Die Gesundheitsämter sind bei der Nachverfolgung der Kontaktpersonen von Covid-Infizierten heillos überfordert. Es fehlt an Personal. So wird verspätet in Quarantäne geschickt, wer sich möglicherweise angesteckt hat.
Es ist Montag der vergangenen Woche, als drei Männer in einem Coburger Unternehmen zu einer Besprechung zusammenkommen. Sie dauert 15 Minuten. Masken werden nicht getragen. Noch am selben Tag muss einer der drei Teilnehmer des Meetings die Firma verlassen. Seine Frau wurde bei einem Schnelltest positiv auf Covid-19 getestet. Test am Dienstag, Ergebnis am Freitag: Alle sind positiv. Der Mann gibt seine Kollegen als Kontaktpersonen an. Einer der beiden wird am Mittwoch darauf benachrichtigt und in Quarantäne genommen. Was der andere erlebt, schreibt er unserer Zeitung. Seine Überschrift: "Quarantäne-Wahnsinn!"
Was er erlebt, ist zunächst einmal - nichts. Anders als sein Kollege, der im Landkreis Coburg wohnt, wird er nicht informiert. Schließlich fragt er beim für ihn zuständigen Gesundheitsamt in Sonneberg nach. Sein Fall sei klar, wird ihm gesagt. Er müsse in Quarantäne. Das Amt könne die aber nicht anordnen, es lägen der Sachbearbeiterin keine Informationen des Coburger Amtes vor. Aber er könne sich ja freiwillig in häusliche Quarantäne begeben. "Dann hätte ich aber keinen Anspruch auf Gehaltszahlungen gehabt", begründet der Betroffene, warum er es nicht tut.
Er geht zur Arbeit in einer Halle mit vielen Kollegen, die sich wundern, warum er kommt, wo doch sein anderer Kollege in Quarantäne bleibt.
Unsere Nachfrage beim Landratsamt Coburg, wo auch das Gesundheitsamt angesiedelt ist, ergibt, dass dort noch am Montag, 16.37 Uhr, die Information zu den Kollegen nach Sonneberg online abgeschickt wurde, wie Pressesprecherin Corinna Rösler informiert. Das ist ein Automatismus, der in allen Gesundheitsämtern gilt, wenn Kontaktpersonen aus einem anderen Zuständigkeitsbereich, sprich Landkreis, gemeldet werden.
Ihr Kollege Michael Volk beim Landratsamt in Sonneberg kann einen Tag später bestätigen, dass die Mail mit der Information zu dem als Kontaktperson erfassten Mann in Sonneberg zur angegebenen Zeit eingegangen ist. Wenn der Betroffene dann nicht sofort informiert wurde, liege das daran, dass aus Personalmangel Prioritäten gesetzt werden müssen. "Wichtiger als Verdachtsfälle sind die tatsächlichen Fälle. Wir müssen da auch auf die Hygienekonzepte in den Betrieben setzen", sagt Michael Volk.
Im konkreten Fall führte das dazu, dass der Sonneberger, der in Coburg Kontakt mit einem positiv getesteten Kollegen hatte, nun am Donnerstag - also eineinhalb Wochen nach dem Kontakt - vom Gesundheitsamt in Quarantäne geschickt wurde. Allerdings nur bis Montag. Seit dem Kontakt sind dann nämlich die vorgeschriebenen zwei Wochen Quarantäne um. Testen lassen muss er sich auch. Am Donnerstag gab es dafür aber noch keinen Termin. Auch da seien alle Stellen überlastet. Ehe er wieder arbeiten darf, braucht er aber zwei negative Testergebnisse.
Dass es sich um einen Einzelfall handelt, ist eine Utopie. Ähnlich erging es einem Coburger, der nach einer Kieferoperation erst Tage später erfuhr, dass der operierende Arzt positiv getestet worden war. Auch bei ihm dauerte es sechs Tage, ehe sich das Gesundheitsamt bei ihm meldete. Als er aufgefordert wurde, in Quarantäne zu gehen und sich testen zu lassen, hatte er sich längst selbst um einen Test gekümmert.
Die Gesundheitsämter sind heillos überlastet. Entsprechende Meldungen kommen selbst aus Kreisen mit niedrigen Inzidenzwerten wie dem Ilmkreis mit 35. Arnstadt meldet dreistellige Überstundenzahlen, die sich bei den Mitarbeitern im Gesundheitsamt angehäuft haben.
In Coburg versuchen die Verantwortlichen, den Personalmangel zunächst aus eigenen Reihen zu beheben. "Wir haben 20 Leute aus anderen Bereichen abgezogen und an dem System geschult, mit dem die Nachverfolgungen von Kontaktpersonen bearbeitet werden", erklärt Corinna Rösler. Außerdem wurde Hilfe vom Technischen Hilfswerk (THW) angefordert und erhalten.
In Sonneberg werden am Freitag Soldaten aus dem Standort Gotha erwartet, die im Gesundheitsamt helfen sollen, den Bearbeitungsstau zu lösen.
Doch die Verschleppung bei der Nachverfolgung hat bereits zu Bergen von zu bearbeitenden Fällen geführt. Jeder dabei zu spät entdeckte positive Fall führt zu erneut langen Reihen von Kontaktpersonen. Eine Kette, die so schnell immer mehr Glieder bekommt, dass in vielen Medienberichten über die jeweilige Lage vor Ort schon von einem Kollaps des Systems die Rede ist.
Leichte Fälle bleiben ungetestet
Das Robert-Koch-Institut hat laut ärztezeitung.de unterdessen die Testkriterien geändert. Personen mit geringen Symptomen und ohne Bezug zu Risikogruppen oder Clustern sollen gar nicht mehr getestet werden.
Das Bundesgesundheitsministerium verweist bei der Frage danach, wie ein Kollaps bei der Nachverfolgung von Kontaktpersonen vermieden werden kann und welche Hilfen die Politik den Ämtern möglicherweise bieten kann - auf die Landesministerien. Die seien zuständig, nicht der Bund.
Die Anfrage beim Bayerischen Gesundheitsministerium nach Plänen seitens des Ministeriums, wie die Ämter personell unterstützt werden können, blieb bis Donnerstagabend ebenso unbeantwortet wie die, ob die Kontrolle zu entgleiten droht, wenn offenbar zu lange gebraucht wird, um Kontaktpersonen zu informieren und zu testen, die inzwischen selbst schon wieder zahlreiche neue Kontakte hatten.