Der entzauberte Ort

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Andreas ist den Frauen zugeneigt. Einer nach der anderen, nie gleichzeitig. Immerhin. Er verehrt sie, er hebt sie in den Himmel. Freilich nicht alle, aber tatsächlich die Spezies an sich. Obwohl er sc...

Andreas ist den Frauen zugeneigt. Einer nach der anderen, nie gleichzeitig. Immerhin. Er verehrt sie, er hebt sie in den Himmel. Freilich nicht alle, aber tatsächlich die Spezies an sich.

Obwohl er schon 50 ist, kann er sich immer noch in aller Unschuld (mehr seelisch, verstehen's?) für Frauen begeistern und ich frage mich, woher er nur die Energie nimmt. Jüngst bei einem Konzert saß er wieder neben einer und die mochte ihn wohl auch, denn hinterher beim Smalltalk mit Aperitif tat sie etwas von unerhörter Tragweite. Es war ein Vertrauensbeweis, ein ultimativer Akt der Zuneigung, geschehen in der Bereitschaft, sich selbst kleiner zu machen und die eigene Patina anzukratzen.

Die Frau ließ, ich wage es gar nicht ausschreiben, die Frau ließ ... ich glaube, mir versagen die Finger beim Schreiben ... sie machte Andreas so Angebote. Unterm Tisch. Sie ließ Andreas nämlich unterm Tisch in ... in ... in ihre Handtasche schauen.

Frauenhandtaschen sind für Männer sagenumwobene Orte voller Tiefen, Mysterien und legendenumrankt. Sie glauben, die Frauen seien unergründliche Labyrinthe und so seien es ihre Täschchen eben auch. Man finde dort Winkel und in den Winkeln Dinge, die kein Mann so recht mit etwas in Bezug zu setzen wisse, Frauen und Diven aber schon. Dazu muss ich erwähnen, dass Frauen und Diven für Andreas synonym sind. Freilich ging er auf das Angebot ein, denn schon immer wollte er wissen, was in so einer Frauenhandtasche alles drin ist, und mit 50 sollte er also die höheren Weihen erhalten und es dürfen. Unterm Tisch.

Ernüchternder Einblick

Die Frau und Andreas kannten einander vorher gar nicht so sehr und dass sie sich an diesem Tag begegnen würden, das wusste keiner von beiden. Was also unterm Tisch geschah, das war ehrlich, da war nix vorgetäuscht. Andreas griff zu. Mit beiden Händen. Er kramte förmlich und was er zutage förderte, waren alles nützliche Dinge. Pass, Brille, Geldbeutel. Es war enttäuschend. Von Legende, Unergründlichkeit Mysterium und Patina blieb nichts übrig. Es war, als wenn Archäologen jüngst herausgefunden hätten, dass Avalon bei Castrop-Rauxel lag.

"Du, die sind ja wie wir", erzählte mir Andreas. Ich hatte den Eindruck, er trägt ein wenig schwer an seiner Ernüchterung. Neulich hat er doch glatt eine Verabredung verpasst.