Robert Schäfer informierte in der Martin-Luther-Kirche über Geschichte und Eigenwilligkeit evangelischer Kirchenarchitektur.
"Wie zu beweisen war" - diesen Satz hört man öfter, wenn einem ein Beweismittel vor das geistige oder reale Augen geführt wird. Am Donnerstagabend saß man - vorne rechts und vorne links - gar in so einem Beweismittel drin, weil der Kunsthistoriker Robert Schäfer in der Martin-Luther-Kirche sein Wissen zur Geschichte und Eigenwilligkeit evangelischer Kirchenarchitektur preisgab.
Ein Geschichtsabend, der 62. Programmpunkt des ausklingenden CHW-Jahres und erhellend. Ulrich Sünkel ist Leiter der Bezirksgruppe des Colloquium Historicum Wirsbergense (CHW) und was er sagte, klang ein bisschen flapsig, war es aber nicht. "Vor rund 502 Jahren kam ein Mann mit Hammer, Nagel und Zettel an eine (...) damals katholische Kirchentür", so Sünkel über den berühmten Anschlag der 95 Thesen, die eine damalige Welt ins Wanken brachte und etwas einleitete, das eigenen Ausdrucks und eigener Ästhetik bedurfte.
Evangelische Beichtstühle
Dann legte Schäfer aus Sassanfahrt los und sollte im Laufe des Abends mehrfach verblüffen. "Bis um die 80er des 18. Jahrhunderts gab es auch evangelische Beichtstühle", sagte der Mann etwa. Ein Satz, der bei den meisten Besuchern an dem Glauben daran gerüttelt haben dürfte, wonach sie das eigene Evangelische gut genug kennen. Anhand von Fallbeispielen begab sich Schäfer in eine evangelisch-architektonische Welt zwischen Michelau und Wattenscheid und setzte dabei auseinander, dass es auch einen evangelischen Barock gab. "Auch hier gab es Stuckdecken, auch hier gab es Pracht." Vor allen Dingen aber gab es auch Ordnung und Ordnendes. Dafür sorgte das "Eisenacher Regulativ", aufgekommen unter Beteiligung von namhaften Bauräten bei der Eisenacher Kirchenkonferenz 1861. 16 Regeln für den Kirchenbau ab 1861 hielt es parat, unter anderem diese, wonach die dem evangelischen Gottesdienst angemessene Grundform ein längliches Viereck sei, Kirchen nach Osten auszurichten sind oder die Orgel ihren natürlichen Platz gegenüber dem Altar am Westende hat. 30 Jahre hatte das Gültigkeit und gegen diese Gültigkeit verstieß der Vortragsort, also die Martin-Luther-Kirche schon selbst. Sie, die unter der Nummer D-4-78-139-58 in der Denkmalliste der Stadt Lichtenfels verzeichnet steht, liegt eher auf einer Süd-Nord-Achse, was eine Dame aus dem Publikum fragend anmerken sollte. Warum die Kirche das darf, erklärte der Referent schnell damit, dass sie 1902 errichtet wurde, also zwölf Jahre nachdem das Eisenacher Regulativ seine Verbindlichkeit verlor. Zu den Stärken von Schäfers Vortrag zählte einiges. Es begann mit der plausiblen Erklärung für den Bedarf eigenen evangelischen Ausdrucks im Bau, eben darum, weil den Kern des evangelischen Gottesdienstes die Wortverkündung und eben nicht die Eucharistie bildet. Von diesem Grundsätzlichen ausgehend, führte Schäfer auf Nebenlinien und Seitenwege und gelangte auch auf die Spuren interessanter Biografien und Verstrickungen. Wer hätte auch gedacht, dass ein prominenter evangelischer Kirchenbauer namens German Bestelmeyer von Hitler ein Staatsbegräbnis erhielt? Und wer hätte gewusst, dass seriell für Bahnhöfe angefertigte Stahlsäulen als Träger in vielen evangelischen Kirchen neuerer Zeit stehen? 25 Besucher hatte dieser kostenlose Vortrag, er hätte mehr Besucher verdient gehabt.