Mit geballter Faust für Fairness

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Geballte Kraft vermittelte Kampfesspiele-Erfinder Josef Riederle (rechts mit Brille) bei seinem Auftritt in der Mittelschule in Neunkirchen am Brand. Foto: Barbara Herbst
Geballte Kraft vermittelte Kampfesspiele-Erfinder Josef Riederle (rechts mit Brille) bei seinem Auftritt in der Mittelschule in Neunkirchen am Brand. Foto: Barbara Herbst

Josef Riederle, Erfinder der Kampfesspiele, vermittelte seinen ungewöhnlichen Umgang mit Aggressionen in Neunkirchen am Brand. Viele kamen, um zu lernen.

Der drahtige, mittelgroße Mann mit der Brille und dem karierten Hemd, der grinsend in der Neunkirchner Sporthalle steht, erinnert nicht unbedingt an einen Kämpfer. Und das passt so ganz ins Bild. Denn Josef Riederle geht es genau um das: Mit seinen Auftritten möchte er sämtliche Vorurteile über die Themen Männlichkeit, Aggression und Kampf widerlegen.
Für viele Pädagogen ist der 57-Jährige Riederle ein Vorbild - und für die Anhänger von Kampfesspielen ist er "der Guru", sagt Dietmar Schuberth halb scherzend, halb ernst. Der Sozialpädagoge, der für die Arbeiterwohlfahrt in Forchheim arbeitet, hat sich von Josef Riederle zum Kampfesspiele-Anleiter ausbilden lassen. Und als Schuberth den "Guru" nun in den Landkreis holte, wollten ihn viele kennenlernen.
Auch Anne Scholta. Wiederholt schon hat die Schulleiterin die Sozialpädagogen Dietmar Schuberth und Ralph Himmer an die Mittelschule nach Neunkirchen eingeladen. Dort, wo Missachtung herrschte, zog nach den Workshops mit Schuberth/Himmer wieder die Fairness in die Klassenzimmer ein. "Viele Jungs sind nicht mehr in der Lage, zu rangeln ohne sich weh zu tun", beobachtet Rektorin Scholta im Schulalltag.


Boxhandschuhe werfen

Riederle, der in Kiel lebt, lehrt nicht nur diese Methode des spielerischen Kämpfens - er hat sie erfunden. Seit Jahren reist er durch die Republik, um sein Wissen weiterzugeben. Pädagogen aus Forchheim und Erlangen, Nürnberg und Coburg sind nach Neunkirchen am Brand gekommen, um Josef Riederle zu erleben. In der Turnhalle liegen Matten. Die Kampfesspieler (über die Hälfte Frauen) werfen sich zum Kennenlernen Boxhandschuhe zu. Sie kommen immer wieder zu einem Kreis zusammen oder rangeln auf den Matten. Selbstkontaktübungen, Rituale und Energieübungen werden erprobt.
Unter den Lernenden ist auch Matthias Breunlein, der Leiter des Forchheimer Jugendhauses. Er sei beeindruckt von der "geballten Energie", die von den Übungen und von Josef Riederle ausgehe. Dessen Credo hat Breunlein nach der Schulung verinnerlicht: Jungs suchen eine besondere Form des Körperkontaktes. "Die geben sich nicht die Hände und sagen, wie geht es dir. Sie hauen sich eher auf die Schultern." Eines ist dem Leiter des Jugendhauses noch klarer geworden: "Mit Jungs arbeiten bedeutet, manche Sachen zulassen und nicht sofort in die Beschützerrolle gehen."


Eine Tulpe im Tulpenfeld

"Oh Gott, kämpfen", sagt eine Teilnehmerin zu Beginn des Lehrgangs. Mit Kampf assoziiere sie "boxen und schlagen". Doch als Riederle seine Schützlinge am Ende des Lehrgangs um sich versammelt, ist Heiterkeit und Dankbarkeit zu spüren. Riederle lässt die Teilnehmer ein letztes Mal einen Kreis bilden. Und einen Schritt aufeinander zu gehen - und noch einen. Eng stehen sie da, Schulter an Schulter. "Was ich hier tue, hat Wirkung und du kannst es jetzt spüren", sagt der 57-Jährige. Und dann fasst Josef Riederle die Arbeit dieses Tages in ein poetisches Bild: "Du bist eine Tulpe im Tulpenfeld, nicht Rose oder Distel. Als Tulpe im Tulpenfeld gehörst du dazu."
Im spielerischen Kampf Regeln des Miteinanders erlernen und so "Spaltungen in der Gruppe überwinden", das ist es, was Dietmar Schuberth in seiner Jungen-Arbeit (mit Schülern, aber auch mit straffälligen Jugendlichen) seit sechs Jahren vermittelt. "Mit Aggression verbinden die meisten erst mal was Schlimmes", weiß Schuberth. "Doch Aggressionen sind was ganz Normales - und die Kampfesspiele können sie darstellen." Der Sozialpädagoge wünscht sich, diese Methode wäre ein Baustein jeder pädagogischen Ausbildung.
600 Anleiter für Kampfesspiele gibt es bundesweit. Dietmar Schuberth ist einer von Dreien in Oberfranken. Nach dem Lehrgang mit Josef Riederle könnte sich das ändern. "Jeder, der hier rausging, war zufrieden mit sich", hat Schuberth beobachtet. "Einige haben angekündigt, sie wollen die Ausbildung machen."


Riederle im Interview: "Männlichkeit ist viel mehr als sämtliche Klischees über Männlichkeit"

Josef Riederle ist der Erfinder der Kampfesspiele. Was sich hinter dem Begriff verbirgt, darüber sprach er am Rande eines Lehrgangs in Neunkirchen am Brand.

FT: Von welcher Frage lassen Sie sich bei Ihrer Arbeit leiten?
Josef Riederle: Was brauchen Jungs zum sozialen Lernen. Beziehungen unter Jungs entstehen mehr durch Körperkontakt als durch Worte.

Wo haben Sie diese Erfahrung gemacht?
Unter anderem habe ich viel mit Migranten-Jungen gearbeitet. Aber grundsätzlich geht es Jungs weniger um Worte. Sie wollen sich spüren und Resonanz bekommen. Spüren tun sich Jungs beim Rangeln und Raufen, und wenn sie sich mit Regeln auseinandersetzen und Konsequenzen spüren. Die Kampfesspiele sind auch Gewaltprävention, weil Jungs sich spüren und lernen, sich mehr selbst zu steuern.

Sie sind unter anderem Gründer des Bildungsinstituts "Kraftprotz". Was ist die wichtigste Botschaft, die Sie über die Kampfesspiele und die Körperarbeit vermitteln?
Zu kämpfen heißt nicht, gewinnen zu müssen. Männlichkeit ist viel mehr als sämtliche Klischees über Männlichkeit; alles was ein Junge empfindet und tut, tut er als Junge und daher ist das alles männlich.

Was gibt den Jungs das Gefühl, stark zu sein, auch wenn sie einen Kampf verlieren?
Wer alles gibt, und den Kampfpartner anerkennt, der kann zufrieden sein, egal, ob er gewonnen hat oder nicht. Für Jungs sind Begriffe wie Ehre, Stolz und Respekt sehr attraktiv und bedeutend. Es ist wichtig, dass wir diese von rechts besetzten Begriffe für die Arbeit mit Jungen und Männern nutzen und positiv füllen.

Nennen Sie ein Beispiel für Ehre.
Wenn ein Junge verspricht, fair zu kämpfen, dann ist es ehrenhaft, zu seinem Wort zu stehen, auch wenn er verliert, und darauf kann er auch stolz sein. Das verstehen Jungs gut, aber es kollidiert mit alten Männlichkeitsbildern und das macht es Jungs oft schwer. Manche werden lieber unfair, als dass sie verlieren. Wenn ihnen aber klar wird, dass sie damit unehrenhaft handeln, dann bekommt die Fairness einen höheren Wert.