JOsef Hofbauer Urbanisierung lautet das Zauberwort. Soll heißen: 70 Prozent der Landbevölkerung, im Osten Deutschlands örtlich bis zu 96 Prozent kehren in den nächsten Jahren dem Land den Rücken. Das behauptet zumindest das Berliner Institut für Bevölkerung und Entwicklung.
Der Pautzfelder Professor Clemens Renker dagegen widerspricht in seinem jüngst erschienenen Buch: "Das neue Dorf - Gestalten um zu überleben". Die Dörfer hätten sehr wohl Zukunft. Allerdings nur, wenn die dort lebenden Menschen die Chancen erkennen. Er räumt ein: "Die meisten Dörfer sind unterwegs in eine unbekannte Zukunft" - ohne Navi.
Auch Bundespräsident Walter Steinmeier (SPD) glaubt an die Zukunft ländlicher Räume. Er startete jüngst das Projekt "Land in Sicht". "Betonieren, pflastern, entseelen und entgeistern ist jedenfalls der falsche Weg", urteilt Renker.
Orientierung gesucht
Der Weg zum Erfolg führe über das Miteinander, verdeutlicht der Wirtschaftsexperte. Es gelte, die Identifikation der Bürger mit ihrer Region zu stärken, ein positives Image aufzubauen. Der tägliche Weg zur Arbeit in die Stadt und die vielfältigen Verlockungen dort hätten als Vertreiber aus dem dörflichen Paradies gewirkt, denn aus Wohnhäusern wurden Repräsentationsobjekte. Ein Bruch mit den traditionellen Rollen war die Folge.
Dem Sterben landwirtschaftlicher Betriebe, dem Verschwinden der Tante-Emma-Läden und Wirtshäuser und der Abschaffung der Dorfschulen folge nun ein Rückzug der Kirche aus dem Dorf. Dabei würden die Fragen der Menschen nach Orientierung, nach einer Verankerung immer dringender, zumal gerade kleineren Ortsteilen bereits in den 1970-er Jahren durch die Verwaltungsreform die Selbstständigkeit genommen wurde.
Mitmacher statt Miesmacher
Es gelte einer Identitätskrise entgegenzuwirken. Denn in einigen Punkten hätten Dörfer vorteilhaftere Leistungen und mehr Lebensqualität zu bieten als die Anonymität der Städte. Dabei seien Macher gefragt. Sie bräuchten die Unterstützung der Mitmacher, die Renker auf 70 Prozent beziffert. Sie müssten sich gegen die etwa 20 Prozent an Miesmachern durchsetzen, unterstreicht Renker. Kooperation statt Konkurrenz nennt der Wirtschaftsexperte als wichtige Säule des Handelns. Ebenso wichtig: Kommunikation, Kreativität, und menschliche Fähigkeiten wie Zuverlässigkeit. So entstünden Gemeingüter, die weder käuflich noch kopierbar seien.
Menschen mit Macher-Qualitäten, Kompetenzen und Schlüsselqualifikationen, die innovative Projekte auf den Weg bringen, wirkten als Vorbilder. Davon könnten die Bewohner anderer Dörfer lernen. Sie würden damit auf ihre Weise zu treibenden Kräften. Ziel müsse es sein, die Grundbedürfnisse zu befriedigen, die Menschen auf dem Dorf suchen. "Das sind Sicherheit und Schutz, Ordnung und Ruhe, kurz Stabilität" analysiert Renker.
Teilhabe ermöglichen, Vertrauen aufbauen, Vernetzung und Integration nennt Renker die Teilschritte, die dazu führen könnten, den Wert des Dorfes zu erhalten bzw. zu steigern. Dabei sei es wichtig, die Menschen vor Ort mitzunehmen; es gelte Chancen von Stärken und Schwächen von Risiken zu unterscheiden. Soll ein Dorf Zukunft haben, sei eine gemeinsame Idee, ein (lohnendes) Ziel unabdingbar. "Die Vision muss für alle Bürger verständlich formuliert werden, glaubwürdig sein und permanent kommuniziert werden. Konzentrierten sich die Ressourcen einer Kommune auf ein gemeinsames Ziel, setzt das Kräfte frei und gibt Motivation", schreibt Renker.
Ziele setzen
"Im Idealfall führt dies dazu, dass ein Dorf autark wird", so der Autor. Das Dorf ruhe lokal in sich, sei jedoch ökonomisch, sozial, kulturell und ökologisch mit der ganzen Welt vernetzt. "Wichtig ist die Identität, die Authentizität", unterstreicht Renker. Wenn die Menschen den Namen einer Ortschaft hörten, müssten sie dabei sofort die damit verbundenen und unverwechselbaren Qualitäten vor Augen haben.
Worauf die Bewohner den Schwerpunkt legten, sei ihnen überlassen, so Renker. Analog zu Kurorten könnten sich Dörfer einen Namen als Gesundheitsoase machen. Ebenso denkbar sei eine führende Rolle als Bio-Oase, als Energie(spar)dorf, als Knotenpunkt für kreative Unternehmer, als Start-up Zentrum oder als Entschleunigungszentrum. "Die Möglichkeiten sind praktisch unbegrenzt", findet Renker. Ob digitales Dorf, Kultur-Enklave oder Kommune, die das generationsübergreifende Wohnen zu seinem Markenzeichen macht, jede Gemeinde müsse ihren eigenen Weg gehen.
Kommunalparlamente und Bürger bemühten sich, ihr Dorf einer Kosmetikbehandlung zu unterziehen. "Doch unter der Schminke stirbt das Dorf weiter", kritisiert Renker. Das Sterben werde allenfalls in Schönheit verlängert. Viel wichtiger sei es, die Dienstleistung und ortsnahe Rundum-Versorgung zu vereinen. Deshalb fordert Renker die Versorgung mit Lebensmitteln, das Angebot von Dienstleistungen, die sozialmedizinische Versorgung und Kulturangebote unter einem Dach. Neue Sinnfelder würden konfiguriert.
Beste Chancen
Gerade Oberfranken habe hier ausgezeichnete Chancen. Die Region gehöre zu den Top 15 Wachstumsregionen Europas. Derzeit würden die Cluster Digitalisierung, Gesundheit und Medizin, Natur und Tourismus, Kultur, Bildung, Familie, Dialog Strukturwandel, Wirtschaft und Genuss behandelt. Damit werde der Grundstein für Wohlstand auf dem Dorf gelegt. Es sei problemlos möglich, interessante Gebäude, Flüsse, Brücken oder Bauernhöfe oder alte Brauereien "mit Signalwirkung aufzuladen". Sie senden den Appell aus: "Komm zu mir, besuche mich, fotografiere mich." Hidden Champions belegten, dass es sehr wohl möglich ist, vom Heimatdorf aus die Führungsposition auf dem Weltmarkt in einer bestimmten Branche zu beherrschen.
In seinem Buch: "Das neue Dorf - Gestalten um zu überleben" sieht Renker der Zukunft von Pautzfeld und Pretzfeld, von Hallerndorf und Hiltpoltstein, Weingarts, Weilersbach und Weigelshofen - um nur ein paar zu nennen - positiv entgegen. "Noch liegt rund um die Kirche genügend Humus, auf dem leicht Wurzeln für Lebenssinn schlagen können und soziales, kulturelles und geselliges Leben gedeihen können", schreibt Renker. Für aktive Menschen liege darin die einmalige Chance, der Globalisierung und dem "Dataismus", der Digitalisierung und der künstlichen Intelligenz eine Säule der Humanität entgegenstellen.