Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hat sich in einem Video angesichts der deutschlandweiten Bauernproteste an die Öffentlichkeit gewandt. Der Politiker äußert dabei eine große Sorge.
Deutschlandweit machen derzeit Bauern deutlich sicht- und hörbar auf sich aufmerksam, um ihren Unmut über die Sparmaßnahmen der Ampel kundzutun. Und das nicht erst am großen Protesttag am Montag (8, Januar 2024), vor dem eine massive Überlastung der Polizei und auch Folgen für Schulen befürchtet wurden. Für Aufsehen sorgte beispielsweise auch eine Gruppe, die am Donnerstag (4. Januar 2024) einen Fähranleger in Schlüttsiel blockiert und dabei Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Verlassen der Fähre gehindert hatte.
"Extremistische Gruppen lehnen wir entschieden ab", betonte daraufhin der Bauernverband und forderte die Protestierenden zur Mäßigung auf. In einem achteinhalb-minütigen Video meldete sich Habeck am Montag (8. Januar 2024) öffentlich zu Wort und warnte vor einer Gefahr, dass Extremisten sich die allgemeine Verunsicherung in der Gesellschaft zunutze machen könnten. Bei den Bauernprotesten seien Grenzüberschreitungen festzustellen. Alle aktuellen Entwicklungen zu den Protestenliest du in unserem Live-Ticker.
"Wenn an Traktoren Galgen hängen": Habeck sieht Radikalisierung bei Bauernprotesten
"Der Bauernverband hat für heute und die nächsten Tage zu Protestaktionen aufgerufen. Einige andere Gruppen und Verbände schließen sich an. Sie wollen ihre Kritik zum Ausdruck bringen, einige einfach ihrem Ärger Luft verschaffen. Das ist ihr Recht", sagt Habeck in seiner Ansprache, die in den sozialen Medien aufrufbar ist. Allerdings warne der Bauernverband selbst inzwischen davor, dass die Proteste nicht vereinnahmt werden dürfen. "Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien, extremistische Gruppen formieren sich, völkisch-nationalistische Symbole werden offen gezeigt. Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt, sodass nun auch zuvor Unsagbares legitimiert erscheint", führt er fort.
"Die Hoffnung auf eine bessere Zukunft ist der Angst vor einer schlechteren gewichen. Erschöpfung und Enttäuschung. Sorge und Wut machen sich breit. Aber: Wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten diese Verunsicherung kapern. Wir dürfen nicht blind sein", so Habeck. Wer Umsturzfantasien habe, wolle "unseren demokratischen Staat zerstören". Der Bundeswirtschaftsminister stellt einen Bezug zu den Bauernprotesten her: "Der Bauernverband betont immer wieder, dass er gewaltfrei und friedlich demonstrieren will. Die Erfahrungen der letzten Demonstrationen zeigen allerdings, dass das nicht bei allen ankommt. Wenn an Traktoren Galgen hängen, wenn Traktorkolonnen zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze überschritten." Vergangene Woche entdeckte eine Polizeistreife im Kreis Fürth einen "Ampel-Galgen" - jetzt ermittelt die Kripo.
"Verfassungsfeinde" - so Habeck weiter - müssten "mit den Mitteln des Rechtsstaats zur Rechenschaft gezogen werden". Aus seiner Sicht müsse sich daher nun "die große schweigende Mehrheit" einbringen. "Wehren wir die Bedrohung ab. Haken wir uns unter. Seien wir solidarisch und in dem Sinne patriotisch", fordert der Grünen-Politiker auf. In Bezug auf die Bauernproteste spricht er von einem "Entgegenkommen" der Bundesregierung - auf Kürzungen könne wegen der erfolgreichen Klage der Union nicht vollständig verzichtet werden. Sein Wunsch: Die aktuelle Debatte über Subventionen für die Landwirtschaft solle dafür genutzt werden, um über "faire Preise, gute Bezahlung für anspruchsvolle Arbeit, Nachhaltigkeit, Klima- und Tierschutz oder direkte Vermarktung" zu diskutieren. Bei der Kundgebung vor der Brose-Arena in Bamberg kam die Grünen-Abgeordnete Lisa Badum wegen eines gellenden Pfeifkonzerts kaum zu Wort.
Bauernverband spricht von "friedlichen" Protesten - "sind keine Chaoten"
Der Bayerische Bauernverband hat indes den Beginn der Demonstrationen am Montag (8. Januar 2024) gelobt. "Was für ein erfolgreicher und vor allem friedlicher Auftakt unserer Aktionswoche in Abstimmung mit Landwirtschaft verbindet Bayern e.V.", heißt es aktuell in den sozialen Medien. Das Polizeipräsidium Oberfranken berichtete von einem weitgehend problemlosen Bauernprotesttag im Regierungsbezirk. "In bislang friedlicher Art demonstrierten die Landwirte mit Unterstützung auch aus anderen Berufsgruppen", heißt es im Bericht. Man sei "zuversichtlich, dass die noch ausstehenden Versammlungen ebenfalls weitgehend störungsfrei verlaufen", heißt es.
In München betonte der bayerische Bauernverbandschef Günther Felßner angesichts der aufgeheizten Stimmung die Dialogbereitschaft des Verbands und distanzierte sich von Extremisten jeglicher Couleur, unangemeldeten Verkehrsblockaden und Angriffen auf Politiker. "Denn Bauern sind keine Chaoten oder Klimakleber", sagte Felßner. "Bleiben wir sympathisch, bleiben wir friedlich." Bei der Verurteilung der Fähr-Aktion gegen Habeck erntete Felßner aber auch Buhrufe. Indes hat sich die Linke im Bund hinter die Proteste der Bauern gestellt. "Es ist der berechtigte Aufschrei der Landwirte gegen eine katastrophale Agrarpolitik der Bundesregierung", sagte Parteichef Martin Schirdewan am Montag in Berlin.
Immer mehr Bauern könnten von ihren Einnahmen nicht mehr leben, während die Regierung zu sehr auf Lebensmittelkonzerne und große Investoren achte. "Wenn die Politik hier nicht handelt, dann gibt sie den Rechten Räume zur Wutbewirtschaftung", warnte Schirdewan. "Die Heftigkeit der jetzigen Proteste ist völlig übertrieben, wenn man das auf die Kürzung der Diesel-Beihilfe bezieht", erläutert hingegen der Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Halle, Alfons Balmann. Die Pläne seien für die meisten Betriebe schmerzhaft, aber verschmerzbar. Sie bedeuteten Einkommenseinbußen von etwa ein bis drei Prozent. "Was allerdings tiefer steckt, ist die große gesamte Unsicherheit, die in der Landwirtschaft vorhanden ist."