Bemerkenswerterweise kommen Bittgänge in allen Religionen vor. Im Christentum sind sie ein Zeichen, den Glauben an Gott, an die Macht des vertrauenden Gebetes und die helfende Fürsprache der Heiligen zu bekunden.
„Warum gehet man in den Processionen um die Fluren, Aecker und Felder? – Um den gütigen Gott zu bitten, er wolle mit seiner milden väterlichen Hand die Fluren segnen, die Früchte der Erde erhalten, und wie er alle Thiere mit Segen erfüllt, und ihnen ihr Speis zu gelegener Zeit gibt, also auch uns Menschen die nothwendige Nahrung mittheilen“ – so heißt es bei Leonhard Goffiné 1690 in seinem „Christkatholischen Unterrichtsbuch“ zur Funktion der Bittgänge in der katholischen Tradition.
Unheil wurde einst als Folge menschlicher Schuld begriffen. Bittprozessionen hatten daher bei unseren Altvorderen einen Bußcharakter. Passend dazu war die liturgische Farbe wie in der vorösterlichen Fastenzeit violett.
„Im deutschen Sprachgebiet sollen die Bittgottesdienste nach Möglichkeit erhalten und alle wesentlichen Bereiche und Gefährdungen des gegenwärtigen Lebens ins Gebet einbezogen werden“, berichtet ein hiesiger Pfarrer . Die ursprünglich agrarische Ausrichtung der Bittprozessionen war in den letzten Jahren dementsprechend erweitert worden. So heißt es im Messbuch der katholischen Kirche : „An den Bitt- und Quatembertagen betet die Kirche für mannigfache menschliche Anliegen, besonders für die Früchte der Erde und für das menschliche Schaffen.“ Neben der „Bewahrung der Schöpfung“ können auch Arbeit für alle, Frieden, Brot für die Welt und Ehrfurcht vor dem menschlichen Leben Motive der Fürbitten sein.
Die lateinische Bezeichnung der Bitttage in der katholischen Liturgie als litaniae „Litaneien“ kommt daher, dass Prozessionen an diesen Tagen mit dem Gesang der Allerheiligenlitanei begannen und von inständigem Bittgebet begleitet wurden.
In der Woche, in der das Fest Christi Himmelfahrt liegt, fanden traditionell die meisten Bittprozessionen statt. Sie wird deshalb auch als Gangwoche, Betwoche, Bittwoche oder Kreuzwoche bezeichnet – weil den Prozessionen an diesen Tagen das Kreuz vorangetragen wurde. Auch am Fest Christi Himmelfahrt und in den folgenden Tagen bis zum Sonntag gab es Flurprozessionen.
Neben den periodisch wiederkehrenden Prozessionen boten besondere Notlagen Anlass zu einmaligen oder – oft als Gelübde – wiederholten apotrophäischen Prozessionen zur Gefahrenabwehr:
- Hagelprozessionen als regelmäßige Flurprozession, gelobt nach schlimmen Unwettern.
- Pestprozessionen, gelobt nach Pestepidemien.
- Brandprozessionen, gelobt nach Stadt- oder Ortsbränden.
Ursprung und Entwicklung
Die Prozessionen könnten als spätantike Umformung der römischen Flurumgänge, der Ambarvalia, verstanden werden, betonen Historiker. Möglicherweise seien sie auch in Verbindung zu bringen zu germanischen Rechtsbräuchen, wonach jeder Grundeigentümer einmal im Jahr seinen Besitz umschreiten musste, um den Besitzanspruch aufrechtzuerhalten.
Mit dem Aufkommen von Sakramentsprozessionen im 13. Jahrhundert und verstärkt seit der Gegenreformation im 16. Jahrhundert kam es häufig zur Verschmelzung verschiedener Prozessionstypen.
Bei den Bittprozessionen wurde – ganz oder auf Teilstrecken – das „Allerheiligste“, der Leib Christi in der Monstranz, mitgeführt, und an den meist vier Unterwegs-Stationen – auch „Altäre“ genannt – wurde der Sakramentale Segen erteilt.
Der Brauch der Bittgänge war häufig in ländlichen Regionen erhalten geblieben und teilweise sogar wieder neu belebt worden. Manche Landgemeinden entdeckten die alten Prozessionswege neu, in den Städten werden neue Formen erprobt – nicht selten auch in den Abendstunden, dem heutigen Arbeits- und Lebensrhythmus angepasst.
Gestaltungselemente waren die Allerheiligenlitanei, andere Litaneien, Psalmen und Wechselgebete sowie das Rosenkranzgebet. Unterwegs wurden in der Regel „Stationen“, etwa an Feldkapellen oder Wegkreuzen, gehalten, wo aus der Bibel gelesen und Fürbitte gehalten wird. Bei eucharistischen Prozessionen wurde an diesen Unterwegs-Stationen der sakramentale Segen erteilt. Eucharistische Prozessionen nehmen ihren Anfang nach einer heiligen Messe in der Pfarrkirche und haben mit dem Schlusssegen den Ausgangsort als Ziel.
Mit den Bittprozessionen an den drei Tagen um Christi Himmelfahrt wird für gutes Wetter, eine gute Ernte und Schutz vor Naturkatastrophen gebetet. Beliebt waren im Frankenwald auch Wallfahrten zu marianischen Gnadenorten wie Mariä Glosberg oder Marienweiher. Dort wurden auch Versprechen eingelöst, die in besonders schwierigen Situationen gegeben worden waren.
Prozessionen und Wallfahrten waren und sind auch heute noch besondere Ausprägungen der Volksfrömmigkeit. Sie kamen durch ihre Sinnhaftigkeit dem Bedürfnis der Menschen nach Erlebnissen entgegen, die mit allen Sinnen, insbesondere durch Augen, Ohren und Nase aufgenommen wurden und nicht nur über den Verstand.