Viele Patienten, wenig Personal: Physiotherapeuten ringen um Nachwuchs

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Der Bamberger Physiotherapeut Christopher Stix hat alle Hände voll zu tun: Die Zahl der Heilmittel-Verordnungen nimmt stetig zu. Der Mangel an Fachkräften jedoch auch. Lea Schreiber
Der Bamberger Physiotherapeut Christopher Stix hat alle Hände voll zu tun:  Die Zahl der Heilmittel-Verordnungen nimmt stetig zu. Der Mangel an Fachkräften jedoch auch. Lea Schreiber
Berufsstart mit Schulden: Stefanie Scheller (oben) und Verena Graser lassen sich dennoch zu Physiotherapeutinnen ausbilden. Foto: Barbara Herbst
Berufsstart mit Schulden: Stefanie Scheller (oben) und Verena Graser lassen sich dennoch zu Physiotherapeutinnen ausbilden.  Foto: Barbara Herbst
 

Fehlende Fachkräfte, längere Wartezeiten: Physiotherapeuten ringen um Nachwuchs. Eine attraktivere Ausbildung soll helfen, den Engpass zu beheben. Statt Schulgeldkosten soll es künftig Ausbildungsvergütungen geben. Profitieren werden davon aber längst nicht alle.

Im Kniegelenk sitzt der Schmerz. Nicht ungewöhnlich bei älteren Menschen. Christopher Stix weiß, was zu tun ist. Der Bamberger Physiotherapeut behandelt täglich Menschen, um ihre Beweglichkeit wiederherzustellen oder zu verbessern. So weit sind Verena Graser und Stefanie Scheller noch nicht ganz. Die beiden jungen Fränkinnen befinden sich im zweiten Jahr ihrer Ausbildung. Die Fallzahlen im Heilmittelbereich steigen, da braucht es mehr Menschen wie Christopher Stix, Stefanie Scheller und Verena Graser. Aber: es gibt zu wenige. Vielerorts verhindert der Fachkräftemangel die zeitnahe Versorgung mit wichtigen Behandlungen.

"Die Not in unserem Berufszweig ist hoch", sagt Rocco Caputo vom Verband für Physiotherapie Bayern. Die wirkt sich auf die Betreuung der Patienten aus. Wartezeiten werden länger - durschnittlich drei Wochen können bis zu einem freien Termin ins Land gehen. Und das obwohl Experten raten, vor allem physiotherapeutische Leistungen zeitnah in Anspruch zu nehmen. Krankenkassen verlangen das zum Teil sogar. In der Realität sieht es anders aus. "Im stationären Bereich wird nach Dringlichkeit priorisiert", meint Caputo. "Manche bleiben unversorgt."

Laut Fachkräfteengpassanalyse der Bundesagentur für Arbeit bleiben Stellen in der Physiotherapie durchschnittlich 157 Tage unbesetzt. Die Erfahrung hat auch der Nürnberger Alexander Launer gemacht. Er engagiert sich beim Bund "Vereinte Therapeuten" und erkennt eine hohe Frustration in der Branche. Nur einer von fünf Therapeuten findet Arbeit in einer Klinik mit Tarifentlohnung. Einstiegsgehalt: 2500 Euro. Der Großteil der außerklinischen Beschäftigten muss nicht selten mit 1000 Euro weniger im Monat auskommen.

Die Praxeninhaber selbst hätten aber nur wenig Spielraum, um höhere Löhne zu zahlen. "Dafür sind die Stundensätze zu niedrig", so Launer. Vor allem im Kassensektor. Hinzu kommt, dass Krankenkassen viele Aufgaben wie die Prüfung von Rezepten an die Therapeuten delegieren. Für die bedeutet das mehr Aufwand ohne Entgelt.

Politik macht Vorschläge

Was tun? Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will die Heilmittelversorgung stärken und die Bedingungen für Physio- und Ergotherapeuten, Logopäden, Podologen und Diätassistenten mit einem Gesetzespaket verbessern. Ärzte sollen nur noch über die Notwendigkeit einer Therapie entscheiden und nicht mehr, wie diese genau aussehen muss. Zudem sollen höhere Honorarsteigerungen möglich sein und die Preise für verschiedene Leistungen auf den höchsten für eine Region vereinbarten Preis steigen. Heißt: Behandlungen werden teurer.

Ein weiterer entscheidender Faktor: Die Ausbildung soll attraktiver werden. Laut Caputo wird es dafür allerhöchste Zeit. Zum einen sind Teile der Ausbildungsinhalte stark veraltet und hinken aktuellen medizinischen Erkenntnissen hinterher, mahnt er an. Zum anderen ist die Ausbildung für viele sehr kostspielig. Während Azubis an 18 staatlichen Schulen in Bayern nichts zahlen müssen, verlangen private Einrichtungen (65) Schulgeld. Die Höhe variiert je nach Schule, im Schnitt sind es etwa 350 Euro im Monat.

"Junge Leute starten verschuldet in ein Berufsleben im Niedriglohnsektor", sagt Launer. Bis zu 18 000 Euro Kosten kommen im Laufe der Ausbildung schnell zustande. Ohne Unterstützung der Eltern und Nebenjobs ist das kaum zu stemmen. Dies soll sich nun ändern. Der Freistaat will als erstes Bundesland dafür sorgen, das Schulgeld für nichtärztliche Heil- und Assistenzberufe abzuschaffen, teilt Gesundheitsministerin Melanie Huml auf Anfrage mit. Im Kern geht es darum, die Schulen finanziell zu fördern, damit diese auf Schulgeld verzichten können. Ob es die Probleme behebt, ist unklar. Noch ist nicht sicher, wie viele finanzielle Mittel der Staatshaushalt bereitstellt.

Profitieren sollten die Schüler schon ab dem "zweiten Schulhalbjahr 2018/19", hatte Ministerpräsident Markus Söder im September versprochen. Das wird nicht nur zeitlich eng. Auch das "Wie" steht noch im Raum. Weil staatliche Ausgleichszahlungen auf Durschnittswerten beruhen, werden manche Schulen wohl draufzahlen müssen, wenn sie ihre Ausbildungsqualität halten wollen. Die Gespräche zwischen zuständigen Ministerien und Schulen werden fortgesetzt - und zwar ergebnisoffen.

Hinzu kommt noch eine Änderung. Seit 2019 sollen Azubis eine Vergütung bekommen. Dies hatte die Gewerkschaft Verdi durchgesetzt. Immerhin fast 1000 Euro im ersten Lehrjahr. Aber: Nur Auszubildende in kommunalen Krankenhäusern und Unikliniken profitieren. Und sie müssen einen Arbeitsvertrag vorweisen, damit Verdi handeln kann. Solch einen aber haben die wenigsten Azubis. Verdi verhandelt weiter, um mehr Azubis in den Genuss des Geldes zu bekommen. "Die große Revolution wird noch dauern", heißt es von Verdi.

Ein paar verdienen, ein paar zahlen nichts, für die meisten bleibt es teuer: Statt mehr Fachkräfte- und Azubis zu bringen, könnten die unausgegorenen Regeln den Mangel noch verstärken, meint Rocco Caputo vom Therapeuten-Verband. "Die Regeln müssen vereinheitlicht werden." Die Nachwuchstherapeutinnen Verena Graser und Stefanie Scheller haben die Hoffnung fast aufgegeben, auch noch von den finanziellen Neuerungen profitieren zu können. Immerhin, für die beiden bringt der Fachkräftemangel auch etwas Gutes mit sich: Kliniken und Praxen reißen sich schon jetzt um ihre Fertigkeiten.

Das könnte nach hinten losgehen (Kommentar von Stephan Großmann)

Beim Thema Gesundheit bedarf es Fingerspitzengefühl. Nicht nur von Pflegenden und Therapeuten selbst. Der Fachkräftemangel hat all diese Branchen im Griff. Beispiel Physiotherapie: Mehrere Wochen müssen Patienten zum Teil warten, um einen Termin zu bekommen. Nachwuchs kommt zu langsam nach, weil zu wenige den Beruf neu erlernen wollen. Die Ausbildungsinhalte sind teilweise veraltet, Azubis müssen sich verschulden und werden im Berufsleben später nicht angemessen bezahlt.

Das soll sich laut Politik ändern. Ein Bruchteil der Azubis (an Uni- und kommunalen Kliniken) bekommt künftig eine Ausbildungsvergütung, einige werden - mit Glück - vom Schulgeld befreit. Der Rest zahlt munter weiter. Diese Ungleichbehandlung ist unfair. Schnellstens muss das Problem gelöst werden. Sonst bliebe nicht nur der Fachkräftemangel ungelöst. Er würde sich sogar verschlimmern. Bei der großen Nachfrage nach zeitnaher Heilmittelversorgung wäre das nicht hinnehmbar.