Auch eine Weihnachtsgeschichte

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Markus Häggberg Immer wieder begegnen wir Menschen, bei denen wir uns fragen, wie sie nur in diese oder jene vertrackte Lage hineingeraten konnten. Wir selb...

Markus Häggberg

Immer wieder begegnen wir Menschen, bei denen wir uns fragen, wie sie nur in diese oder jene vertrackte Lage hineingeraten konnten. Wir selbst meinen uns imstande, nicht in solche Situationen zu geraten und lassen uns zu Bemerkungen wie "Könnte mir nicht passieren!" verleiten.
Aber Scheitern ist zumeist Ergebnis eines längeren Prozesses. Jede geschiedene Ehe kann ein Lied davon singen. Wovon Gerd singen kann, ist, dass er noch immer seinen Weihnachtsbaum hat. Den von 2014. Gerd ist geschieden, ansonsten aber ein feiner Kerl und eigentlich entsorgte er seinen Weihnachtsbaum immer so nach dem 6. Januar. Einfach darum, weil da noch Dreikönig ist und das unzweifelhaft mit Weihnachten in Zusammenhang steht. Aber im vergangenen Jahr war alles vor dem 6. Januar schon etwas anders. Die Kinder konnte er nämlich nicht zu Weihnachten sehen, weshalb man sich auf einen Weihnachtsnachholtermin verständigte. Der sollte leider erst nach dem 7. Januar zustandekommen. Die Zweige ließen zu diesem Zeitpunkt schon etwas die Ästchen hängen, ansonsten saßen die Kugeln aber noch stramm am Platze und auch die Lichterkette hielt sich noch weitgehend auf dem Bäumchen auf. Aber nun, da die Nachbarin sich den Staubsauger ausgeliehen hatte, scheute Gerd doch davor zurück, an diesem sensiblen Ensemble aus Nadeln, Licht und Kugeln zu rühren. In der für ihn seit dem Auszug seiner Frau und Kinder viel zu groß gewordenen Wohnung, ist der Platz des Weihnachtsbaums von je her in dem ansonsten kaum genutzten Nebenzimmer. Im Wohnzimmer würde sich das nicht empfehlen, weil es zu sehr Gerds Arbeitszimmer ist. Jedenfalls ist das Nebenzimmer mit Teppichboden ausgelegt, nicht mit irgendeinem Teppichboden, sondern einem mit Tiefe. Was darin landet, verschwindet, bleibt unausschüttelbar und somit ein Ärgernis. Wollte Gerd den Teppich also nicht ausklopfen und die vielen beim Entsorgen des Baumes herunterfallenden Nadeln mühsam mit der Pinzette aus dem Teppich entfernen, so müsste er auf die Rückgabe des Staubsaugers warten. Doch der kam nicht in dieser Woche nach dem 6. Januar. Er kam auch nicht in der zweiten Woche nach diesem 6. Januar. Eben weil der Nachbarin ein Missgeschick widerfuhr: ihr Vater verstarb. So fuhr sie zur Beerdigung nach Norddeutschland, blieb eine Woche und entschloss sich im Anschluss zu einem zweiwöchigen Urlaub, auf die Rückgabe des Staubsaugers vergessend. Bald aber erhielt auch Gerd das berufliche Angebot zu verreisen, was er annahm. Job geht schließlich vor. Zwei Wochen blieb er auf Montage im Ausland und bei seiner Rückkehr musste er feststellen, dass er sich ausgebrannt fühlte. Er wollte vor dem anstehenden Hausputz erstmal wieder bei sich ankommen. Das blieb ihm aber verwehrt, denn er erkrankte, bekam Fieber und lag eine Woche flach. Die Nachbarin ließ ausrichten, dass der Staubsauger defekt sei und sie ein gleiches Modell bestellt habe, welches schon in der kommenden Woche angeliefert würde. Jetzt endlich verstand Gerd, ergab sich der Macht der Fügung und zog die Konsequenz: er ließ den Baum stehen, schloss das Zimmer ab und kommt seitdem mit weniger Wohnraum aus. Weihnachten 2015 verbrachte er bei seinen Kindern und seiner Ex-Frau.