Zum Abschluss des Igensdorfer Kultursommers gibt es mit "Martha" einen heiteren Streit zwischen den Geschlechtern.
Kann eine komische Oper aus der Biedermeierzeit ein modernes Publikum vom Hocker reißen? Ja, das geht. Die "Martha"-Aufführung des Opernstudios Oberfranken in der der Stöckacher Lindelberghalle hat es bewiesen. Ein einziger Satz aus der Oper genügt, um einen Gelächtersturm auszulösen: "Herbei, herbei, der Markt ist frei!" Gewinnt doch ein solcher Satz im Zusammenhang mit der Diskussion um die freie Marktwirtschaft und ihre globalen Folgen an Aktualität und Anspielungsreichtum.
Und wenn die Darsteller gegen Anfang und Schluss des Stück das grotesk überdimensionalisierte Abbild eines Gesetzeshüters in Form einer Art Feuerwehrhauptmann hereinschieben, wird die gesellschaftskritische Dimension der Oper überdeutlich. Richtete sie der Komponist Friedrich von Flotow gegen festgefahrene Ständehierarchien der damaligen Zeit, zielt sie heute auf den Abgrund zwischen Gewinner und Verlieren in der Veranstaltung "Kapitalismus".
Königliches Edelfräulein "Die Jagd ist frei", heißt es an späterer Stelle, und wenn Flotow diesen Satz auf den Geschlechterkampf bezieht und Nancy die weiblichen Jagdteilnehmerinnen zur Hatz auf Plumkett, einen der beiden männlichen Helden der Oper - auffordert, sind auch hier Anklänge an die Gegenwart nicht von der Hand zu weisen.
"Verwegener Mann! Jägerinnen zielt! Legt an!", ermuntert sie ihre Geschlechtsgenossinnen, da sie sich von dem Landgutbesitzer in ihrer Rolle als dem Adel angehörige Respektsperson verkannt fühlt. Obwohl sie sich doch zusammen mit ihrer Lady Harriet, einem königlichen "Edelfräulein", als deren Vertraute sie auftritt, ursprünglich bei ihm als Magd verdingt hatte. Aus Langeweile an übersättigter Adelsprunklebensführung war dieser Deal zustande gekommen. Nun aber ruft sie ihre weiblichen Mitstreiterinnen zur Rebellion auf: "An dem Frechen / lasst uns rächen. Er ist das Wild, / dem es hier gilt! / Ihn zu jagen, / ihn zu plagen / sei unser Ziel, / sei unser Spiel."
Kritik nicht nur an den Standesverhältnissen, sondern auch an den festgeschriebenen Geschlechterrollen übte Flotow schon damals. Und es entbehrt wiederum nicht der Komik, wenn Lyonel, der adoptierte Bruder Plumketts, der sich später als Adeliger herausstellt, um dann am glücklichen Ende doch noch mit Lady Harriet die Ehe eingehen zu können, ihren weiblichen Gegenparts an Spinnrädern die urweibliche Handwerkskunst demonstrieren, die sie auf Grund ihrer Zugehörigkeit zum Adel, von der die Männer zu diesem Zeitpunkt noch nichts ahnen, nicht beherrschen.
Traurige Worte heiter verpackt Dass nähen, mähen, säen, Fäden drehen, bügeln, striegeln, mästen, Beefsteak rösten, haspeln, raspeln, glätten, plätten, Röcke stopfen, Gänse stopfen, sticken, stricken, Braten spicken als Inbegriff weiblicher Tugend gelten, am Ende aber doch die Frau die Oberhand behält und ihre Ziele durchsetzt, scheint sich wenigstens in Grundzügen noch bis in die heutige Zeit erhalten zu haben.
Nicht zuletzt die Musik ist die Klammer zwischen damals und heute. Denn sie spricht die Emotionen der Hörer unverändert an, auch wenn sich die musikalischen Mittel verändert haben.
Und werden noch zu Beginn der Oper traurige Worte in stark kontrastierend heitere Musik gekleidet, so steigert sich die Intensität der Musik bis hin zur Dramatik, wenn der sich verschmäht glaubende Liebhaber sein Leid beklagt. "Die letzte Rose", die bekannte Melodie im Zentrum, rührt schließlich das Publikum auf ganz anderer Ebene zutiefst an. Ramona Friedrich als Lady Harriet, die von Anfang bis Ende Hervorragendes leistet und in jede einzelne Note den richtigen Ausdruck zu legen versteht, hat daran entscheidenden Anteil.
Als Diva, lässt sie sich weder von laut polternden Glasflaschen noch von der laut von der Decke röhrenden Lüftungsanlage stören.
Sie füllt mühelos mit ihrem Organ die riesige Halle, und das tun auch die übrigen Solisten: Susanne Oehm- Henninger als Nancy, Karl Schineis als Lyonel und Michael Wolfrum als Plumkett. Das gesamte Ensemble aus rund 20 Sängern singt durchgängig überzeugend. Anna Baturina-Riegelein, der die musikalische Leitung obliegt, zeigt außerdem als Pianistin, dass ein Flügel zur musikalischen Begleitung vollauf genügt. Die logische Konsequenz: Großer Beifall und viele "Bravo"-Rufe des Stöckacher Publikums.