Ein Kessel Schmutzwäsche

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Der Alkohol besänftigt ein wenig die ermüdeten Kriegerinnen (von links): Sandra Lava, Silvia Steger und Susanne Pfeiffer. Foto: Sebastian Worch
Der Alkohol besänftigt ein wenig die ermüdeten Kriegerinnen (von links): Sandra Lava, Silvia Steger und Susanne Pfeiffer. Foto: Sebastian Worch

Im Intimen Theater des Theaters Schloss Maßbach hatte die bissige Erfolgskomödie "Der Gott des Gemetzels" von Yasmina Reza Premiere. Ingo Pfeiffer und seinem Quartett ist eine hinreißend hässliche Umsetzung des Textes gelungen.

"Der Gott des Gemetzels". Na klar, das kennt man doch. Das ist doch das Stück, in dem sich zwei Jungen verprügeln und sich anschließend ihre Eltern fürchterlich in die Haare geraten. Kein Wunder, dass man zumindest schon einmal davon gehört, wenn es nicht sogar schon gesehen hat. Denn Yasmina Rezas Stück "Le Dieu du carnage", 2006 in Zürich herausgekommen, ist eines der weltweit erfolgreichsten Stücke der letzten zehn Jahre. Alleine in Deutschland wurde es an über 90 Bühnen bereits gespielt - und da sind die Laientheater nicht mitgezählt. Muss man es sich da ausgerechnet im Intimen Theater in Maßbach (noch einmal) anschauen?
Die Antwort ist einfach: Ja, man muss. Und dafür gibt es mehrere gute Gründe. Weil es zum einen ein wirklich gutes Stück ist. Natürlich ist der Auslöser ein ganz einfacher: Der elfjährige Ferdinand Reille hat auf dem Square de l'Aspirant Dunand, einem Platz im 14. Arrondissement von Paris, dem gleichaltrigen Bruno Houillé mit einem Bambusstock ins Gesicht geschlagen und ihm dabei eine dicke Oberlippe und zwei aus- oder angebrochene Zähne beschert. Soweit ist die Sache tatsächlich autobiographisch. Denn das ist Yasmina Rezas Sohn auch passiert. Sie hat sich dann gewundert, dass sich weder der rabiate Junge noch seine Eltern bei ihr gemeldet haben für irgendein Wort der Entschuldigung. In dem Stück entwickelt sie ein Szenario eines solchen Besuches, wie er hätte ablaufen können. Und nachdem sie den letzten Punkt gemacht hatte, wird sie froh gewesen sein, dass sich die Eltern bei ihr nicht haben blicken lassen.


Zündschnur für Konflikte

Denn um die beiden Kinder geht es schon bald nicht mehr. Sie dienen nur immer wieder als Zündschnur für die immer wieder aufbrausenden Konflikte. Denn eigentlich sind sich die Reilles und die Houillés mehr oder weniger einig, dass Buben in dem Alter halt so sind, dass die Lippe wieder abschwillt und dass die Zahnreparaturen eher ein Fall für die Versicherungen sind. Es geht vielmehr um das Verhältnis von Zivilisation und Gewalt in den verschiedensten Formen, denen eine ganz normale bürgerliche Familie ausgesetzt ist, die aber auch in ihr entsteht. Das geht vom Umgang mit der nervösen alten Mutter am Telefon, die ein neues Kniegelenk eingesetzt bekommen soll, über den Hamster der Familie Houillé, den Michel in der Nacht einfach auf die Straße kippt, weil er Angst hat "vor allem, was auf dem Boden kriecht", bis zur Vertuschung eines großen Arzneimittelskandals, in den - im Original - Alain Reille als Konzernanwalt verwickelt ist, und dem Darfur-Konflikt, über den Véronique Houillé im fernen (damals noch sicheren) Paris ein Buch schreibt. Für Kinder ist da ohnehin kein Raum für Aufmerksamkeit. Als Friedensstifter können sie nicht wirken, weil sie gar keine Rolle spielen in einer Auseinandersetzung, die an die Grenzen des Erträglichen geht.
Aber anschauen muss man sich das Stück auch, weil die Inszenierung von Ingo Pfeiffer in die absolute Spitzengruppe der 90 deutschen Aufnahmen gehört. Denn er hat nicht nur einen interessanten Aspekt in das Konstrukt des Stückes gebracht. Schwerpunktthema dieser Spielzeit des Maßbacher Theaters sind Fragen zu Identität und Toleranz am Beispiel der Homosexualität. Und da bot sich ein kleiner Kunstgriff an: Aus Alain Reille wurde Aline Reille. Als die Houillés in ihrem etwas gefängnishaft-ungemütlichen Wohnzimmer aus dem leidenschaftslosen Möbelkatalog (Bühnenbild: Peter Picciani), werden sie, als es klingelt, überrascht: Vor der Türe stehen zwei Frauen: Aline und Annette Reille. "Oh, zwei Frauen!", flüstert Michel Veronique zu, als ob sie das nicht selber sehen könnte. Aber dann setzt ein erstaunlicher, wohltuender Prozess (der einzige an diesem Abend) ein: Die Houillés (und mit ihnen das Publikum) gewöhnen sich so schnell an das verheiratete lesbische Paar, dass nicht einmal die Frage auftauchte, wer von beiden denn nun die Mutter des rabiaten Ferdinand sei. Aber es wurde im Auftreten und in der Kleidung (Kostüme: Daniela Schüller) schon deutlich, wie die Rollenverteilung in dieser Ehe ist.


Enorme Spannung

Wesentlicher ist allerdings die inszenatorische Klarheit des "Gemetzels". Er hat die ganzen Konfliktlinien ganz klar herausgearbeitet und miteinander verknüpft und daraus ein dichtes Netz geformt, in dem sich nicht nur die Akteure verfingen, sondern auch das Publikum. Die Pause tat vermutlich allen gut. Und mit einer peinlichst genauen Personenregie, die in den ganzen Aggressionen auch das Komödiantische der Lächerlichkeit entdeckt und zeigt, schafft er es von Anfang an, eines zu vermeiden: aus dem "Gott des Gemetzels" ein Konversationsstück zu machen, wie es die Franzosen so lieben. Nein, hier ist eine enorme Spannung drin, die auch aus der Handlung und ihrem hohen Tempo kommt.
Er hat ein Quartett, das ihm auf diesem hohen Niveau folgen kann: Sandra Lava (Véronique), Marc Marchand (Michel), Silvia Steger (Annette) und Susanne Pfeiffer (Aline). Die vier schmeißen sich rein in diesen Jahrmarkt der Choleriker, zeigen, wie ihre bürgerlichen Fassaden immer mehr zu Fratzen werden - natürlich auch unter der (klug und zurückhaltend gespielten) Wirkung des Alkohols, wie sie immer mehr darauf aus sind, den Anderen um des Verletzens willen zu verletzen, wie sich zum Teil auch ganz hintergründig die Allianzen verschieben. Denn die Frontlinie verläuft keineswegs nur zwischen den beiden Ehepaaren. Da muss man als Zuschauer immer wieder lachen, auch wenn es den Figuren auf der Bühne im wahrsten Sinn des Wortes zum Kotzen zumute ist. Man verlässt das Theater, gutgelaunt, wenn auch mit ein bisschen schlechtem Gewissen gegenüber den Paaren, weil man über sie und ihr Elend gelacht hat. Und man freut sich mit Yasmina Reza, dass damals die Eltern nicht gekommen sind.