Was passiert, wenn Krieg ist

1 Min

Mein Großvater mütterlicherseits war Postbeamter und begeisterter Musiker. Er spielte mit einer Kapelle in den 1930-er Jahren bei fröhlichen Tanzveranstaltungen. Großvater Hans hatte drei Brüder: Anto...

Mein Großvater mütterlicherseits war Postbeamter und begeisterter Musiker. Er spielte mit einer Kapelle in den 1930-er Jahren bei fröhlichen Tanzveranstaltungen. Großvater Hans hatte drei Brüder: Anton, Josef und Theo. Nur zwei der vier überlebten den Weltkrieg. Großvater fiel 1942 im Alter von 34 in Russland, sein jüngster Bruder Theo 1944 als 25-Jähriger in Italien. Und mein Onkel Karl kam 1941 in Nordafrika ums Leben. Er wurde 26. In vielen Familien war das ähnlich.

Als Kind verstand ich nicht, was mein Großvater väterlicherseits, der 1947 aus englischer Gefangenschaft heimgekehrt war, andeutete, wenn er sagte: "Im Krieg und im Kino sind die besten Plätze hinten." Wir Kinder hielten das für ein Bonmot, einen Wortwitz.

Erst viel später, auf intensives Nachfragen, erzählte er mir, dass er bereits mit dem Leben abgeschlossen hatte: Als Angehöriger des Afrika-Korps sollte er mit dem Schiff übers Mittelmeer gebracht werden. Doch der Truppentransporter wurde versenkt. Großvater legte seine Schwimmweste an - die noch heute in meinem Besitz ist - und schwamm um sein Leben. Das brennende Öl auf der Wasseroberfläche kam mit jeder Welle näher. Mit einem Mal jedoch erloschen die Flammen. Großvater hatte einen Schutzengel - oder einfach nur Glück. Ein englisches Kriegsschiff fischte den Erschöpften aus dem Meer. Als Heimkehrer gehörte er zu den Ersten, die dem "Griecherverein" beitraten. Gemeinsam beteiligten sich die Veteranen alljährlich an der Heimkehrerwallfahrt zum Eberner Käppele. Im Vordergrund standen dabei der Gottesdienst, das Innehalten und anschließend das gesellige Beisammensein. Nie wurden Kriegserlebnisse hinausposaunt. Das Erlebte war zu grauenvoll, um darüber zu plaudern. Ein inzwischen längst verstorbener Kriegsteilnehmer berichtete mir - auch nur auf Nachfrage -, wie das war, als eine Gewehrkugel durch seinen Stahlhelm fuhr, ein Stück seines Stirnschädels zertrümmerte und seitlich abglitt. Ein anderer Kriegsteilnehmer schilderte auf mein Drängen seine Erlebnisse in den letzten Kriegswochen 1945. Sieben Stunden lang sprach der alte Herr von unsäglichen Gräueln, die er als junger Mann erlebte.

Das Grab meines Großvaters habe ich vor einigen Jahren in Russland gesucht. Ich fand es leider nicht, obwohl ich nahe dran gewesen sein muss. Das Dorf, an dessen Rand man ihn im Februar 1942 eilig begraben hat, wurde nach dem Krieg nicht wieder aufgebaut.