Im ehemaligen "Güldenen Baum" steht eine Großproduktion an. Hauptdarsteller ist Stephan Bach.
Rudolf görtler
Die Geschichte kennt eigentlich jeder. Dr. Jekyll hat eine Droge entwickelt und an sich selbst ausprobiert, die seine gut beherrschten inneren Dämonen befreit. Aus dem biederen und hoch anständigen Mann wird die triebhafte Kreatur Mr. Hyde, die sich Verbrechen aller Art schuldig macht und am Ende Selbstmord begeht.
Rund 100-mal ist die Horrorgeschichte verfilmt worden. Verfasst hat sie der schottische Erzähler Robert Louis Stevenson ("Die Schatzinsel") im Jahr 1886. Das Doppelgänger-Motiv steckt darin, ein Krimi, ja sogar ein literarischer Vorläufer der Freud'schen Psychoanalyse mit ihrer Trennung von Ich, Es und Über-Ich.
Dass die Truppe um Autor Thomas Paulmann ("Die Unzertrennlichen") und Regisseurin Nina Lorenz aus der Story immer noch neue Funken schlagen kann, will sie ab dem 17.
Juni beweisen.Dann wird im Innenhof des Anwesens Obere Königstraße 32 (ehemalige Gaststätte Güldener Baum) eine für die Verhältnisste des semiprofessionellen "Theaters im Gärtnerviertel" aufwendige Großproduktion aufgeführt. Alle greifbaren Schauspieler werden in die Schlacht geworfen, es gibt ein Bühnenbild, Kostüme und - von Jakob Fischer - eigens komponierte Musik.
Ganz besonders reizvoll ist jedoch das Ambiente neben der heutigen Kunstschlosserei Leicht, in dem gespielt wird. Es erinnert mit den Holzbrüstungen, den schmalen Treppen und winzigen Zimmern stark an die Alte Hofhaltung. Die Zuschauer sitzen mit dem Gesicht zur Königstraße im Freien; das gesamte Ensemble wird zur Kulisse.
Was ist das für ein Bamberger Jekyll/Hyde, eine Paraderolle für Stephan Bach? Es ist eine zeitgemäße Figur. Dr.
Jekyll mixt keine seltsame Droge zusammen - es spricht übrigens manches dafür, dass der zeitlebens schwer kranke Stevenson Haschisch und Opium konsumierte -, sondern ist Genforscher im Auftrag eines Chemiekonzerns. Er hat ein Virus entwickelt, das wie ein grober Ein- und Ausschalter die Fähigkeit zur menschlichen Empathie beeinflussen kann.
Als ihm die Forschung untersagt wird, probiert er es an sich selbst aus. Dann beginnt eine Mordserie ... Ganz im Gegensatz zum Stevenson'schen Original hat Autor Paulmann eine Reihe von Frauenfiguren eingebaut: Da ist die Philosophin Linda Gagner (Elena Weber), die Edelprostituierte Tatjana (Olga Seehafer), die Polizistin Lissy Schneiderbanger (Ursula Gumbsch). In weiteren Rollen sind zu sehen Heidi Lehnert, Benjamin Bochmann u. a.
Der Inszenierung des "Theaters im Gärtnerviertel" geht es um eine aktuelle Version der ewigen Frage nach Gut und Böse.
Da spielt ein Stadtrat mit, der dem Konzern den angeblich störungsfreien Forschungs-Standort vermittelt hat. Lustiges versprechen die Rollen eines Hausmeisters und einer Metzgersfrau. Wichtig ist jedoch auch, so Regisseurin und Hauptdarsteller, die Frage nach der Rolle des Fremden, nach der Ambivalenz von Sicherheit und Freiheit. Und so ist die Verwandlung von Dr. Jekyll in Mr. Hyde auch eine von der Verwandlung einer Gesellschaft, die Hemmungen fallen lässt.