Geschichte Heimatpfleger und VHS erinnerten in Wallenfels an die Todesmärsche 1945 im Raum Kronach.
Wallenfels — Die Gräuel und Schandtaten des Dritten Reiches ereigneten sich nicht nur weit weg von der heimischen Region, wie es oft erscheinen mag. Das Grauen war oft ganz nah. Allein im April 1945 bewegten sich mindestens drei Todesmärsche durch das Gebiet des heutigen Landkreises Kronach. Ortsheimatpfleger Franz Behrschmidt, der seit 1966 in Berlin lebende ehemalige Nordhalbener Horst Mohr und die Neustadter Stadtheimatpflegerin Isolde Kalter erläuterten in einer Veranstaltung der Volkshochschule den Stand der Forschungen und riefen dazu auf, ihnen eventuelle weitere Berichte und Erzählungen zukommen zu lassen.
„In den letzten Kriegswochen eskalierten die NS-Kriegsverbrechen “, erklärte der für die Außenstellen der Volkshochschule zuständige pädagogische Mitarbeiter Johannes Hausmann. „Wir alle müssen Verantwortung übernehmen für Mitmenschlichkeit, Frieden und Freiheit. Es ist unsere Aufgabe, daran zu erinnern, welche Unmenschlichkeit in der Geschichte passiert ist, und die Augen zu öffnen, wenn Menschen heute unter Unmenschlichkeit leiden müssen.“
Im Jahr 1945 rückten die alliierten Truppen von allen Seiten näher. Warum die Nazis die Konzentrationslager räumten, ist umstritten. Sollten Zeugen der Gräueltaten vernichtet werden? Jedenfalls wurden die Häftlinge auch in den Außenlagern auf Märsche geschickt, und fast überall verloren dabei viele Menschen ihr Leben. Einzige Ausnahme ist offenbar der Neustadter Marsch durch die Region, auf dem wohl niemand umkam. Lange wollte niemand etwas von solchen Märschen in der Region gewusst haben.
Der Wallenfelser Ortsheimatpfleger Behrschmidt interessierte sich schon immer für die Vergangenheit seiner Heimatstadt. In den letzten Jahren wollte er auch mehr über die Geschichte des Zweiten Weltkriegs in der Region wissen. Er erstellte eine Dokumentation der Gefallenen und Vermissten aus Wallenfels und führte Gespräche. Dabei erzählte ihm seine Nachbarin Marga Spranger, als Augenzeugin einen Todesmarsch durch die Flößerstadt erlebt zu haben. Innerhalb weniger Wochen hatte er drei weitere Zeitzeugen. Als dies in den heimischen Zeitungen veröffentlicht wurde, meldeten sich weitere Zeitzeugen.
Marga Spranger erlebte als Siebeneinhalbjährige den Zug der unglücklichen Menschen direkt vor ihrem Elternhaus. „Ein Zug von Sträflingen auf der Schützenstraße“, berichtete sie. Sie stand mit ihrer Schwester draußen. Ein Sträfling setzte sich erschöpft auf ihre Treppe. Die Schwester rannte ins Haus und holte ein Glas Wasser. Doch der Aufseher trieb den Mann weiter. In ihrer Erinnerung sieht sie die Sträflinge in ihrer Kleidung, manche hatten einen Turban auf. Nie konnte sie das vergessen. „Es war furchtbar.“
Franz Behrschmidt berichtete über weitere Zeitzeugen. So schrieb ihm Manfred Hentschel (geboren 1938) – dessen Bruder Peter (geboren 1939) war jetzt in Wallenfels dabei. Die Brüder waren damals als Flüchtlinge in Wallenfels . Sie erlebten, wie Menschen schreiend und weinend von Soldaten durch den Ort getrieben wurden. Eine Frau wollte einem Gefangenen einen Becher mit Wasser reichen, der der Frau von Bewachern aus der Hand geschlagen wurde.
Pardon - wegen zweier nachträglich entdeckter Tippfehler:
Wenn Herr Hausmann hier zitiert wird mit
"Allzu viele Menschen wollten von der Zeit nichts mehr wissen, beklagte Heinz Hausmann. Im Geschichtsunterricht der Schulen fielen jene Jahre viel zu oft weg"
dann gilt das offensichtlich nicht nur für das Erinnern an die durch den Landkreis führenden Todesmärsche - unter ihnen wahrscheinlich nicht wenige Gefangene/Häftlinge/Verschleppte aus der heutigen Ukraine - sondern auch für den Umgang vor Ort mit den Ermordeten im Rahmen des T-4-Programms der Nazis, welches auch für den Landkreis weit über 50 anscheinend in deren Heimatorten in völlige Vergessenheit geratene Opfer gefordert hat:
zuletzt konnte ich noch zwei der in der Tötungsanstalt Grafeneck im Gas Erstickten dokumentieren, nämlich die in Kronach geborene Frau Antonie Möbius und den Höfleser Ferdinand Martin; ein Künstler aus der Region hat für jede/n der dortigen über 10.000 Toten eine individuelle Terracottafigur geschaffen, welche noch auf Angehörige wartet.
Und was den von mir auf Grund mehrerer ITS-Dokumente vermuteten 3. Todesmarsch durch den südlichen Landkreis betrifft: da fand sich jetzt im Zusammenhang mit einer Grabstätte bei Weißenbrunn in einem Kirchenbuch der Hinweis auf einen Marsch von etwa "500 Russen" und auf entkräftete Tote - eine Aufgabe für örtliche Archivare und Heimatpfleger
Bitte Rückmeldung, falls Kommentar nicht verwertbar. Danke
Fast 4 Wochen danach ein erstes Fazit:
die hoffentlich nicht nur von mir erhofften Reaktionen, speziell auf die über 50 Euthanasietoten aus über 30 Orten, ist ausgeblieben – aber vielleicht war die Veranstaltung ja erst der Beginn einer vertieften Aufarbeitung.
Auch war wohl niemand aus den anderen Orten anwesend, welche von diesen Todesmärschen berührt wurden; aus vielen Orten fehlen die im Frühjahr 1947 angeforderten Fragebögen zum Woher und Wohin, zu Opfern und zu Gräbern. Das größte Manko aus meiner Sicht war jedoch das Fehlen der eigentlich mit der Veranstaltung Gemeinten - von Jugendlichen und den mit deren Bildung Befassten: die Lehren aus dem Schwur von Buchenwald, nämlich die Erinnerung an Verfolgung und Widerstand, die Bestrafung der Täter als zentrale Themen der Erinnerungsarbeit.
Aber meine Hoffnung ist, dass es doch irgendwann zu der schon vor Jahren angeregten Veranstaltung kommt: Euthanasiemorde, Todesmärsche jüdischer Frauen und Männer aus Neustadt bei Coburg und Sonneberg durch den Landkreis, dazu ein weiterer völlig unzureichend erforschter aus dem Raum Kronach in Richtung Stadtsteinach und Kulmbach, zu welchem mir Dokumente aus Höferänger, Presseck, Unterdornlach und Untersteinach vorliegen, und vor Tagen erst bin ich auf ein Grab wohl jenes Marsches zwischen Weißenbrunn und Kirchleus gestoßen.
Weitere Hinweise gibt es aus Bernstein, wonach die Frauen aus Neustadt eingesperrt waren, während das Wachpersonal in der nicht mehr existierenden Dorfwirtschaft „wachte“, und zu Döbra, wonach eine Frau aus dem Bewachungspersonal, welche als Einheimische beim Durchmarsch nicht erkannt werden wollte, mit einem Teil der Frauen von Wallenfels über die Bischofsmühle Richtung Helmbrechts gezogen sein soll. Aber vielleicht können wir irgendwann hierüber Näheres lesen, falls es zu einer Veröffentlichung des von einer der Unglücklichen des Marsches verfassten Tagebuchs kommen sollte.