Über Johann Neubauer, genannt Kanterhann, einst Kantor und Bürgermeister von Steinbach am Wald.
In unserer heutigen Gesellschaft haben die Menschen immer weniger Zeit. Rühmliche Ausnahmen werden als Lebenskünstler angesehen. Obwohl die Menschen früher härter und noch länger arbeiten mussten, hatte sie einfach mehr Zeit für ihre Mitbürger. Und es gab keine ausufernden Fernsehprogramme. Die Konsumgesellschaft unserer Tage hat einen bemerkenswerten Freizeitstress mit viel Leerlauf inszeniert. Unser Beitrag gilt heute einem Manne, der, obwohl 1950 verstorben, auch heute noch am Rennsteig einen legendären Ruf genießt: Es ist der Kanterhann mit dem bürgerlichen Namen Johann Neubauer.
Hof wird zum Musterbetrieb
Am 18. April 1950 trugen die Steinbacher den Kanterhann zu Grabe. Er war Bauer, Bürgermeister und Vater des Dorfes, ein Freund der Natur und der Bienenzucht. Noch als Siebziger baute er eine landwirtschaftliche Hofanlage zum Musterbetrieb aus, dessen Planer und Baumeister er selbst war. Seinen Namen verdankte er seiner Begabung auf dem Gebiet der Musik, wo Johann Neubauer Kantor war, Dirigent und Komponist zugleich.
Aber er war noch mehr. Er war ein immer tätiger Mensch, der dennoch Zeit hatte, weil er sich Zeit nahm, den Dialog mit seinen Mitmenschen zu führen. Aufgeschlossen und hilfsbereit stand er der Dorfgemeinschaft stets positiv gegenüber. Und er war ein Alleskönner. Seine Liebe zur Natur beeindruckte seine Zeitgenossen.
Als der fast 80-Jährige am Gründonnerstag in seiner alten Wehrkirche die Orgel zur dreitägigen Ruhe abgespielt hatte, ging er nach Haus, sich zum Sterben hinzulegen. Die Beerdigung glich mehr einem Fest des Dankes als einer Trauer, und die Klänge eines Trauermarsches zum Friedhof am Rennsteig begleiteten nicht so sehr den Sarg eines Toten, sondern die Seele eines Verstorbenen.
Dorfgemeinschaft galt etwas
Dem ehemaligen Lehrer Andreas Dück verdanken wir eine nette Episode mit dem Kanterhann. Die Geschichte liegt weit zurück und spiegelt den Geist jener Zeit wider, da die dörfliche Gemeinschaft noch einen sehr hohen Stellenwert einnahm. Im Jahre 1911 war Andreas Dück als Hilfslehrer nach Steinbach am Wald gekommen. Nur weil das Schulhaus ein roter Backsteinbau (jetzt Rathaus) war, trat es als eine Art farbiger Schatten aus dem Schiefergrau hervor. Er fand aufgeschlossene Lehrersleute vor, die ihn herzlich aufnahmen. Weil der Tag der Ankunft ein Sonntag war, blieb der Neuling den Nachmittag bei der Lehrerfamilie. Möglichst bald sollte der Bürgermeister zur Vorstellung besucht werden.
Gesagt, getan: Als Lehrer und Junglehrer abends in den Gasthof "Fränkischer Wald" (jetzt Antikhotel "Steinbacher Hof") kamen, klang den Besuchern auf dem Klavier Marschmusik entgegen. Die behagliche Wirtsstube war voller Männer und um den großen Kachelofen herum saßen Frauen und Mädchen. In der einen Ecke der Stube stand ein massiger Eichentisch, an dessen Präsidiumsseite ein Bauer saß, der mit seinen Tischgenossen lebhaft diskutierte. Nach der Begrüßung wollte die Wirtin den beiden einen besonderen Platz aussuchen. Doch es kam anders.
Da war der Marsch zu Ende und der Klavierspieler stand auf, die späten Gäste zu begrüßen. "Herr Bürgermeister, das ist unser neuer Lehrer!" sagte der altgediente Pädagoge. Der Bürgermeister schüttelte dem Junglehrer kräftig die Hand, hieß ihn herzlich willkommen, ging ans Klavier zu einem Tusch, worauf sofort Stille eintrat, und stellte Andreas Dück den Steinbachern vor, aber in einer so einfachen und netten Art, dass der Neuling sich darüber freuen durfte, so problemlos in der Dorfgemeinschaft aufgenommen zu werden.