Seit Jahresanfang ist das Restaurant im Hotel "Post" aus Altersgründen geschlossen. Eine über 100-jährige Tradition nimmt damit in Ebern ein Ende. Das Ende des Hotels "Post" indes ist noch nicht so nah, wie viele meinen.
Die Lichter sind aus. "Heute Ruhetag" steht an der gläsernen Tür des Gasthofs "Post" in der Bahnhofstraße - für viele Eberner kurz "der Gall". Im großen Saal türmen sich Teller mit Goldrand. Jeder Tisch ist belegt. Unzählige Vasen, feine Milchkännchen und Gläser warten auf den Ausverkauf. Zum 6. Januar hat Familie Gall das Restaurant geschlossen und führt das Traditionshaus seitdem als Hotel garni. Damit geht ein Kapitel zu Ende in einer Geschichte, die vor über 100 Jahren in Ebern ihren Anfang nahm. Es ist eine Geschichte mit vielen Konjunktiven - und es ist eine Geschichte, deren Ende noch nicht ganz geschrieben ist.
Heinz Gall nimmt die Brille mit dem schlichten Goldrand ab. Der Daumen der rechten Hand fährt über den Zeigefinger der linken. "Wir waren vier Kinder", erzählt der 83-Jährige. "Eigentlich hätte der Älteste den Gasthof übernehmen sollen, Hans. Er war ein gelernter Kellner", doch der wanderte nach Amerika aus. "Dann hätte Willi übernehmen sollen, der Zweitälteste, ein Zwilling zu Hans. Er war Metzgermeister." Heinz Gall wischt sich mit Daumen und Zeigefinger einige Tränen aus den Augenwinkeln. Der Bruder stirbt 1967 an Krebs. Die Schwester heiratet. So bleibt er als viertes und jüngstes Kind, um den Gasthof zu übernehmen. 1967 tritt der gelernte Konditor Heinz Gall schließlich in die Fußstapfen seines Großvaters, der die Gastwirtstradition 1904 in der Familie begründet hat.
Die Urkunde von 1904
Heinz Gall kramt eine Mappe hervor. Sorgsam tasten die langen Finger mit den akkurat kurzen Nägeln nach einem vergilbten Papier. "27. Juli 1904: Gall Jean, Restaurateur in Coburg und dessen Ehefrau Babette Gall, geb. Nembach - Kauf laut Urkunde des Notariats Ebern vom 15.6.1904, Nr. 414", steht darauf. Es ist ein Auszug aus dem Grundbuch für Plan-Nummer 617, Gasthaus Hs. Nr. 171 1/3 in Ebern. Band 13, Blatt 1152. "Mein Großvater kaufte das Gasthaus vom Metzger und Garkoch Kestler dahier", erklärt Heinz Gall. "Da war es nur eine Gastwirtschaft, noch kein Hotel", umgeben von Stallungen und Ackerflächen; das erste Haus in näherer Umgebung zum Bahnhof. Darin sah Galls Großvater seine Chance.
Jean Gall, der eigentlich Johann hieß, hatte eine Ausbildung zum Kellner gemacht, sich bis zum Oberkellner hochgearbeitet, war viel gereist und hatte auch im Ausland Erfahrung gesammelt. Nizza und San Remo waren nur zwei seiner Stationen, sogar als Leibkellner eines schwedischen Königs hatte er in Stockholm gewirkt. Fünf Sprachen konnte er fließend sprechen.
Diese Reise-Erfahrungen kamen Jean Gall nun zugute. Binnen kurzer Zeit wurde die davor eher unbekannte Gastwirtschaft zum "Hotel zur Eisenbahn", ein Umschlagplatz für Reisende und Gäste. "Gaststätten gab es in Ebern zu dieser Zeit einige - 13 Stück haben wir mal gezählt - , aber wir waren eine der ersten mit Übernachtungen", erzählt Heinz Gall mit Stolz, stützt den Ellbogen auf den Tisch, nimmt Daumen und Zeigefinger an die Wange und lacht. Jugendlicher Glanz legt sich in die Augen, die von Falten umgeben sind.
Die zweite Generation baut aus
1938 übernehmen Galls Eltern, Hans und Hedwig Gall, eine geborene Mildenberger, das Gasthaus und führen es in zweiter Generation fort. Von da an wird viel gebaut. Ein erster großer Umbau erfolgt 1939, ein zweiter 1960. Aus dem Tanzsaal im ersten Obergeschoss werden Fremdenzimmer. Ein Gesellschaftsgarten wird angelegt, eine Kegelbahn nimmt ihren Betrieb auf. "Es wurde fast jeden Tag gekegelt", erinnert sich Heinz Gall an seine Kindheit, und wieder huscht ein jugendlicher Schimmer über die alten Augen. Gall lacht. Der Zeigefinger tippt zwei Mal sanft gegen den Wangenknochen.
"Ich würd's wieder machen", antwortet er schlicht auf die Frage, ob er wieder in einer Gastwirtschaft aufwachsen wollen würde. Es ist keine einzelne Szene, die ihm in Erinnerung geblieben ist, vielmehr ein Gefühl von Freiheit, früher Selbstständigkeit und grenzenloser Geselligkeit. Seine Frau Christa, geborene Tauber, und er übernahmen das Gasthaus 1967 in dritter Generation.