Syrisches Geschwisterpaar träumt in Deutsch

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Die 19-Jährige Salam ist die große Schwester von Majed (14 Jahre) und drei weiteren Geschwistern. Foto: Sarah Dann
Die 19-Jährige Salam ist die große Schwester von Majed (14 Jahre) und drei weiteren Geschwistern.  Foto: Sarah Dann

Salam ist 19 Jahre, würde gerne studieren, müsste dafür aber nochmal die Schule besuchen. Majed ist 14 und will Architekt werden. Sie ist zurückhaltend, er ist redselig - seit zwei Jahren ist das Geschwisterpaar endlich wieder lebensfroh.

Ein Mädchen, das den Vornamen "Friede" trägt. "Salam" steht im Arabischen auch für Unversehrtheit. Das Mädchen Salam ist wohlbehalten aus dem Trümmerhaufen Heimat, aus Damaskus, geflohen - gemeinsam mit ihren drei jüngeren Brüdern Mahmod (18), Majed (14) und Hamza (10), mit Mutter und Vater. Ihre Flucht liegt mittlerweile zwei Jahre zurück.

Die Familie aus Syrien lebt jetzt in Erlangen. In einer Drei-Zimmer-Wohnung, zu sechst. Noch, denn schon in ein paar Tagen wird in einem Babybett ein Neuankömmling - Familienmitglied Nummer sieben - quäken. Der 14-jährige Majed wünscht sich noch einen Bruder. Salam auch. Denn die 19-Jährige mit pechschwarzem Haar und Rouge-Wangen würde gerne das einzige Mädchen in der Familie bleiben.

Im Moment ist Salam außer Konkurrenz die hübscheste Tochter von Vater Ahmed und Mutter Wafa. Intelligent, wissbegierig, die eine große Schwester und für ihre Mutter mehr als nur die große Tochter. Die beiden Frauen sind wie Geschwister, wie Freundinnen, auf jeden Fall "mehr als Muscha und Tochter", sagt Salam.
 


Freundschaft übers Handy pflegen

Vor der Flucht aus Damaskus war das noch nicht so, zumindest nicht so unangefochten harmonisch. Die Sorge umeinander, die Hoffnung, als Familie zusammenzubleiben - Hauptsache die Flucht zu überleben - hat sie verbunden. Für immer, alle miteinander.

Klar, mit der Zeit lernen die Syrer Leute kennen: Im Deutschkurs oder aus der Nachbarschaft - das hat vor allem während ihrer Zeit in Weingartsgreuth wunderbar funktioniert. Dort bekam die Familie im Jahr 2013 in einer Wohnung der evangelischen Kirchengemeinde Asyl. Zwei Freundinnen von damals sitzen auch jetzt mit im Wohnzimmer.

Ihre beste Freundin aber, die ist für Salam nur übers Handy erreichbar. Fast täglich schreiben sich die beiden. Lächeln in die Handykamera, schicken ihre Selfies von Erlangen nach Schweden und dürfen ein bisschen wie alle anderen jungen Frauen sein, die Wert auf getuschte Wimpern und frisch gewaschenes Haar legen.
Nur, dass das Mädchen im rosafarbenen Pullover Bilder in seinen Gedanken verarbeiten muss, die so mancher Erwachsene nicht ertragen kann. "Leute, die im Meer ertrinken - und es werden immer mehr und mehr", sagt ihr Bruder.

Nachrichten im Fernsehen, Bilder in sozialen Netzwerken - auch das Geschwisterpaar, das eine Aufenthaltsgenehmigung für Deutschland hat, bekommt die Flut an Flüchtlingsschicksalen über die Medien oder die bestehenden Kontakte nach Syrien mit - "freilich" , sagt Majed.

Seine Schwester Salam spricht fließend deutsch. Ihr Bruder, der ist davon überzeugt, dass er der deutschen Sprache mittlerweile mächtig ist: "Freilich." Das ist Majeds Lieblingswort und der Beweis dafür, dass der 14-jährige Schüler noch vorhandene Sprachlücken mit Charme und Dialekt kaschiert.

Rosemarie Schmidt hat sich so fürsorglich um die Familie gekümmert, dass sie heute von den Kindern Oma genannt wird. Sie erinnert sich noch gut daran, wie schwer es der mittlere Sohn vor zwei Jahren hatte. Das Schlimmste für die jungen Syrer nach der wochenlangen Flucht war, nicht sagen zu können, "was ich will", erklären die Geschwister. Und, dass sie im deutschen Schulsystem zurückgestuft beziehungsweise ihre syrischen Schulabschlüsse nicht anerkannt wurden.
 


Lebensziele vor Augen

So kam es, dass sie gelacht haben, wenn gelacht wurde - nicht weil die Situation witzig war. Oder Salam beim Bäcker die flapsige Aussage der Verkäuferin - "ich bin bescheuert" - bejaht hat, weil sie dachte, die Frau entschuldige sich für das falsche Rückgeld, auf das Salam diese aufmerksam gemacht hatte. "Mittlerweile läuft's bei mir", grinst Majed, dem erst einmal sein Hauptschulabschluss im neuen Jahr bevorsteht.

Majed bringt seine Mitmenschen zwar lieber zum Lachen als zum Weinen - über seine Flucht will er trotzdem sprechen, damit die Menschen erfahren, warum so viele flüchten müssen. Immerhin sei es auch seine Idee gewesen - damals mit 12 Jahren - ihr Zuhause, das mittlerweile zerbombt ist, zu verlassen. Für Deutschland plädierte er, weil in der "Demokratie viele Sachen gut sind".


Demokratie ist besser

Ob sein Aufbruchswille allein ausschlaggebend für die Flucht der sechsköpfigen Familie war, bleibt in seinen Erzählungen verborgen. Doch weder die große Schwester, die sich immer wieder an seine Schulter schmiegt - oder vor Lachen wirft - noch die Mutter, die auf dem Sofa daneben sitzt, widersprechen Majed.

Vielmehr ist in jeder flüchtigen Berührung von Salam zu sehen, wie dankbar die "Große" für den Rückhalt - und jeden überdrehten, witzigen Spruch - ihrer Brüder ist. Viel über die eigene Flucht, die Todesangst auf dem überfüllten Boot, mit dem sie in Richtung Lampedusa aufgebrochen sind, gibt Majed letztlich doch nicht preis. Während er die Bilder nicht aus seinen Träumen verbannen kann, scheint er Herr über seine Alltagsgedanken zu sein.
Er schaut kurz verlegen in die Ferne, konzentriert sich dann rasch wieder darauf, seine Nebensitzer zum Schmunzeln zu bringen. In solchen Augenblicken sei er froh und traurig gleichzeitig. "Niemand weiß, was in der Zukunft passiert", erklärt der Teenager ganz erwachsen. Nur den Weg zurück in die Heimat schließen Majed und Salam für sich aus.
 


Traumberuf vor Augen

Er will Architekt werden. Dass er dafür noch viel in seinem Leben lernen muss, ist ihm klar. Aber "Majed" steht im Arabischen ja immerhin auch für "der Tüchtige". Seine Schwester ist noch in der Entscheidungsphase: zwei Jahre Schule, um endlich Chemie studieren zu können - oder doch eine Ausbildung zur Kauffrau?

In diesem Moment steht ihr Bruder abrupt auf. Er schaut, ob sein Vater wach ist, seine Schicht beginne gleich. Majed wird am Abend zum Babysitter für den kleinen Bruder ernannt.

Salam wird währenddessen - mit Unterstützung der beiden Freundinnen - ihre Mutter in den Kreißsaal begleiten. Auch wenn die 19-Jährige vor ihrer nächsten prägenden Erwachsenenaufgabe angespannt wirkt, muss sie sich immerhin keine Sorgen machen, ob ihr Geschwisterchen in Frieden aufwachsen darf.



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Ankommen in Weingartsgreuth - Weihnachten 2013

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