Die Wahrscheinlichkeit einen Sechser im Lotto zu haben, sei tausendmal höher. Tobias Kuhnlein wiederholt den Satz des behandelnden Oberarztes vom Klinikum Bayreuth immer wieder. Unfassbar schwer hat das Schicksal bei seiner schwangeren Frau zugeschlagen: Nach einem Zeckenstich im Juni 2020 erkrankte Juliane so schwer an der so genannten Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) - einer viralen Infektionskrankheit, die zur Entzündung des Gehirns, des Rückenmarks und der Hirnhäute geführt hat. "Der schwerste Verlauf seit zehn Jahren", wie Tobias vom Klinikum erfuhr.

Seither ist die zweifache Mutter kopf-abwärts nahezu komplett gelähmt und wird daheim von ihrem Mann und mehreren Pflegekräften und Therapeuten versorgt und intensivpflegerisch (24/7) betreut.

Der Spendenverein "Franken helfen Franken", den die Mediengruppe Oberfranken ins Leben gerufen hat, möchte die Familie finanziell unterstützen. Deshalb erscheinen in den nächsten Wochen mehrere Geschichten über Juliane und ihre Familie, die die aktuelle Situation und die Hintergründe beleuchten.

Pflegebett im Wohnzimmer

Im Wohnzimmer steht das Pflegebett, Regale und Schränke sind mit medizinischen Geräten, Spritzen, Windeln, Medikamenten und Hygieneartikeln gefüllt. Jeden Tag kämpft die 30-Jährige ums Überleben, um kleinste Fortschritte. Ihre beiden Kinder Florentin (4 Jahre) und Laurena (knapp eineinhalb) sind ebenfalls zu Hause - mittendrin. Aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr ist ein Besuch in Krippe und Kindergarten nicht möglich. "Jeder kleinste Schnupfen ist für Juliane lebensbedrohlich, da ihr die Kraft zum Abhusten fehlt und sie deshalb ersticken könnte", sagt ihr Mann. Sechs schwere Lungenentzündungen musste sie in den vergangenen Monaten verkraften. Tobias hat zur Unterstützung mittlerweile Kinderbetreuung aus Bosnien angestellt.

Die vergangenen Monate waren eine Odyssee für die ganze Familie - wirkliche Besserung auf ein annähernd normales Leben ist nicht in Sicht. "Das kann sich keiner vorstellen", sagt Tobias, der neben seiner Stelle als Berufsschullehrer in Kronach die Organisation und stundenweise Betreuung seiner Kinder und seiner Frau übernimmt. Bis der Pflegedienst seine Arbeit aufnehmen konnte, musste er zwischen 80 und 90 Stunden pro Woche für pflegerische und bürokratische Angelegenheiten (Terminabsprachen, Korrespondenz mit Krankenkasse, Pflegedienst, Ärzten und Therapeuten) sowie die Planung des notwendigen Hausumbaus aufwenden. Mittlerweile sind es noch 50 Stunden. "Finanziell sind wir an einer Grenze angekommen. Ich weiß nicht, wie ich alles bezahlen soll", sagt der engagierte Vater. Die Kosten für ein barrierefreies Wohnen (Eingangsbereich, Bad, Aufzug) sowie ein Fahrzeug, mit dem Juliane in ihrem speziellen Rollstuhl transportiert werden kann, belaufen sich nach ersten Schätzungen auf über 350 000 Euro. Der Einbau eines Fahrstuhls sei zwingend notwendig, sagt Juliane, damit sie das Kinderzimmer und ihr Arbeitszimmer wieder erreichen kann. Denn eins hat sie sich ganz fest vorgenommen: "Ich möchte unbedingt wieder arbeiten - vielleicht im Personenstandsrecht."

Doch der Reihe nach. Was ist eigentlich genau passiert, nachdem Juliane einen Spaziergang mit ihrem Sohn Florentin gemacht hat und von einer Zecke gestochen wurde?

Notkaiserschnitt

Einige Wochen nach dem Zeckenstich ging es Juliane schlagartig schlecht. Sie kam zunächst ins Krankenhaus Kronach, doch noch in derselben Nacht wurde sie aufgrund ihrer Schwangerschaft ins Klinikum Bayreuth verlegt. Dort verschlechterte sich der Zustand weiter. Die Symptome: multiple Lähmungen, Atemdepression, Schluck- und Sprachstörungen, Sehstörungen und Aufmerksamkeitsdefizite. Nur einen Tag später wurde ein Notkaiserschnitt eingeleitet und Laurena kam zehneinhalb Wochen zu früh zur Welt. Sie wurde auf die Kinderintensivstation verlegt.

Acht Wochen im Koma

Juliane war ins künstliche Koma versetzt worden und bekam davon gar nichts mit. Die Diagnose FSME in "schwerster Verlaufsform" kam nach zweieinhalb Wochen. Insgesamt acht Wochen lag sie im Koma, musste künstlich beatmet und ernährt werden. Ihre Ernährung läuft immer noch über die Sonde, da Juliane nur schwer schlucken kann. Sie ist nahezu vollständig gelähmt. "Glücklicherweise ist Juli geistig so weit da, dass sie logisch denken kann, die aktuelle familiäre Situation begreifen, beurteilen und sich an Gesprächen beteiligen kann", sagt Tobias. Nach Aussage der zuständigen Neuropsychologen sei sie geistig "vollständig orientiert" und weise eine nach wie vor hohe Intelligenz und darüber hinausgehende sehr gute kognitive Fähigkeiten auf.

Juliane, die nach diszipliniertem Training und unglaublichen Kraftanstrengungen auf dem Handy Nachrichten verschicken kann, schreibt: "Ich bin definitiv noch die ,Alte' bei vollem Verstand."

Was es für Juliane heißt, dieses Schicksal zu tragen, erzählen wir nächste Woche im zweiten Teil unserer Serie. Die junge Frau, die über Jahre ihre Heimatstadt Neustadt als Puppenfee repräsentiert hat und das Neustadter Christkind verkörperte, hat uns ihre Situation in bewegenden und ungewöhnlich offenen Worten geschildert.