Vor 130 Jahren startete die "Seekuh" nach Gräfenberg

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Eine undatierte Aufnahme von der Lokalbahn bei der Einfahrt in Eschenau Foto: Richard Schatz
Eine undatierte Aufnahme von der Lokalbahn bei der Einfahrt in Eschenau  Foto: Richard Schatz
Den Dampfloks folgten später auch dieselgetriebene Schienenbusse Foto: Richard Schatz
Den Dampfloks folgten später auch dieselgetriebene Schienenbusse  Foto: Richard Schatz
 
Foto: Richard Schatz
Foto: Richard Schatz
 
Eine Postkarte von 1913 Foto: Sammlung G. Klebes
Eine Postkarte von 1913 Foto: Sammlung G. Klebes
 
Die heutige Gräfenbergbahn in Ziegelstein Foto: Günter Klebes
Die heutige Gräfenbergbahn in Ziegelstein Foto: Günter Klebes
 

Die Lokalbahn von Erlangen nach Gräfenberg war Ende des 19. Jahrhunderts ein großer Fortschritt für die Menschen im Schwabachgrund. 1963 war Schluss.

Von Günter Klebes
Wie war es damals im Schwabachgrund, vor 130 Jahren? Die Postkutsche rumpelte durch die Dörfer und brachte außer Neuigkeiten auch eine Handvoll Passagiere und ein Häufchen Fracht mit aus dem großen fernen Erlangen. Da kamen plötzlich einige Männer auf die ungeheuerliche Idee, auch für den Schwabachgrund eine dieser lauten, gefährlichen, schmutzigen, rauchenden Dampfmaschinen haben zu müssen. Der Einfall wuchs sich zu Plänen und Vorschlägen aus, die bald ebenso viele Widersacher wie Befürworter hatten.

1873 richtete der Magistrat der Stadt Gräfenberg an die Königlich Bayerische Staatsregierung die Bitte um Anschluss an das bestehende Eisenbahnnetz. Diese Wünsche und Pläne zielten darauf, in die Linienführung der Bahn Nürnberg - Bayreuth einbezogen zu werden. Doch wurde dem Magistrat vorgerechnet, dass er 1,34 Millionen Mark hätte aufbringen müssen. Diesem Argument konnten sich die Gräfenberger nicht verschließen.
Da hatten sie eine neue Idee. Der Bau einer "Vizinalbahn" (Sekundärbahn) nach Lauf oder durch das Schwabachtal nach Erlangen erschien weit zweckmäßiger. Auftrieb gab 1882 ein bayerisches Gesetz, das die staatliche Beteiligung am Bau von Lokalbahnen in Aussicht stellte, "wenn die Interessenten mindestens den für den Bau der Bahn und dessen Zubehör nötigen Grund und Boden kostenlos zur Verfügung stellen."

In einer Denkschrift vom 25. Januar 1883 nahm der tatkräftige Erlanger Bürgermeister Dr. Schuh zum Projekt einer Bahn von Erlangen nach Eschenau und darüber hinaus Stellung: "Es ist eine Sekundärbahn nötig, welche für den großen Weltverkehr keine weitere Bedeutung beansprucht, zunächst ein lokales Bedürfnis befriedigen soll." Solche Bahnen "erfüllten ihren Zweck noch vollständig, wenn sie diesen Verhältnissen angemessen billig und einfach hergestellt werden (unter möglicher Benützung der vorhandenen Distriktstraße und der Straße mitten durch die Ortschaften)".


Eine "Straßenbahn"

In der Denkschrift taucht bezeichnenderweise das Wort "Straßenbahn" mehrmals auf. Der Verfasser erörtert auch die Frage der Antriebskraft und gibt schließlich der Dampfeisenbahn gegenüber einer elektrischen oder einer von Pferden gezogenen Bahn den Vorzug. Hinsichtlich der Geschwindigkeit einer solchen "Straßenbahn" gibt sich der Erlanger Bürgermeister keinen falschen Hoffnungen hin, im Gegenteil. Er verlangt sogar, dass die Eisenbahn an jeder Stelle so rasch wie ein Pferdefuhrwerk angehalten werden kann. Dieser damals vernünftige Vorschlag fand allerhöchste Billigung durch das zuständige Königlich Bayerische Staatsministerium, war aber zugleich auch das spätere Todesurteil.

Am 17. November 1886 fand die Eröffnung der Bahnlinie statt. Hochrufe und Böllerschüsse begleiteten um 9 Uhr vormittags die Abfahrt des Zuges durch die geschmückten Dörfer. Überall standen die Schuljugend unter Führung ihrer Lehrer, die freiwillige Feuerwehr, Mitglieder von Gesangs- und andere Vereinen in festlicher Kleidung zum Empfang des Zuges bereit. In Gräfenberg begaben sich die Ehrengäste zum Mittagsmahl, das durch zahlreiche Trinksprüche gewürzt wurde.

Die Freigabe der Sekundärbahn Erlangen - Eschenau - Gräfenberg für den allgemeinen Verkehr erfolgte am 22. November 1886. Haltestellen gab es in Igensdorf, Forth, Eschenau, Brand, Steinbach bei Brand, Neunkirchen am Brand, Dormitz, Uttenreuth und Spardorf, Weißenohe, Rüsselbach, Kleinsendelbach, Weiher, Buckenhof und Zollhaus.

Die Baukosten betrugen 1 284 099,87 Mark, das Personal umfasste 22 Bedienstete. Anfänglich waren drei Lokomotiven der bayerischen Gattung D VII eingesetzt mit den Namen Forth, Marxgrün sowie Köditz und den Betriebsnummern 889, 892 und 894. In beiden Richtungen verkehrten an allen Tagen je zwei Lokalbahnzüge. Die Fahrzeit betrug im Schnitt zwei Stunden und 20 Minuten. Heute fährt man mit dem Bus und der Gräfenbergbahn circa 70 Minuten weniger.


So entstand der Name "Seekuh"

Wie die Bahn zu ihrem Namen "Seku" oder auch "Seekuh" kam, kann man im Almanach der Deutschen Eisenbahnen von 1963 nachlesen. Demnach eröffnete ein Wirt beim Bahnhof Erlangen-Zollhaus ein Gasthaus. "Restauration zur Sekundärbahn" sollte es benannt werden. Der Maler, der damals kunstvoll die Buchstaben auf das Wirtshausschild pinselte, legte pünktlich mit dem Glockenschlag am Feierabend den Pinsel zur Seite. Die Aufschrift war bis dahin nur bis "Restauration zur Seku" gediehen. Und weil es gerade Wochenende war, konnten sich Spaziergänger am Sonntag über dieses merkwürdige Bruchstück lustig machen, das in breitem Mittelfränkisch "Seekuh" gelesen wird. Die gern zu Späßen aufgelegten Erlanger Studenten sorgten schnell für die Ausdeutung und Weiterverbreitung.

Die Nebenbahn fuhr zunächst ordentlich Gewinn heraus. Und dazu gewannen die Verkehrsteilnehmer: Die Landbevölkerung konnte den Stadtbewohnern ihre Erzeugnisse schneller zum Kauf anbieten und deckte ihrerseits den Bedarf für Haus und Hof in der Stadt. Die Schüler erreichten die städtischen Schulen leichter. Auch für den Ausflugsverkehr erhielt die Lokalbahn Bedeutung.

Die Umwegstrecken der Bahn und die Ausstattung der Wagen allerdings waren Zielscheiben beißenden Spotts. So bildete sich im Lauf der Jahre ein Strauß von Anekdoten um die "Seekuh". So wird erzählt, dass am Buckenhofer Berg der auch Mockel, Pockel oder Gräfenberger Schubkarrenrädla genannte Zug oft stehen blieb. Die hilfsbereiten Passagiere, die dann schieben wollten, wurden vom Zugführer mit den Worten "Das ist Beleidigung von Staatseigentum!" in die Wagen zurückgetrieben.


Ab 1908 nur noch bis Eschenau

Die ursprünglich vom Magistrat Gräfenberg angestrebte Bahnlinie Nürnberg - Gräfenberg kam im Jahr 1908 doch noch zustande. Am 1. Februar wurde der Betrieb im Abschnitt Nürnberg Nord-Ost - Heroldsberg und am 1. Mai im Abschnitt Heroldsberg - Eschenau aufgenommen. Die Lokalbahnzüge von Erlangen verkehrten danach nur noch bis Eschenau, wo die Reisenden zur Weiterfahrt nach Forth und Gräfenberg umsteigen mussten. Rentabilitätsrechnungen erzwangen 1932 die teilweise Umstellung auf Triebwagen. Mit ihrem Einsatz wurden ab 1. April 1932 wieder durchgehende Züge von Erlangen nach Gräfenberg und umgekehrt durchgeführt.


Zu langsam

Trotzdem musste die Bahn unrentabel werden: Ein Gerichtsurteil erzwang von der Eisenbahn nach einem Zusammenstoß mit einem Straßenfahrzeug, sich den Bedingungen des Straßenverkehrs zu fügen. Das bedeutete, dass sie an jeder vorfahrtsberechtigten Straßenkreuzung anhalten musste! Dadurch sank ihre Geschwindigkeit von 20 km/h auf 15 km/h herab. Die "Seekuh" war infolgedessen der Konkurrenz des zunehmenden Kraftfahrzeugverkehrs nicht mehr gewachsen.

Am 1. Mai 1961 schließlich wurde der Streckenabschnitt Neunkirchen am Brand - Eschenau stillgelegt. Knapp zwei Jahre später folgte dann die letzte Fahrt auf dem Reststück von Erlangen nach Neunkirchen am Brand.
Die nach Nürnberg verkehrende "Gräfenbergbahn" jedenfalls erfreut sich weiterhin großer Beliebtheit. Vor 20 Jahren wurde die stark stilllegungsgefährdete Bahnstrecke gerettet und modernisiert. Seither sind die Fahrgastzahlen stark gestiegen und die Strecke ist weit über die Region hinaus zum Vorbild für die erfolgreiche Wiederbelebung von Bahnstrecken geworden.