Hochwasserdrama am Steinwehr

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Überflutet war 1920 auch die Bahnhofsstraße in Kronach.
Überflutet war 1920 auch die Bahnhofsstraße in Kronach.
Der Kronacher Starfotograf Johann Friedrich Schmidt (1857-1922) hatte das Hochwasser am 11. Januar 1920 in der einstigen "Oberen Wasserstraße in Kronach" (jetzt Adolf-Kolping-Straße) im Bild festgehalten. Repros: Gerd Fleischmann
Der Kronacher Starfotograf Johann Friedrich Schmidt (1857-1922) hatte das Hochwasser am 11. Januar 1920 in der einstigen "Oberen Wasserstraße in Kronach" (jetzt Adolf-Kolping-Straße) im Bild festgehalten.  Repros: Gerd Fleischmann
 

Wassermassen überfluteten vor genau 100 Jahren Kronach. Ein Jahrhunderthochwasser verwandelte harmlose Flüsse im Frankenwald in reißende Gebirgsbäche. Der Zugverkehr auf den Nebenbahnstrecken wurde eingestellt.

Normalerweise sind die drei Frankenwaldflüsse harmlose Gewässer. Doch alle paar Jahre sorgten in alter Zeit Haßlach, Kronach und Rodach für Angst und Schrecken, vor allem dann, wenn in schneereicher Winterlandschaft das Wetter plötzlich umschlägt und sich der Regen mit Schnee vermischt. So geschehen Weihnachten 1967. Damals glichen die Täler des Frankenwaldes einer Seenlandschaft - mit schlimmen Folgen. Doch ein Blick in die Chronik besagt, dass schon vor Jahrhunderten - so beispielsweise 1342 oder 1718 - Wassermassen von unvorstellbaren Dimensionen gen Kronach rauschten.

Im Januar 1920, also vor 100 Jahren, sorgte erneut der gefürchtete Witterungsumschwung für ein dramatisches Hochwasser. Und der Pressiger Johann Bayer (1894 - 1971), seit seinem zwölften Lebensjahr mit der Flößerei auf den heimischen Gewässern bestens vertraut und 1919 zum Vorarbeiter beim Straßen- und Flussbauamt Kronach befördert, kam zwischen dem 8. und 11. Januar 1920 mit dem nassen Element besonders dramatisch in Berührung.

Es begann, wie jeder Winter im Frankenwald normalerweise beginnt: Die Temperatur sank im Januar einige Grad unter Null, es schneite, was vom Himmel nur so herunterging. Mittlerweile erreichte die weiße Pracht eine Höhe von gut einem halben Meter. Doch über Nacht hatte das Wetter total umgeschlagen. Es regnete und regnete. Der hart gefrorene Boden ließ ein Eindringen nicht zu. Und schließlich gaben die Wälder die Schneemassen frei.

Es kam, wie es kommen musste, die harmlosen Frankenwaldgewässer entwickelten sich im Rekordtempo zu reißenden Gebirgsbächen. Johann Bayer aus Pressig erinnerte sich in einem Gespräch mit dem Autor dieses Beitrags 1968 daran, dass bereits am 9. Januar der Hirschfelder Teich aufbrach und die Eilaer Brücke bei Pressig durch die Wucht der Baumstämme zerstört wurde. Ihm war als Wasserexperte ein pausenloser Einsatz beschieden, denn es galt, die in Flussnähe lagernden Holzstämme in Sicherheit zu bringen, um weitere Brückenschäden zu verhindern.

Die Wassermassen - so Bayer - schwollen unwahrscheinlich schnell an, in der Pressiger Gastwirtschaft Barnickel stand das Wasser schon einen Meter in der Wirtsstube. Beim ehemaligen Bürgermeister J. B. Nickel, der sein Domizil neben der Tettau hatte, wurde es zusehends gefährlicher, denn dort lagerten 500 Festmeter Holz. Völlig durchnässt gelang es Bayer mit Hilfe einiger Floßknechte, die Holzstämme mit 50 Meter langen Ketten an dem vorbeiführenden Bahngleis zu befestigen. Zweifellos keine legale Lösung. Doch die Gefahr war nun einigermaßen gebannt.

Es sollte allerdings für den Pressiger noch schlimmer kommen. Am 11. Januar 1920 kam es dann zum denkwürdigsten Einsatz seines Lebens. Johann Bayer wurde zu seiner Dienststelle nach Kronach beordert. Zu diesem Zeitpunkt sah es in der Dreiflüssestadt trostlos aus.

Besonders am alten Steinwehr hatten sich die Wassermassen gefährlich hoch gestaut. Im einstigen Mühlgraben gelangte durch die Stauung das nasse Element mit voller Wucht in die Rosenau. Dieser stets gefährdete Stadtbereich ging buchstäblich baden. Ebenfalls waren das Gesellenhaus (ehemaliges katholisches Vereinshaus) und die anderen Gebäude total umspült.

Ein tobendes Inferno

Das Steinwehr hatte sich zum neuralgischen Punkt entwickelt, denn die drei Hauptschütze und die neun Nebenschütze, die wegen der Flößerei angebracht waren, stauten das Wasser einen Meter höher. Niemand traute es sich zu, die Schütze zu öffnen, bis sich Johann Bayer ein Herz nahm, um zur riskanten Tat zu schreiten.

An einem Seil befestigt, versehen mit einem Floßhaken, arbeitete er sich auf zwei Stäubern (zwei fest miteinander verbundene Holzstämme) an das Wehr heran. Tapfer hielt sich Johann Bayer auf seinen Baumstämmen, die mehr oder weniger einer Nussschale in diesem tobenden Inferno glichen. Mit letzter Kraft stieß der Pressiger mit dem Floßhaken die Befestigung der Hauptschütze ab. Die Wassermassen hatten nun einen neuen Weg gefunden.

Nun ging es Schlag auf Schlag. Nach den Hauptschützen kamen die Nebenschütze zu Fall. Keine leichte Arbeit, doch endlich, es war geschafft! Ein Aufatmen ging durch die Zuschauer, die diese waghalsige Aktion ängstlich verfolgt hatten. Endlich - der kritische Einsatz war von Erfolg gekrönt, der Wasserspiegel fiel in der Rosenau um einen Meter zurück.

Aus den Veröffentlichungen der Zeitung "Fränkischer Wald" sind weitere interessante Details über das Ausmaß dieses enormen Hochwassers ersichtlich. Meldung vom 16. Januar 1920: "Wegen Damm- und Gleisunterspülung durch Hochwasser musste am 12. Januar der Verkehr auf den Nebenbahnstrecken Kronach - Nordhalben und Rothenkirchen - Tettau eingestellt werden. Während auf erster Strecke am gleichen Tag nachmittags der Verkehr wieder aufgenommen werden konnte, war die Verkehrsaufnahme auf letzter Strecke erst am 15. wieder möglich."