Die Slawen im frühen Mittelalter galten als friedliche und handwerklich geschickte Menschen. Sie leisteten auch im Frankenwald Pionierarbeit.
Roland Schönmüller Kreis Kronach — Sie waren da - eine geraume Zeit und ließen sich bei uns nieder. Sie machten das Waldland urbar und legten Sümpfe trocken. Sie wohnten in Gebieten, wo andere nicht leben wollten. Zu rau sei das Klima, zu unberechenbar die Witterung und zu ungünstig die Startbedingungen, wo Getreide wachsen sollte und Weidetiere Futter finden wollten - meinten die Durchreisenden. Dennoch: Der nahe Wald versprach reichlich Baumaterial und Brennholz für ihre Häuser, lieferte Nahrung für die Haustiere, bot Unterschlupf und Versteckmöglichkeiten bei feindlichen Einfällen.
Aber bedrohlich blieb die Wildnis. Und der eiskalte Winter kam mit Frost, Schnee und Stürmen eher und blieb länger als anderswo. Sie galten als Spezialisten der Landnahme, Rodung und Besiedlung. Aber eigene Generationen vor ihnen erlebten in anderen Domizilen Krieg, Flucht und Vertreibung. Diese Angst und Existenznot steckte noch in ihren Knochen und war Ansporn zum Neubeginn in ruhigeren Gefilden. Hier im Nordwald und in der Nähe fanden sie endlich ein Zuhause. Von wem ist die Rede? Es sind die Slawen, die im Frühmittelalter auch im Frankenwald und Obermaingebiet ihre Bleibe fanden - freiwillig oder durch andere Umstände.
Jahrhunderte später, im Hochmittelalter, hat sich dieser Volksstamm so angeglichen, dass Sprachrelikte nur noch spärlich aufzuspüren sind. Teuschnitz, Mitwitz, Tettau, Kremnitz, Dober, Lahm, Posseck oder Tschirn - das sind für uns vertraute Gewässer- und Ortsnamen im Kronacher Landkreis. Auf welchen Ursprung gehen sie zurück? Sind es slawische Namen? Was bedeuten sie?
Fachleute und Sprachforscher haben sich damit auseinandergesetzt und überzeugende Deutungsversuche erstellt sowie verwandtschaftliche Sprachmuster in anderen slawischen Ländern entdeckt. In der Regel beschreiben die slawischen Namen Naturgegebenheiten und Landschaftsauffälligkeiten. Hiesige Dorfchroniken erwähnen slawische Siedlungen bei uns nur sehr zögerlich, bei Ortsnamen suchte man mit Vorliebe germanische Wurzeln.
Suche nach Sicherheit und Schutz
Der eine oder andere Siedlungsname gilt manchem Autor und Chronisten als zu Unrecht verslawisiert. Vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war die Diskussion zu einstigen slawischsprachigen Bevölkerungsgruppen bei uns nahezu neutral geblieben. Befürchtete man eine politische Einverleibung des oberfränkischen Gebietes in nichtdeutsche Nachbarländer? Unbestreitbar ist aber die Tatsache einer Präsenz slawischer Bewohner auch in unserer Region.
Bekannt war für die Slawen, dass sie bereits um 600 nach Christus in Wäldern, an Gewässern und an schwer zugänglichen Sümpfen lebten, wo sie sichere Rückzugsmöglichkeiten und idealen Schutz vor Angreifern fanden. Gern gewählte Besiedelungsplätze waren gewässernahe Niederungen, bewaldete Hochflächen und sandige Talauen, um Weide und Fischfang, Waldwirtschaft, Ackerbau und Viehzucht zu ermöglichen. Durch Brandrodung erfolgte mancherorts die Erschließung der Nutzflächen. Klein und wohl zunächst unbefestigt waren diese slawischen Siedlungen mit fünf bis 15 locker und unregelmäßig über eine Fläche von wenigen Hektar verteilten Wohngebäuden. In einem solchen Dorf oder Weiler dürften kaum mehr als 30 bis 60 Personen oder ein halbes bis ganzes Dutzend Familien gelebt haben, wobei einzelne Dörfer und Rodungsinseln eine größere Siedlungskammer bildeten.
Als Wohnbauten muss man sich kleine, eingeteilte und einräumige Grubenhäuser in Blockbauweise vorstellen, die im härteren Kontinentalklima größeren Schutz vor Winterkälte und Sommerhitze boten.
Die Nahrungsbeschaffung stützte sich in erster Linie auf einen extensiven Ackerbau mit Sommergetreide wie Weizen, Gerste, Hirse und Hafer, das keine intensive Bodenbearbeitung erforderte. Erst später kam der Roggen als robusteres Wintergetreide hinzu. Ochsen zogen hölzerne, später eiserne Hakenpflüge, die den Boden nur aufritzten und nicht umwendeten. Brot und Fladen buken die slawischen Siedler aus grobem, gesiebtem Mehl. Die wilde Feld-Gras-Wirtschaft wurde im 8. bis 10. Jahrhundert von einem geregelten Feld-Brache-System abgelöst. Eine Intensivierung des Getreideanbaus, eine Produktionssteigerung mit regelmäßigen Ernte-Überschüssen war die Folge. Neben Acker- und Gartenbau war man auf Viehwirtschaft, Fischfang, Waldwirtschaft und auf Jagd angewiesen.
Sippe und Stamm
Wenig bekannt sind religiöse Sinnkonstruktionen und Glaubenspraktiken der frühen Slawen. Ihre Toten wurden wohl in öffentlichen Zeremonien verbrannt und in kleinen Gruben bestattet. Grabbeigaben gibt es bei ihnen ab dem 8./9. Jahrhundert. Die Familienverfassung war eine patriarchalische. Die Einwohner eines Ortes bildeten eine durch Blutsverwandtschaft verknüpfte Sippe, deren Mitglieder einen gemeinsamen Namen trugen, gemeinschaftliches Gut besaßen und unter einem gewählten Ältesten standen. Aus mehreren solcher Sippen bildete sich der Stamm, an dessen Spitze das Stammesoberhaupt, der Anführer im Krieg, stand. Nach den griechischen und deutschen Schriftstellern waren die alten Slawen ein friedliebendes und fleißiges Volk, das fest am Althergebrachten hing, leidenschaftlich Ackerbau und Viehzucht und auch, wie aus der Sprache und aus archäologischen Funden hervorgeht, Handel trieb. Gerühmt wurde ihre Gastfreundschaft. Kranke und Arme fanden sorgfältige Pflege. Die Slawen werden als sehr gesangliebend geschildert. Seele und Gemüt offenbaren sich in anmutigen Liedern und Gesängen.