit der Emanzipation vom Elternhaus begannen und mit der Hochzeit mit Ali Khan, dem "bayerischen Perser aus Pasing", endeten, die die Boulevardblätter zu einem handfesten Skandal aufpumpten und damit einen Shitstorm auslösten ("Dir soll die Gebärmutter aus dem Leib faulen!") . Respekt, wie sie den überstanden hat. "Ich bin nach Indien gefahren, um mich zu finden, aber dort war ich auch nicht." Aber es waren auch "wuide" politische und gesellschaftspolitische Jahre: der Vietnamkrieg, die deutsche Revolution der 68-er, der Tod von Che Guevara und Martin Luther King, die Beatles, LSD, Oswalt Kolle und/oder die sexuelle Revolution, die Pille: "Endlich konnten die Frauen nicht nur zur Familienplanung, sondern auch zur Männerplanung übergehen. Unterm Strich: Wer sich an die 70-er Jahre erinnern kann, der hat sie nicht erlebt."
Eine tolle Sängerin
Es macht schon Spaß, Lisa Fitz zuzuhören, wenn sie in Fahrt kommt, wenn sie von einem Thema zum anderen springt, wie sie mit ihrer und der allgemeinen Vergangenheit umgeht. Wie bei Rückblicken üblich, wird auch sie bei aller Schnoddrigkeit manchmal ein bisschen sentimental, aber sie steuert sofort dagegen mit einer patzigen Bemerkung oder einem abrupten Themenwechsel. Und es macht auch großen Spaß, ihr beim Musizieren zuzuhören. Sie ist (nein, nicht immer noch!!!) eine tolle Sängerin mit enormer stimmlicher Breite, und eine Gitarristin, die wirklich alle Stilrichtungen locker vom Hocker beherrscht. Natürlich ist die Begeisterung groß bei "Mein Mann ist Perser, ein perverser" oder "I bin bled" oder "Und trotzdem hab i manchmal Angst", zu dem Konstantin Wecker die Musik geschrieben hat. Oder wenn sie einfach andere Lieder covert oder zitiert. Und immer im Kontakt mit dem Publikum. Und doch: Es ist halt Retrospektive. Für Fans von ihr - und das sind alle, sonst wären sie nicht gekommen - gibt es nichts wirklich Neues. Was bei allem Witz und Furor mehr oder weniger ausbleibt, sind überraschende Pointen und Sichtweisen, irgendetwas zum Mitnehmen.
Das hätte im zweiten Teil anders werden können: "Deutschland, quo vadis?" ist er überschrieben. Aber er erweist sich weniger als ein Blick in die Zukunft als vielmehr eine Beschreibung des Status quo. Da geht's um die Ausblutung der Politik, um ihre Unfähigkeit, aus der Gegenwart die Zukunft zu organisieren. Da geht es um Klagen über die Jugend und über die von früher, da geht es um Sexpuppen und Gummimänner und um Heimatliebe: "Man kann sein Land lieben, ohne völkisch zu sein." Recht hat sie, aber ist das neu? Auch nicht, Peter Altmaier und den Ausdruck "den Gürtel enger schnallen" zusammenzubringen. Zukunft ist das alles nicht, aber vielleicht ein bisschen Science fiction: Einlassungen über Künstliche Intelligenz oder Googles Arbeiten an der Unsterblichkeit.
Der Wunschname
Und natürlich geht es um Corona. Da ist Lisa Fitz ein bisschen nebelhaft. Natürlich ätzt sie gegen Nena. Aber dann fällt auch der Satz: "Ich brauche eine neue Verschwörungstheorie. Meine alten haben sich realisiert." Unklar bleibt, wer dieses "Ich" ist: ein Verschwörungstheoretiker oder sie selbst? Man neigt schon aus Sympathie dazu, ersteres zu vermuten. Und natürlich kann man am Ende etwas mitnehmen, etwa Lisa Fitz' Lebensmotto: "Es ist schwer, jemanden hinters Licht zu führen, wenn es einmal ausgegangen ist." Und sie verrät auch, wie sie statt "Urgestein" oder "Grande Dame des Kabaretts" lieber genannt werden würde: "Weißblauer Hai".