Eltern und Pädagogen: Weg vom Bulimie-Lernen

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Symbolbild Foto: Malte Christians/dpa
Symbolbild Foto: Malte Christians/dpa
 

Seit Donnerstag läuft die Einschreibung zum Volksbegehren "Wahlfreiheit zwischen G9 und G8 in Bayern". Doch Eltern und Pädagogen im Landkreis Forchheim bezweifeln, dass die Initiative der Freien Wähler dem vertieften Lernen dient.

Die ältere Tochter der Familie Dicker gehörte dem letzten G9-Jahrgang an. Die jüngere ist eine gute G8-Schülerin am Gymnasium Fränkische Schweiz in Ebermannstadt. Mutter Julietta Dicker sitzt im Elternbeirat der Schule. Nach den vergleichenden Erfahrungen mit ihren Töchtern kommt sie zu einem eindeutigen Urteil: "Ich würde das G 9-Modell wählen."

G8 sei "machbar", aber mit 30 Schülern in einer Klasse nicht empfehlenswert. "Die Stoff-Fülle ist zu groß, es fehlen die Übungsphasen", sagt die Elternbeirätin: "Der Lehrer hat gar nicht die Zeit, auf einzelne Probleme einzugehen und die Gesamtpersönlichkeit der Schüler zu fördern."

Daher kann Julietta Dicker dem Volksbegehren "Ja zur Wahlfreiheit zwischen G9 und G8 in Bayern" nicht viel abgewinnen.
Das von den Freien Wählern initiierte Begehren spreche von einer "Wahlfreiheit", die es an kleinen Schulen nicht gebe: "Fürs Land ist es sehr schwierig", meint Dicker.

Drescher: "Nicht realisierbar"

Noch deutlicher formuliert es Peter Drescher: "So, wie das Volksbegehren verbalisiert ist, kann ich es nicht unterstützen, weil es nicht realisierbar ist." Drescher ist Stellvertretender Schulleiter am Gymnasium Fränkische Schweiz und auch Bezirksvorsitzender im Philologen-Verband. Der Verband habe sich eindeutig positioniert: Für ein neunjähriges Gymnasium - mit der Option, das Abitur nach acht Jahren zu machen, indem der Schüler die zehnte Klasse überspringen kann.

Die "Parallelstruktur" von G8 und G9, wie sie die Freien Wähler favorisiere, hält Peter Drescher für "unrealistisch", weil kleine Schulen das gar nicht leisten könnten. "Für völlig verfehlt halte ich es zudem, ein Schulforum darüber entscheiden zu lassen", kritisiert der Pädagoge aus Ebermannstadt.

Schlechte Abiture nehmen zu

Das G8 in der aktuellen Form sei für etwa 30 Prozent der Schüler geeignet, meint Peter Drescher: "Ein Drittel unserer Schüler haben sehr schöne Ergebnisse. Unter 134 Absolventen gab es drei mit einem 1,0-Schnitt." Was Drescher aber beklagt, in Ebermannstadt und bayernweit: Die Zahl der Abiture mit Schnitten zwischen 3 und 3,6 habe zugenommen. "Es gibt einen gewissen Bedarf für G9", folgert Peter Drescher. "Etliche Schüler brauchen mehr Zeit und größere Vertiefung."

Stattdessen scheint das G8 die Zeit zu verschlingen. "Es ist keine Ruhe in unserem Gymnasium", beklagt der stellvertretende Schulleiter in Ebermannstadt: "Ein Monitoring jagt das andere. Weil man an einem Vehikel herumdoktert, das nur drei Räder hat und keine vier."

Auch das Lehrer-Ehepaar Birgit Patzak-Waldmann und Karl Waldmann sieht sowohl den G8-Betrieb als auch das Volksbegehren skeptisch.

Zeit zum Üben fehlt

Egal ob G8 oder G9: "Absolut nötig ist für mich eine Reduzierung von Lerninhalten, um mehr Zeit zum Üben zu haben", sagt Birgit Patzak-Waldmann. Sie ist Lehrerin für Geographie und Sport am Herder-Gymnasium Forchheim; außerdem hat sie zwei Söhne "mit Abi in G9".

Nach fast 30-jähriger Berufserfahrung weiß sie: "Wir brauchen in der Schule mehr Zeit zum vertieften, nachhaltigen Arbeiten an Inhalten und Kompetenzen. Das geht durch Reformen sowohl in einem G8 als auch in einem G9. Aber nur mit einem Zurück zu G9 mit den alten Inhalten ist nichts gewonnen."

Gut am Volksbegehren findet Karl Waldmann, dass es "Bewegung in die Debatte um das Gymnasium bringt".
Der Grüne Kreisrat ist Geographie- und Deutschlehrer am Ehrenbürg-Gymnasium Forchheim (EGF). Er räumt ein, dass das "überstürzt eingeführt G8" gute Ergebnisse hervorbringt - am EGF heuer sogar "das beste Abi in der Geschichte der Schule". Aber: "Die Schüler in der 10. Klasse Gymnasium haben 16 Fächer - das ist das Problem." Unabhängig von G8 oder G9 - "wir müsse den Mut haben, vom Bulimie-Lernen wegzukommen", fordert Waldmann.

Das von den Freien Wählern formulierte Volksbegehren geht aus seiner Sicht "genau an diesem Punkt vorbei" - die Fächervielfalt werde nicht reduziert, - "das geht in die falsche Richtung".

Was wäre die richtige? "Leistungskurse wie im G9, wo individuelle Fertigkeiten eingebracht werden konnten", sagt der EGF-Pädagoge. Und seine Frau ergänzt: "An G9 fand ich das Kurssystem in der Oberstufe gut, da die Leistungskurse mit fünf Wochenstunden pro Fach deutliche Vertiefungen zuließen und das auch in sogenannten Nebenfächern, wie Kunst oder Geographie." Damit seien Impulse gesetzt worden für die Berufswünsche, meint Patzak-Waldmann: "Die Abschaffung von Leistungskursen macht eine Rücksichtnahme auf persönliche Interessen und Begabungen unmöglich."