von unserem Redaktionsmitglied Thomas Ahnert Bad Kissingen — Der erste Satz war gerade verklungen, als etwas Ungewöhnliches passierte: Da drehte sich plötzlich der Dirigent zum Pu...
von unserem Redaktionsmitglied
Thomas Ahnert
Bad Kissingen — Der erste Satz war gerade verklungen, als etwas Ungewöhnliches passierte: Da drehte sich plötzlich der Dirigent zum Publikum und äußerte eine Bitte oder Aufforderung: Das sei, so Gerd Schaller, eine sehr schwere Musik, die sein Orchester, die Philharmonie Festiva, gerade zu spielen habe. Da möge man doch bitte nicht ständig und so laut husten: "Wenn es sich nicht vermeiden lässt, dann etwas kontrollierter."
Gerd Schaller hatte ja Recht. Die Beobachtung, dass das Publikum immer ungenierter hustet, vor allem nach dem Pausensekt, lässt sich durchaus auch im Großen Saal machen. Wenn das die Musiker, die auch nicht vor Erkältungen und Allergien gefeit sind, auch machen würden.
Natürlich standen Gerd Schaller und seine Leute unter einem besonderen Druck.
Denn der zweite Teil des Konzerts wurde vom Bayerischen Rundfunk aufgenommen und soll demnächst als CD die Serie der Bruckner-Sinfonien ergänzen. Da ist es natürlich keine Empfehlung, wenn die Live-Aufnahme so verhustet ist, dass man sie lieber löschen würde.
Ansage mit Wirkung Schallers Aufforderung gestattete zwei Beobachtungen: zum einen, wie lange es dauerte, bis das Getuschel über die unerwartete Ansprache verklungen war. Zum anderen, dass danach wirklich fast niemand mehr hörbar gehustet hat. Es wäre also auch vorher nicht unbedingt nötig gewesen. Dem Publikum sollte das zu denken geben.
Gerd Schaller hatte aber auch in einer anderen Hinsicht Recht: Es war wirklich schwere Musik, die sein Orchester zu spielen hatte.
Denn Anton Bruckners Sinfonie f-moll WAB 99, die sogenannte "Studiensinfonie", hat kein Orchester in seinem Repertoire, sie ist eine absolute Rarität. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, dass die Musiker immer voller Konzentration nicht nur zum Dirigenten schauten, sondern auch in ihre Noten.
Mit einem gewissen Überschwang Bruckner schrieb das Werk während seines Kompositionsstudiums in Linz und deshalb steht es in dem unvermeidlichen Ruf, nicht ernst genommen werden zu müssen. Und bei den Musikern ist die Sinfonie vermutlich deshalb nicht allzu beliebt, weil sie für die seltenen Aufführungen enorm viel Arbeit braucht. Denn der junge Mann hat, wie das Anfänger gerne tun, alle technischen Gemeinheiten und alle Effekte in diese Musik gepackt, um zu zeigen, was von ihm noch alles zu erwarten ist.
Und die virtuosen Anforderungen an alle Orchestermitglieder sind wirklich enorm.
Dass Gerd Schaller seine Philharmonie Festiva bestens auf diesen Mitschnitt vorbereitet hatte, war zu erwarten. Und wie ernst ihm die Sache war, zeigte sein konzentriertes Dirigat, denn er schlug wirklich jedes Viertel. Der Interpretation kam diese Präzision außerordentlich zugute. Denn es wurde deutlich, dass sich die Aufführung von Bruckners Erstling wirklich lohnt. Es ist ja keine Schande, von Beethoven und Mozart beeinflusst, von Wagner noch nicht beeinflusst zu sein. Sehr gut herausgearbeitet waren die starken Kontraste, die Dialogstrukturen zwischen den Gruppen, die vielleicht manchmal ein bisschen kurzatmig sind, die klaren Klangfarben, die mitunter verzwickten Rhythmen, die sich im späteren Werk Bruckners wiederfinden.
Und das Orchester ließ sich auf keine weichzeich-nenden Kompromisse ein, spielte so messerscharf, dass der dritte Satz außerordentlich modern klang - was man vom älteren Bruckner nicht mehr so ohne weiteres sagen würde.
Beethoven wurde nur Zweiter Das intensive Proben merkte man dem vorausgehenden 4. Klavierkonzert von Ludwig van Beethoven allerdings auch an. Da war vielleicht ein bisschen zu wenig Zeit übrig geblieben. Und Beethoven kann so ein Orchester immer irgendwie spielen. Da merkte man Konzentrationsschwächen. Aber man muss auch sagen, dass Andrei Licaret als Solist nicht der fordernde Partner war. Zugegeben, es gelang ihm im zweiten Satz eine sehr deutliche Strukturierung der Mehrstimmigkeit seines Parts, wie sie nicht oft zu hören ist.
Aber insgesamt war er kein Gestalter, der sich auf das Orchester einließ, sondern er blieb flach in der Agogik und Dynamik, überspielte musikalische Atemzäsuren, entwickelte kein Ausdrucksprofil. Und erstaunlicherweise bekam auch er Konzentrationsprobleme.
Verschmerzbar angesichts des überraschend interessanten Bruckners. Zumal auch ganz zu Beginn Rossinis Ouvertüre zur "Diebischen Elster" mit viel Pfiff musiziert war und mit einer feinen Ironisierung des Pathetischen in den marschierenden, exerzierenden Teilen.