Forchheims katholisches Oberhaupt Martin Emge (59) spricht im exklusiven FT-Interview über seine neue Rolle im Domkapitel, Frauen in Weiheämtern, klamme Kirchenkassen und Glaube in Zeiten der Virus-Pandemie.
Dekan Martin Emge (59) ist nicht nur leitender Pfarrer im Seelsorgebereich Forchheim, sondern seit 1. Dezember 2020 auch Mitglied des Domkapitels in Bamberg. Im FT-Interview spricht über seine Vorhaben, Frauen im Weiheamt und seine Bischofsambitionen.
Sie gehören nun zu den zwölf Priestern des Domkapitels. Ein wahrer Karrieresprung?
Martin Emge: Das würde ich so nicht sagen. Es ist ein Beratergremium unseres Erzbischofs. Es geht bei der Aufgabe um mehr Mitverantwortung in der Diözesanleitung. In der Mitsorge um die Kirche gebe ich gern meinen Rat.
Sicher werden viele Aufgaben zu Ihren jetzigen Tätigkeiten hinzukommen. Worin sehen Sie Ihre Schwerpunkte?
Früher waren die Domkapitulare vorwiegend direkt in Bamberg angesiedelt und hatten in Hauptabteilungen administrative Leitungsverantwortung. In den letzten Jahren wurde solche Aufgaben zunehmend an sogenannte "Laien" delegiert, die etwa in den Bereichen Finanzen, Personalverwaltung, Bau und Schule, im Vergleich zu den "nur" theologisch qualifizierten Priestern, berufliche Profis sind. Dadurch können in Zeiten des Priestermangels aktuell sechs Domkapitulare dezentral in der Seelsorge mithelfen. Zu denen gehöre auch ich. Das erklärt, dass ich durch meinen Dienst vor Ort aus erster Hand die pastoralen Perspektiven in die diözesanen Entscheidungen einbringen kann. Ich verstehe mich als Brückenbauer.
Kommt es Ihnen gelegen, an der Basis weiterwirken zu können?
Ich bin sehr gerne Priester und Seelsorger. Der direkte Kontakt zur sogenannten Basis, also zu den Gläubigen, ist mir ein Herzensanliegen. Das heißt: Ich darf weiterhin leitender Pfarrer im Seelsorgebereich Forchheim sein und darf als Dekan unsere Arbeit koordinieren. Jetzt als Domkapitular werde ich zu einigen Sitzungen mehr in Bamberg sein. In denen geht es darum, grundsätzliche Überlegungen anzustellen, die der Ordinariatskonferenz zur Diskussion und Entscheidung vorgelegt werden.
Sicher wird es auch inhaltliche Diskussionen geben. Wie stark sind Sie eingebunden?
Ich habe eine volle Stimme und darf mitentscheiden. Das letzte Wort hat aber immer der Erzbischof, wir sind sein Beratergremium. Aber in der Regel nimmt er unsere Stimmen ernst.
Dürfen wir uns auf harte inhaltliche Diskussionen einstellen oder sind Sie mit Herrn Schick auf einer Wellenlänge?
Es gibt auch kontroverse Diskussionen. Das ist wichtig, um Wahrheiten und den besten Weg zu finden und verschiedene Flügel zu integrieren. Das wird immer an Detailfragen liegen. Es gibt zum Beispiel eine eigene Corona-Kommission, mit der sich der Bischof abstimmt. Oder der Einsatz der Kirchensteuermittel: Wie viel wird in Personal investiert, wie viel in Bauten, wie viel in Bildung oder in die Seelsorge? Da heißt die Frage, wie wir auch in Zukunft mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln Akzente setzen wollen. Das muss gut überlegt werden.
Reichen die Mittel denn für die Forchheimer Gemeinden noch aus?
Die Corona-Lage hat uns sehr stark getroffen. Im ersten Lockdown sind die Kollekteneinnahmen nahezu ganz ausgefallen, jetzt sind sie stark dezimiert. Hin zu kommt: Sobald die Wirtschaft zurückgeht, gehen auch die Kirchensteuereinnahmen zurück - das spüren wir direkt. Im Moment müssen wir Abstriche machen. Der Haushaltsplan 2021 wurde gerade erst verabschiedet: Darin steht ein negatives Betriebsergebnis in Höhe von 12 Millionen Euro (
im ganzen Erzbistum, Anm. d. Red.), das Sparmaßnahmen einfordert und ansonsten nur durch Rücklagen ausgeglichen werden kann.
Wo muss das Dekanat Forchheim einsparen?
Wir werden wohl künftig bei den Betriebsträgerschaften für Kitas nicht mehr so großzügig sein können wie bei den bisher 300 Kindertageseinrichtungen im Bistum in kirchlicher Trägerschaft. Bei anstehenden Gebäudesanierungen werden wir uns an einem im Entstehen befindlichen Raumkonzept orientieren müssen und uns stärker auf notwendige Bedarfe konzentrieren.
Ein weiterer Streitpunkt innerhalb des Domkapitels wäre Ihre Haltung bezüglich der Forderung des Münsteraner Weihbischofs Dieter Geerlings von 2019, Frauen
im Domkapitel zuzulassen.
Da sind die Bamberger schon weiter. Wir haben im letzten Jahr drei Frauen in hohe Leitungsfunktionen gebracht, zwar nicht als Kapitulare, dafür aber als Ordinariatsrätinnen. Der Wille und die Tendenz sind da, soweit es möglich ist, sowohl Nichtkleriker als auch Frauen in kirchliche Führungspositionen zu bringen. Das Weiheamt ist noch einmal ein eigenes Thema. Aber in vielen anderen kirchlichen Verantwortungsbereichen machen Frauen jetzt schon eine sehr gute Arbeit.
Aber die Weihe bleibt den Frauen vorerst weiter verwehrt...
Das ist eines der Themen, die auf der Ebene des Synodalen Weges besprochen werden. Da gibt es bemerkenswerte Überlegungen, die in Richtung Diakonat der Frau gehen. Selbst der Papst hat in seiner Amazonas-Synode Äußerungen gemacht, die ermutigen, neu über die Ämterfrage nach zu denken. Da sind wir noch nicht am Ende und ich sehe hier durchaus Diskussionsbedarf.
Sie sprachen in einem früheren FT-Interview von "Wachstumsfeldern für die Kirche". Ist die Rechnung aufgegangen?
Das ist schwer messbar. Was ich festgestellt habe in der Krisenzeit: Kirche hat sich in einer Weise weiterentwickelt, die mir sehr sympathisch ist. Gläubige werden selbstständiger, probieren neue Wege aus. Wir haben durch unsere Aktionen Leute erreicht, die wir sonst nie erreicht hätten. Zum Beispiel die Livestreams. Kirche erwacht in den Häusern wieder. Das ist schön, dass jemand nicht nur in den Kirchenraum gehen muss, um einen kirchlichen Service zu bekommen. Die Rückbesinnung auf die häusliche Gebetsgemeinschaft ist durchaus wahrnehmbar, soweit ich das punktuell mitbekomme.
Sie begrüßen die Rückbesinnung aufs Häusliche, hielten aber an den Präsenzgottesdiensten vor allem an Weihnachten fest. War das ein Fehler?
Ich glaube, es war kein Fehler. Kirche braucht beides. Glaube und Kirche sind nicht nur etwas für den Sonntag. Wenn ich meine Kirchentüre zumache und komplett auf das Angebot verzichte, fehlt die sichtbare Berührung, die Gemeinschaft. Die Isolation der alten Leute ist das eigentlich Schlimme, dieses Ausgegrenztsein kann nicht das Wahre sein.
Die Kirchenaustritte bleiben hoch, das Image bleibt unter anderem durch die Missbrauchsskandale angeknackst - wie wollen Sie Menschen wieder in die Kirche holen?
Das kann nur über vertrauensbildende Maßnahmen gehen und durch niederschwellige Angebote. Ich muss als Kirche einladend wirken. So haben wir bei uns etwa ein Weinfest im Pfarrfest etabliert, wohin auch junge Leute wieder mit ihrer Kirche in Kontakt kommen. Da entstehen interessante Kontakte, die sich nutzen lassen. Persönlich ist es mir ein starkes Anliegen, mehr mit Familien in Kontakt zu treten und Familien zu fördern. Dabei ist es mir wichtig, dass Kirche nicht nur irgendwelche noch so gut gemeinten und ausgearbeiteten Angebote macht, sondern hinhört und die Gläubigen fragt: Wo braucht ihr uns? Welchen Fragen bewegen euch? Und nicht zuletzt müssen wir draußen vor Ort und in der Fläche präsent sein.
Für was ließe sich in Ihrer neuen Rolle für die Region Forchheim besonders streiten?
Wir sind einerseits eine traditionelle Region, katholisches Kernland. Auf der anderen Seite habe ich in Forchheim einen wachsenden industriellen Ballungsraum, der ein ganz anderes Denken mit sich bringt. Die Frage von Tradition und Fortschritt ist bei uns zum Greifen nah. Wie gewinne ich Zugezogene, die das christliche Milieu nicht kennen? Wie kann ich Kirche in Kreise bringen, die nicht kirchlich sind. Das scheint mir eine wichtige Grundfrage zu sein. Auf der anderen Seite sehe ich eine große Sinnsuche. Bei Taufen oder Begräbnissen kommen ja alle aus der Verwandtschaft zusammen, auch solche, die eher kirchenfern sind. Gerade mit ihnen kommt es zu vielen guten Gesprächen. Für viele von ihnen bin ich als Pfarrer interessant, weil sie diese kirchliche Welt noch nicht so kennen. Das ist hochspannend.
Die unausweichliche Abschlussfrage: Wollen Sie selbst einmal Bischof werden?
(lacht) Da habe ich keine Ambitionen. Bischöfe werden ernannt, man kann sich nicht zum Bischof hocharbeiten wie in einer Beamtenlaufbahn. Von der Bibel aus gesehen: Mein Amt ist ein Dienstamt im Dienst Jesu. Und diesen Dienst kann ich als Pfarrer täglich ausüben. Den, der heute von sich aus Bischof werden will, kann ich nicht verstehen. Dieses Dienstamt ist so herausfordernd und anspruchsvoll - das wünsche ich niemandem.