Zum Artikel "Personal an der Belastungsgrenze" vom 21. November 2020: Die Lehre aus der Corona-Krise sei die Schaffung einer Pflegereserve, so der bayerische Gesund-heitsstaatssekretär Holetschek. Das...
Zum Artikel "Personal an der Belastungsgrenze" vom 21. November 2020:
Die Lehre aus der Corona-Krise sei die Schaffung einer Pflegereserve, so der bayerische Gesund-heitsstaatssekretär Holetschek. Das hört sich im ersten Moment toll an, zeugt jedoch von einer relativ flachen Kenntnis der Zustände in Kliniken. Im Grunde ist es eine Bankrotterklärung der bundesdeutschen Gesundheitspolitik. Man kann vielleicht in Senioren- und Pflegeheimen bzw. in der haushaltsnahen Versorgung durchaus Hilfen einsetzen, aber für den Klinikbereich stoßen solche Ideen relativ schnell an ihre Grenzen. Hier fehlen die Fachkräfte! Wie man sich das in der Praxis vorstellen muss - dazu kommen einem nach der Überschrift doch viele Fragezeichen. Außerdem sind solche Ideen wenig wertschätzend für die Arbeit in den Kliniken. Suggerieren sie doch: "Versorgung in einer Klinik kann jeder." Für eine adäquate Versorgung sind die Berufsbilder in den Kliniken heutzutage hoch spezialisiert und erfordern neben einer fundierten Ausbildung auch ständige Weiterbildung. Das kann nicht einfach so in einem Schnelllehrgang vermittelt werden, wie man sich das so vorstellt. Man schafft einerseits Pflegepools, der Bundesgesundheitsminister schafft andererseits immer wieder tausende von Pflegestellen. Das ist zwar plakativ für den jeweiligen Veranlasser, aber alle diese Stellen haben eines gemeinsam - sie können derzeit meistens nicht besetzt werden. Das wiederum liegt an den Arbeitsbedingungen in diesen Berufen. Schon bei normalen Bedingungen (ohne Corona-Pandemie) problematisch. Die können in Corona-Zeiten sogar noch verschlechtert werden (12-Stunden-Schicht, trotz Infektion arbeiten).
Es gibt - zugegeben - auch ein gewisses Potenzial an Menschen, die schon mal im Pflege- oder Klinikbereich gearbeitet haben. Aber diese Menschen haben ihren ursprünglich erlernten Beruf oft genau wegen der unzumutbaren Arbeitsbedingungen verlassen und werden auch nicht zurückkehren, solange die Bedingungen weiterhin so sind, wie sie sind. Die Lehre aus der Corona-Krise ist vielmehr die, dass die Pflege-/Gesundheitspolitik seit Jahren ein Stiefkind ist. Die Arbeitsbedingungen für die dort Beschäftigten wurden zugunsten der Wirtschaftlichkeit seit Jahrzehnten vernachlässigt. Warnungen aus diesem Bereich wurden nicht erhört. Jetzt, unter der Corona-Pandemie, werden diese Mängel mehr als einem lieb ist deutlich. Die Lösung wäre somit nicht der Ruf nach einer ominösen Reserve, sondern dass die Politik auf den schon lange zu hörenden Ruf nach einer besseren Personalgrundausstattung und einer besseren Vergütung endlich reagiert. Das wird nicht von heute auf morgen zu schaffen sein, aber man könnte so eine bessere Versorgung gewährleisten und wäre bei einer Pandemie nicht so anfällig.
Gerhard Sterzer
Pettstadt