Er war bisher der pausbäckige, traurige Junge mit der Gitarre, der von Liebe und Leiden singt. Der Tourstopp in der Brose-Arena hat bewiesen: Philipp Poisel kann auch anders — mit Discokugel und Konfetti-Kanone.
Anna-lena deuerling
Liebe, Herzschmerz, die große Frage nach dem Sinn des Lebens: Sänger Philipp Poisel hatte seine Nische gefunden. Mit den ersten beiden Alben hat er sich das Prädikat "trauriger Junge mit Gitarre" redlich verdient. Die Fans hängen an seinen Lippen, auch wenn der Text noch so platt fordert: "Ich will nur, dass du weißt, ich hab dich immer noch lieb." Er wirkt ehrlich, verletzlich, bescheiden.
Fast sieben Jahre später legt er nach. Mit dem neuen Album "Mein Amerika" will er Größeres, schlägt andere Töne an und will offensichtlich auch auf der Bühne beweisen: Ich bin mehr als der traurige Junge, der die Mädchen mit seinen Texten zum Weinen bringt. Ich bin der, der Arenen füllen und sie auch zum Tanzen bringen kann. Am Freitagabend konnten sich die Bamberger Fans davon überzeugen.
Eine Skyline in Bamberg
Schon mit dem ersten Song wurde klar: Ein Abend mit Akustik-Gitarre wird das hier nicht. Vor den Zuschauern der Brose-Arena baute sich eine riesige Skyline auf - mit nach Amerika wollte der Sänger seine Fans nehmen. Er und seine Band wurden von der beeindruckenden Lichtkulisse nahezu verschluckt.
Zum nächsten Song wechselte die Szenerie: Die Band nur noch als Silhouetten erkennbar, Poisel singt "Geh nicht", der Zuschauer wird in die stürmische See gezogen. Ein Leuchtturm schickte sein Signal in die Brose-Arena.
Der weitere Verlauf des Abends ist weniger ruhig und intim, mehr laut und aufbrausend. Es war ständig etwas in Bewegung. Fast zu jedem Song wechselten Besetzung auf der Bühne, Szenenbild und Position der Akteure.
Man merkte: Der 33-Jährige versucht den eigens mitgebrachten Laufsteg auszufüllen, jedem im Publikum Aufmerksamkeit zu schenken, er steht keine Sekunde still. Die Freunde seiner ruhigeren Töne kamen natürlich auch auf ihre Kosten. Allein mit der Gitarre sang er Songs der ersten beiden Alben. Hier darf der Fan noch textsicher sein und die Menge stimmte souverän an "Froh dabei zu sein" oder "Wo fängt dein Himmel an?"
Doch auch neues Material kam beim Publikum an: "Erkläre mir die Liebe" sang Poisel und die Arena hängt an seinen Lippen. Auch hier sieht man wieder: Das Bühnenbild rückt in den Vordergrund, die Band, der Musiker nur schemenhaft zu erkennen, Poisel steht ganz still. "Erkläre mir das Leben", raunt er ins Mikro und seine Fans lassen das gerne zu.
Das Konzert wird zur Show
Bis zu diesem Zeitpunkt hat er seine Anhänger in das heimelige Gefühl des Bekannten gespielt. Der Sänger ist so talentiert, aber zurückhaltend wie eh und je. Das änderte sich in der zweiten Hälfte drastisch. Der Abend wurde vom Konzert zur Show, der Sänger zum Entertainer, die Bühne zum Musical-Schauplatz.
Der Song "Zum ersten Mal Nintendo" vom neuen Album markierte den Bruch des Abends. Poisel stand tatsächlich mit einem überdimensionalen Nintendo auf der Bühne, menschliche Tetrisfiguren tauchten auf, Super Marios warfen wie an Karneval Kamelle ins Publikum. Wo ist eigentlich der Sänger, fragte man sich da. Ach ja, der rollte mal eben mit weißen Rollschuhen über den Laufsteg.
Es ist ganz offensichtlich der Versuch, die Idee eines Singer-Songwriters mit der Kulisse einer riesigen Arena zusammenzubringen. Sicher, Show und Lichttechnik sind beeindruckend, die Bühneninszenierung amüsant. Doch die Musik rückt oft in den Hintergrund.
Die Show ging weiter: Zwischenzeitlich standen über 20 Mann auf der Bühne und spielten ein kleines Theaterstück in Heimatfilm-Kulisse. Was störte: fast nach jedem Lied wurde umgebaut. Ein Stück wie "Mit jedem deiner Fehler" bedarf nicht unbedingt einer überdimensionalen Ballerina am Bühnenrand, die noch während der ersten Noten aufgebaut wird. Poisel, der sich selbst am Klavier begleitete, ging im Durcheinander fast verloren. Es lenkte viel vom Wesentlichen ab: der Musik, den bewegenden Texten.
Ekstase auf der Bühne
Zur nächsten Showeinlage kam es bei "San Francisco Nights". Die Band schlüpfte in Hippie-Kostüme, ein kleiner VW-Bus fuhr auf die Bühne, Poisel und seine Mannschaft sangen und tanzten völlig ekstatisch zu einer der wenigen Uptempo-Nummern. Man merkte klar: Dder Zuschauer lässt sich gerne mitreißen und begeistern. Doch als dann wieder eins der ruhigeren Stücke kam, merkte man ebenso schnell: Deshalb sind die Leute eigentlich hier. Ohne Show und Effekte sang Poisel "Ich will nur" und die ganze Arena sang mit. Für das große Finale wurden dann noch mal alle Kaliber aufgefahren: DJ-Pult, Discokugel und Konfetti-Kanone verwandeln die Zugabe in eine riesige Party. Ein breakdancender Philipp Poisel, der nach 150 Minuten Show, quasi ohne Unterbrechung, mit Techno-Beat zum Abschluss kommt.
Er hat ganz klar bewiesen: Ein kleiner Liedermacher in der großen Arena, das klappt. Das Publikum war vor allem überrascht, aber auch beeindruckt und begeistert. Dass die Musik zur Nebensache wird und ein wenig Authentizität verloren geht, ist die andere Seite der Medaille.
Vielleicht muss man sich an den Breakdance tanzenden Philipp Poisel erst gewöhnen und sich langsam vom pausbäckigen, traurigen Jungen verabschieden.