Wegen Bauschäden sind Teile der Philosophischen Fakultät in Erlangen obdachlos geworden. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) schlägt als neues Domizil den "Himbeerpalast" des Siemens-Konzerns vor.
Das Foto war bundesweit in den Medien: Kiloweise Putz- und Betonbrocken sind am 21. Juni in einem Büro der Universität in Erlangen aus der Decke gebrochen und haben einen Schreibtisch unter sich begraben. Dass sich niemand verletzt hat, war reines Glück: Der Schutt kam in der Nacht herunter. Die Räume wurden daraufhin von der Uni wegen "Gefahr für Leib und Leben" gesperrt. Die betroffenen Institute sind in Ausweichquartiere umgezogen. Professoren suchten Büro-Asyl an anderen Lehrstühlen.
Verdacht auf Giftstoffbelastung Der Deckensturz hat an der Universität Erlangen-Nürnberg eine Diskussion darüber ausgelöst, wo in Zukunft die Philosophische Fakultät untergebracht werden soll. Denn auch andere Gebäude sind eventuell auf Dauer nicht mehr nutzbar: In den sogenannten "Philosophentürmen" gibt es den Verdacht auf Giftstoffbelastung in der Raumluft.
Eine Messung auf PCB läuft derzeit. Der Stoff steht im Verdacht, Krebs zu erregen.
Nach einer Renovierung im Wintersemester wird das Gebäude, in dem der Schutt von der Decke kam, wieder komplett einsatzfähig sein. Allerdings nur mit einer Restlaufzeit von zehn Jahren, so Rainer Trinczek, Leiter des Instituts für Soziologie und Dekan der Philosophischen Fakultät. Dann sei der Bau aus dem Jahr 1957 endgültig abrissbereit.
Doch wohin dann? Ein Abbruch der alten Häuser und ein Neubau wären laut Trinczek nicht nur sehr teuer, sondern auch logistisch schwierig zu bewerkstelligen. Die Universitätsleitung schätzt die Kosten eines Neubaus auf 150 bis 200 Millionen Euro.
Der Umzug der Fakultät in ein bereits vorhandenes Gebäude sei daher die "optimalste Lösung", sagt Trinczek.
Philosophen im "Himbeerpalast"? Einen Vorschlag, wie es mit der teils "obdachlosen" Philosophischen Fakultät weiter geht, machte vergangene Woche der Bayerische Innenminister und Erlanger Landtagsabgeordnete Joachim Herrmann (CSU). Er sieht eine Lösung in einem frei werdenden Verwaltungsgebäude von Siemens. Der Industriekonzern plant, den Standort im Zentrum Erlangens für einen großen Neubau aufzugeben. Im dann leer stehenden Siemens-Verwaltungsbau - wegen seiner Farbe von den Erlangern "Himbeerpalast" genannt - könnte die Fakultät einziehen, so Herrmanns Idee.
Einzug frühestens in sechs Jahren Laut Guido Jagusch, Sprecher von Siemens Real Estate, ist früh estens im Jahr 2019 damit zu rechnen, dass der "Himbeerpalast" frei werden würde. Ein genauer Zeitplan stehe erst im April nächsten Jahres fest. Innenminister Herrmann betont, es gehe darum "eine langfristige Lösung" zu finden: "Die mögliche Perspektive das Siemens-Gebäude nutzen zu können ist ein großer Schritt nach vorne." Universitätspräsident Karl-Dieter Grüske begrüßt den Vorschlag. Er bezeichnet den Umzug der Philosophischen Fakultät als eine "geeignete Option". Auch Fakultätsdekan Trinczek sieht Vorteile: Der "Himbeerpalast" liege nicht nur zentral und fußläufig zu Mensa und Hauptbibliothek, sondern würde einen zeit- und kostenintensiven Neubau ersparen.
"Wir hätten dann ein schönes Philosophikum", sagt Trinczek.
Zudem könnte sich ein seit langem gehegter Wunsch der Uni erfüllen: Der "Himbeerpalast" böte genügend Platz, um auch die Lehrerbildung aus Nürnberg mit unterzubringen. Denn auch dort gibt es Sanierungsbedarf in Millionenhöhe.
Bei der Stadt Nürnberg stößt die Aussicht, über 2000 Lehramts-Studienplätze zu verlieren, erwartungsgemäß auf wenig Begeisterung: "In Nürnberg, als zweitem Uni-Standort neben Erlangen, gibt es sowieso schon zu wenige Studenten", sagt Nürnbergs OB Ulrich Maly (SPD). Vor Jahren habe man schon über einen Tausch verhandelt: Jura nach Nürnberg, Lehrerbildung nach Erlangen. Das sei innerhalb der Universität gescheitert. Eine einseitige Bevorzugung Erlangens "nur weil da gerade ein Gebäude frei wird" komme nicht in Frage, sagt Maly.
Erlangens OB Siegfried Balleis (CSU) sieht im "Himbeerpalast" eine "sensationelle Chance für die Stadt Erlangen". Für die Uni handle es sich quasi um einen "Sechser im Lotto". Er habe jedoch volles Verständnis für Malys Haltung: "Irgendwo muss ein Interessenausgleich stattfinden."
"Alles ist besser als der Jetztstand", kommentiert Kai Padberg das Thema "Himbeerpalast". Er studiert Soziologie und ist Sprecher der Fachschaftsvertretung an der Philosophischen Fakultät. Jubel und Begeisterungsstürme über die Lösung "Himbeerpalast" hielten sich unter den Studenten in Grenzen: "Viele, die jetzt studieren, werden das nicht mehr erleben." Er sieht die aktuellen Probleme bei den Ausweichquartieren der Institute: Es gebe noch immer keinen Telefon- und Internetanschluss. Auch die Ausleihe aus der Bibliothek funktioniere noch nicht.
Erlanger Studenten protestieren Für Donnerstag planen die Studenten in Erlangen eine Protestveranstaltung. "Seit Jahren fühlen wir uns als Studenten zweiter Klasse", sagt Padberg. Während für die technisch-naturwissenschaftlichen Fächer millionenschwere Neubauten finanziert würden, sei bei der Geisteswissenschaft nur für nötigste Renovierungen Geld vorhanden gewesen, so der Studentenvertreter. Uni-Präsident Grüske weist darauf hin, dass die Probleme bei den Naturwissenschaften ebenso groß seien, weshalb dort Neubauten nötig waren. Zudem habe man auch in die Geisteswissenschaften investiert.
So etwa in neue Seminarräume oder die Renovierung der Zentralbibliothek.
Für Dekan Trinczek ist die Politik verantwortlich: "Das Dilemma ist, dass die Uni rund 40 Millionen Euro Sanierungsmittel beim Land beantragt, aber nur vier Millionen bekommt." Er vermute, dass die Einweihung von Neubauten der Politik mehr zusagt, als die Instandhaltung bestehender Substanz. Renovierung sei "in Politikeraugen anscheinend nicht so sexy."
"frühestens 2019"(Siemens) - und die Studenten sollen weitere 6 Jahre ihr Leben im verpfuschten Unibau riskieren? Das Bildungspolitik-Elend hier mal wieder konkret.
"fussläufig" - da werde ich ganz aushäusig!