"So ein Vorgehen macht Angst"

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Irmgard Pees leitet den Sozialpsychiatrischen Dienst "Insel" in Forchheim. Foto: p
Irmgard Pees leitet den Sozialpsychiatrischen Dienst "Insel" in Forchheim. Foto: p

Stellt das bayerische Psychiatriegesetz die Kranken unter Generalverdacht? Irmgard Pees, die Leiterin des Sozialpsychiatrischen Dienstes "Insel" in Forchheim, spricht über die unangenehmen Folgen des Gesetzesentwurfs.

Die "Insel" leistet sozialpsychiatrische Hilfe in Forchheim. Daher ist auch Insel-Leiterin Irmgard Pees (vom Sozialdienst katholische Frauen Bamberg) vom neuen Psychiatriegesetz betroffen. Obwohl sich in der Psychiatrie viel zum Positiven entwickelt habe, bleibe viel zu tun, sagt die Psychologin im Gespräch mit dem Fränkischen Tag: "Es gibt immer noch viel zu viele Vorurteile gegenüber psychisch Erkrankten."


FT: Der erste Entwurf zum Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz hat heftige Ablehnung hervorgerufen. Bei Ihnen auch?
Irmgard Pees: Ja, denn die Vorschläge zeigen Wirkung. Obwohl die Politik auf den Protest reagiert hat und obwohl diskriminierende Passagen aus dem Gesetzes-Entwurf schnell zurückgenommen wurden, bleibt so eine Diskussion nicht ohne Folgen. Viele Menschen, die in die Beratungsstelle Insel kommen, sagen: Mit Kliniken wollen wir nichts zu tun haben, da werden wir schon wieder stigmatisiert... Erst letzte Woche kam eine junge Frau, der Hausarzt hatte sie geschickt. Sie wehrte sich vehement, in eine Klinik zu gehen. Solche Ängste werden natürlich gefördert, wenn psychisch Kranke unter Generalverdacht gestellt werden.

Wie lautet dieser Verdacht?
Da wird ein Zusammenhang konstruiert zwischen psychischer Erkrankung und Gewaltbereitschaft. Als wäre jeder, der psychisch krank ist, ein potenzieller Täter. Ein großes Thema in dem Gesetz-Entwurf ist die Gefahrenabwehr. Psychisch Erkrankte werden gleichgesetzt mit Straftätern. Das geht dann so weit, dass der Besuch bei psychiatrisch Untergebrachten restriktiv festgelegt werden soll.
Das halte ich für unsinnig. Warum soll jemand in der Psychiatrie keinen Besuch bekommen? Psychisch Kranke sind nicht gewalttätiger als andere Menschen. Eher das Gegenteil ist der Fall, denn viele psychisch Kranke leiden unter Depressionen. Depressive sind aber, wenn überhaupt, nur gegen sich selbst gewaltsam. Ich jedenfalls bin in meiner Arbeit mit psychisch Kranken nie angegriffen worden und habe mich auch noch nie gefährdet gefühlt.

Wird das neue Gesetz Ihre Arbeit direkt beeinflussen?
Wir sind indirekt von dem Gesetz betroffen, weil wir mit Unterbringungen in der Psychiatrie nur am Rande zu tun haben. Die Leute kommen freiwillig zu uns. Aber wenn jemand Suizidabsichten äußert, dann müssen wir dafür sorgen, dass diese Menschen in Behandlung kommen. Wir müssen genau unterscheiden, ob jemand den Gedanken hat, nicht mehr leben zu wollen, oder ob er konkrete Suizidpläne hat. Nur im zweiten Fall ist eine Unterbringung erforderlich. Dass wir Menschen unterbringen müssen, kommt nur sehr selten vor.

Besteht die Gefahr, dass Sie künftig Daten suizidgefährdeter Klienten der Polizei melden müssen?
Wir als Sozialpsychiatrischer Dienst müssen das sicher nicht. Aber ursprünglich war die Rede davon, die Daten von Menschen, die untergebracht wurden, fünf Jahre lang zu speichern und bei Entlassung z.B. der Polizei zu melden. Aber auch das wäre ein Unding. Es war sogar im Gespräch, die Daten samt Diagnose
weiterzugeben. Warum müssen öffentliche Stellen darüber informiert sein, dass jemand aus einer Klinik entlassen wurde? So ein Vorgehen macht lediglich Angst, sich in einer Klinik in Behandlung zu begeben.

Zeigen solche Überlegungen, dass sich an der traditionellen Stigmatisierung psychisch Kranker überhaupt nichts geändert hat?
Ich arbeite jetzt 18 Jahre in dieser Einrichtung. Und ich kann glücklicherweise sagen: An dem Tabu, psychisch krank zu sein, hat sich einiges geändert. Gerade beim Thema Depression hat sich viel Positives getan, unter anderem auch deshalb, weil sich immer wieder Stars outen. Das macht es dann anderen leichter, darüber zu sprechen.

Schlägt sich diese positive Entwicklung im neuen Gesetz nieder?
Sehr positiv ist, dass das Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz einen Krisendienst für Menschen in psychischen Krisen vorsieht. Bisher gibt es in Oberfranken keine angemessene Hilfe, wenn Menschen beispielsweise mitten in der Nacht oder am Wochenende Suizidgedanken haben. In Mittelfranken gibt es diesen Krisendienst bereits. Wenn jemand Hilfe benötigt, sind dort auch Hausbesuche möglich. Diesen Krisendienst soll es künftig verpflichtend in jedem bayerischen Bezirk geben.

Noch berät die Politik das Psychiatrie-Gesetz. Was müsste am Ende idealerweise drinstehen, dass Sie zufrieden wären?
Ich weiß nicht, ob das, was ich mir wünsche, gesetzlich geregelt sein muss. Aber sinnvoll wäre, mehr für die Prävention zu tun. Auch andere Hilfsangebote, z.B. Beschäftigungsmöglichkeiten und wohnortnahe Freizeitangebote werden benötigt. Bekanntermaßen sind wir hierzulande psychotherapeutisch unterversorgt. Wer einen Psychotherapeuten braucht, muss oft mindestens ein halbes Jahr warten. Und viele Ärzte und Therapeuten sagen dann: Gehen Sie halt zur Insel. In unsere Beratungsstelle kommen jährlich ungefähr 400 Hilfesuchende. Mehr könnten wir mit unseren 2,8 Stellen auch nicht schaffen.
Was die klassische Frage aufwirft, ob wir in einer zunehmend kranken
Gesellschaft leben oder ob wir nur offener für unsere Leiden werden?

Etwa jeder dritte Mensch leidet im Laufe seines Lebens einmal an einer psychischen Erkrankung. Gesellschaftliche Bedingungen und psychisches Leiden hängen natürlich zusammen. Was sich verändert hat: Die Menschen sind aufgeschlossener geworden, sich in Behandlung zu begeben. Daher kommt das Thema mehr in den Fokus. Wenn früher jemand in der Familie psychisch auffällig war, wurde das eher übergangen. Da hieß es dann: Der ist halt ein bisschen komisch.
Wenn die Gesellschaft noch offener würde, bräuchten wir keine Psychiatrien mehr?
Solche Überlegungen gab es immer wieder. Der Name Klaus Dörner zum Beispiel steht für den Versuch einer grundlegenden Reformierung und Modernisierung der Psychiatrie. Auch Einrichtungen wie die Insel sind eine Reaktion auf die Missstände der Psychiatrie. Aber man muss betonen, dass sich die Psychiatrie radikal verändert hat. Denken Sie nur an die Säle mit 30 Patienten, die es noch vor 40 Jahren gab. Das hat sich total und zum Positiven verändert. Dennoch wäre es sinnvoll, in Kliniken auch das psychotherapeutische Angebot zu erweitern.
Kennen Sie auch Psychiater, die Interesse an Verschärfungen haben, wie sie im Gesetzes-Entwurf formuliert wurden?

Die Psychiater, die ich kenne, sehen es jedenfalls nicht so. Es haben sich einige Kapazitäten heftig zu Wort gemeldet, etwa auch Prof. Dr. Thomas Kallert, Leitender Ärztlicher Direktor der Gesundheitseinrichtungen des Bezirks Oberfranken aus Bayreuth. Daher ist es mir rätselhaft, wie die Vermischung der Psychiatrie mit dem Maßregelvollzug zustande kommen konnte.

Das Interview führte
Ekkehard Roepert