Junger Reporter testet wie er sich als 90-Jähriger fühlt

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Keine Sicht mehr - zum Skifahren nicht geeignet! Reporter Sebastian Martin im Altersselbstversuch. Fotos: Andreas Dorsch
Keine Sicht mehr - zum Skifahren nicht geeignet! Reporter Sebastian Martin im Altersselbstversuch. Fotos: Andreas Dorsch
Beate Wehr führte unseren Reporter Sebastian Martin im Alterssimulationsanzug durch das BRK-Altenpflegeheim in Etzelskirchen.
Beate Wehr führte unseren Reporter Sebastian Martin im Alterssimulationsanzug durch das BRK-Altenpflegeheim in Etzelskirchen.
 
Der dunkle Teppich hat unserem Autor besonders verunsichert. Kaum zu erkennen, wo man hintritt.
Der dunkle Teppich hat unserem Autor besonders verunsichert. Kaum zu erkennen, wo man hintritt.
 
Die beiden Fenster sind verschieden, doch in der Alterssimulation mit einseitiger Netzhautablösung nicht unterscheidbar.
Die beiden Fenster sind verschieden, doch in der Alterssimulation mit einseitiger Netzhautablösung nicht unterscheidbar.
 
Es geht nur mit Hilfe die Treppe hoch.
Es geht nur mit Hilfe die Treppe hoch.
 
Die Verwandlung in einen 90-Jährigen: Beate Wehr legt unserem Reporter die Gewichte an den Knöcheln an, sie simulieren einen schlurfenden Schritt.
Die Verwandlung in einen 90-Jährigen: Beate Wehr legt unserem Reporter die Gewichte  an den Knöcheln an, sie simulieren einen schlurfenden Schritt.
 
Dann werden wie für die Mitarbeiter des Pflegeheims, die in den Anzug schlüpfen, Kraftübungen gemacht.
Dann werden wie für die Mitarbeiter des Pflegeheims, die in den Anzug schlüpfen, Kraftübungen gemacht.
 
Könnte auch einer aus dem Ensemble von der Rockband Rammstein sein: Sebastian Martin mit Diabetischer Brille
Könnte auch einer aus dem Ensemble von der Rockband Rammstein sein: Sebastian Martin mit Diabetischer Brille
 

Unser Reporter hat sich in einen Testanzug gezwängt, der die Gebrechen eines 90-Jährigen simuliert. Er weiß jetzt, wie es sich anfühlt, wenn man die Last eines Lebens mit sich schleppt...

Auf einmal ist man abhängig. Ich bin froh, dass Beate Wehr, die jetzt meinen rechten Arm hält, mir vorher schon einmal begegnet ist, als ich noch 60 Jahre jünger war und normal sehen konnte. Ich weiß, wie sie aussieht und dass ihr Lächeln Vertrauen weckt - sie meint es ehrlich, und das gibt mir Sicherheit. Das Gefühl, das ich brauche, um die Kontrolle abgeben zu können ... In dem Moment hätte ich beinahe die erste Stufe des Treppenhauses im BRK-Altenpflegeheim Etzelskirchen übersehen. Ich wär' vielleicht vornüber die Steintreppe runtergefallen. Kein Wunder: Bei meiner einseitigen Netzhautablösung ...

Ich kann nur schemenhaft meine Umwelt wahrnehmen. Doch statt des drohenden Sturzes fühle ich ein leichtes Anpacken am Arm. "Vorsicht, Stufe", sagt meine Hilfe und Vertrauensperson - bin ich froh, dass sie in dem Moment da ist.


Man vergisst, wie es Älteren geht

Wenige Minuten zuvor, bevor ich die Verwandlung zum 90-Jährigen durchgemacht habe, bin ich den Flur, den ich in meinem hohen Alter unsicher entlang schlurfe, in der Sicherheit meiner 30 Jahre völlig beiläufig eiligen Schrittes entlang gesprintet. Die Zeit drängt im Alltag oft, gerade auch im Pflegebereich, dabei vergisst man, wie es älteren Menschen geht, deren Beweglichkeit und Wahrnehmung eingeschränkt ist.

Deshalb gibt es den Alterssimulationsanzug, in den die Mitarbeiter des BRK-Pflegeheims derzeit schlüpfen können. "Mitarbeiter werden dafür sensibilisiert, wie es sich anfühlt, wenn man alt ist", sagt Wehr, die Qualitätsbeauftragte des Heims ist. Sie lernen dadurch, welche Bedürfnisse alte Menschen haben, die durch ihre körperlichen Einschränkungen entstehen.

Am meisten beeindruckt hat laut Beate Wehr die Mitarbeiter das schlechte Sehvermögen. Mir geht es genauso. Als mein Körper sich nach und nach in den eines 90-Jährigen verwandelt, mir Beate Wehr die mehrere Kilogramm schwere Bleiweste umschnallt und Bandagen an Knien und Ellbogen festklettet, die zusätzlich einschränken, gibt mir die Brille den Rest. Eine kleine Auswahl gefällig? Grauer Star - sieht man gar nichts mehr. Diabetische Retinopathiebrille - Sicht eingeschränkt. Also ein Zwischending: Ich wähle die einseitige Netzhautablösung. Schlimm genug. Eine Skibrille erschwert das scharfe Sehen. Ich erkenne mein Gegenüber nicht mehr.


Nur an der Stimme das Geschlecht erkannt

Beate Wehr könnte jetzt auch ein Mann sein, nur wenn sie etwas sagt, erkenne ich dumpf, dass es sich um eine Frau handelt. Motorisch geht bei mir ansonsten nicht viel - Feinmotorik ist sowieso auch durch die Handschuhe, die ich trage, passé. Dunkler Teppich auf dem Boden verunsichert mich - wenn mir jemand entgegenkommt, sehe ich ihn nicht oder zu spät.

Wenn ich nicht wüsste, dass die graue Gestalt, die vor mir im faden Licht herumhampelt, mein Kollege Andreas Dorsch ist, der Fotos schießt, würde ich ihn für einen Verrückten halten, der mir Böses will. Die einzige Sicherheit in diesem Moment gibt mir Beate Wehr, meine Vertrauensperson. Sie redet mit sanfter Stimme und nimmt sich Zeit.

Das ist wichtig, denn ich bin in meiner eigenen Welt. Die Ohrschützer tun ihr Übriges, Stimmen dringen nur schwer zu mir vor. Bitte lauter reden! Ohnehin: Alles muss langsamer gehen, viel langsamer. Die kiloschweren Bleigurte an meinen Knöcheln bringen mich ins Schwitzen.

Auch wenn die Simulation von jetzt auf nachher geschah, ältere Menschen sich dagegen an ihre körperlichen Gebrechen über die Jahre gewöhnen können, muss ich feststellen, dass sich eine vertraute Umgebung anfühlen kann, als ob man auf dem Mond spaziert - ich war froh, dass mir jemand geholfen hat.