"Politik muss gegensteuern"

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Zur Stammtischkultur befragten wir den Historiker und Volkskundler Günter Dippold (58) aus Lichtenfels. Er ist Bezirksheimatpfleger für Oberfranken und Honorarprofessor für Volkskunde/Europäische Ethn...

Zur Stammtischkultur befragten wir den Historiker und Volkskundler Günter Dippold (58) aus Lichtenfels. Er ist Bezirksheimatpfleger für Oberfranken und Honorarprofessor für Volkskunde/Europäische Ethnologie an der Universität Bamberg.

Sind Sie ein Stammtischler?

Günter Dippold: Nein, nicht wirklich, dazu ist mein Lebenswandel als Bezirksheimatpfleger und CHW-Vorsitzender mit vielen Abendterminen zu unstet. Aber ich gehe gern ins Wirtshaus. Das halte ich für eine zentral wichtige Kommunikationsstätte. Dann passiert es auch, dass man an den Stammtisch gebeten wird. Nach einem Termin aweng a Gewaaf, dann ist es ein gelungener Abend.

Wie sind Stammtische entstanden?

Wann sich das Bedürfnis entwickelte, sich am Stammtisch zu treffen, ist ganz schwer zu sagen, weil man darüber kaum Quellen hat. Im Prinzip beginnt es dann, als es im ländlichen und städtischen Bereich Wirtshäuser gibt, die häufiger und regelmäßig offen haben. Das war nicht immer selbstverständlich. Im 19. Jahrhundert, als die Zahl der Gastwirtschaften explodierte, kamen auch die Stammtische stärker auf. Die Institution selbst - also, dass ein Tisch im Wirtshaus reserviert ist für Gäste, die sich regelmäßig einfinden - ist aber sicher viel älter.

Wie sehr bedauern Sie es, dass die die Stammtische weniger werden?

Mit dem Wirtshaussterben verlieren die Dörfer ihren Mittelpunkt. Man merkt es Orten an, wenn es keine Gastwirtschaft mehr gibt. Ein gut funktionierendes Wirtshaus ist ganz zentral wichtig, weil man einen Ort der Gemeinschaft hat, ohne viel organisieren zu müssen. Das ist in einem Vereinsheim schwieriger, weil die Öffnungszeiten in der Regel eingeschränkt sind. Der Rückgang ist bedauerlich. Man hat es auf der politischen Seite versäumt, hier rechtzeitig gegenzusteuern. Lieber wurden Vereinsheime mit Schulungsräumen gefördert, anstatt es den Wirten mit öffentlichen Mitteln schmackhaft zu machen, einen Raum für Vereine zur Verfügung zu stellen. Es ist notwendig, dass es nicht bei Willensbekundungen bleibt, damit wenigstens das, was wir noch haben, erhalten bleibt. Die Anzahl der Wirtshäuser heute ist ja nur noch ein Schatten dessen, was es vor 40 oder 50 Jahren noch gab. Das Gespräch führte Stephan Tiroch.