Die Gefahr der sozialen Spaltung

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Manfred Böhm, der Leiter der katholischen Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg, hielt die Festrede.Johanna Blum
Manfred Böhm, der Leiter der katholischen Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg,  hielt die Festrede.Johanna Blum
Gabriele Klaußner (CSU) bei ihrer Ansprache auf dem MarktplatzJohanna Blum
Gabriele Klaußner (CSU) bei ihrer Ansprache auf dem MarktplatzJohanna Blum
 
Die Zahl der Besucher der Maikundgebung blieb angesichts des kühlen Wetters überschaubar.Johanna Blum
Die Zahl der Besucher der Maikundgebung blieb angesichts des kühlen Wetters überschaubar.Johanna Blum
 
Die Stadtkapelle spielte zur Unterhaltung der Besucher auf.Johanna Blum
Die Stadtkapelle  spielte zur Unterhaltung der Besucher auf.Johanna Blum
 
Auch Dekan Kilian Kemmer richtete Grußworte an die Besucher.Johanna Blum
Auch Dekan Kilian Kemmer richtete Grußworte an die Besucher.Johanna Blum
 

Eine menschenwürdigere Arbeitswelt und eine gerechtere Verteilung wurde am Maifeiertag auf dem Höchstadter Marktplatz gefordert.

Mit dem DGB-Lied "Brüder zur Sonne, zur Freiheit", begleitet von der Stadtkapelle Höchstadt (Leitung Georg Römer), die auch die Feier würdig umrahmte, endete die Kundgebung zum 1. Mai auf dem Marktplatz in Höchstadt. Stadtrat Norbert Bechstein (SPD) begrüßte die Gäste, darunter Mitglieder des INA-Betriebsrates, Kreisräte, Stadträte und mehr, die trotz der Kälte den Weg zum Marktplatz gefunden hatten. "Vielfalt, Gerechtigkeit, Solidarität", war das Motto dieser Maikundgebung.
Festredner war Manfred Böhm (Leiter der katholischen Betriebsseelsorge im Erzbistum Bamberg).


"Tag der Ermutigung"

"Der 1. Mai ist ein Tag der Solidarität, der Gerechtigkeit und der Vielfalt, an dem die Arbeiterschaft deutlich macht, dass eine andere, eine menschenwürdigere und gerechtere Arbeitswelt möglich ist! Er ist auch ein Tag der Ermutigung, dass die Macht der anderen und die eigene Ohnmacht nicht gottgegebenes Schicksal sind, sondern durchbrochen und verändert werden können", so der Festredner.

Zwischen der Güterverteilung innerhalb der Gesellschaft und der Lebenserwartung ihrer Mitglieder bestehe ein direkter Zusammenhang, denn je ausgeglichener diese Verteilung sei, desto länger, weil stressfreier, würden die Menschen leben. Heute gebe es in Deutschland skandalös viel Armut bei gleichzeitig enormem Reichtum. "Es gab zu allen Zeiten immer Wohlhabende und sogar sehr Wohlhabende einerseits und Bedürftige andererseits. Der Wohlstandsaufzug fuhr bis Mitte der 1980er Jahre für alle nach oben, wenn auch in unterschiedlichem Tempo, denn die Reichen fuhren schneller aufwärts als die unteren Schichten", so Böhm. Heute hingegen gelte der "Paternosteraufzug": "Die einen sausen in schwindelnde Höhen, während die anderen immer weiter nach unten gebracht werden."


Von Niedriglöhner bezahlt

Die momentane "schwarze Null" des Staates wie auch die Rekordgewinne der Unternehmen würden von den Niedriglöhnern dieser Republik bezahlt. Es gehe - statistisch betrachtet - allen wirtschaftlich gut, was aber noch lange nicht heiße, dass alle etwas davon haben. Dass die soziale Spaltung gefährlich werden könne, sei derzeit am weltweiten Zulauf zu rechtspopulistischen Gruppierungen und Strömungen zu sehen. Von der "postfaktischen" Politik, die weniger auf Tatsachen denn auf Emotionen Wert legt, werde der unerwartete Erfolg dieser populistischen Bewegungen auf der ganzen Welt erklärt - vom Brexit über Donald Trump bis zur AfD.


Gerechtigkeit gegen den Populismus

Die Menschen ließen sich einfach von den leeren Versprechungen blenden, so schimpfe die etablierte Politik. "Das ist aber eine sehr bequeme Erklärung", so Böhm. "Postfaktische, populistische Politik blüht auf dem Mistbeet einer tiefgreifenden gesellschaftlichen Spaltung in arm und reich." Diese Lehre müsse die herrschende Politik ziehen: "Sorgt euch nicht zuallererst um die Dummheit der Menschen, sondern sorgt lieber für gerechte Verhältnisse, um der Verunsicherung und Demütigung der Verunsicherten den Boden zu entziehen und damit den populistischen Versuchungen das Wasser abzugraben!" Eine spürbare Umverteilung müsse die Benachteiligten und vom sozialen Abstieg Bedrohten wieder an die Gerechtigkeit dieses Staatswesens glauben machen. Erst so würden die Populisten mit ihren allzu einfachen Antworten an Boden verlieren.

Wo könne man nun ansetzen, um wieder mehr soziale Gerechtigkeit, mehr Verteilungsgerechtigkeit und somit mehr gesellschaftliche Stabilität herzustellen? Hier sei die Lohnfrage enorm wichtig, bei der es nicht nur um Geld gehe, sondern vor allem um Wertschätzung und menschliche Würde. Von der Kaufkraft her seien wir noch auf dem Niveau der Jahrtausendwende. Heute seien die Gewinn- und Vermögenseinkommen wieder so hoch, dass mit den enormen Überschüssen schon wieder in den weltweiten Casinos des Finanzkapitalismus kräftig gezockt werde.


Mindestlohn allein reicht nicht

Der Mindestlohn (8,84 Euro) war kein Arbeitsplatzvernichter, wie vorhergesagt, so Böhm, er sei aber nicht genug, denn ein Lohn solle alle auch im Alter davor bewahren, in menschenunwürdigen Armutsverhältnissen leben zu müssen. Das sei "eine der beschämendsten Respektlosigkeiten gegenüber den arbeitenden Menschen!" Es gelte die gesetzliche Rentenversicherung wieder zu einem lebensstandardsichernden Baustein unseres Sozialstaats zu machen.

Neben der Lohnfrage seien sichere, unbefristete Arbeitsplätze enorm wichtig. "Menschen, die vom Arbeitsmarkt unter dauerhaften Existenzsicherungsstress gesetzt werden, haben nicht den Kopf frei und leben arbeitsrechtlich von der Hand in den Mund." Hier passe der Satz von Bert Brecht: "Erst kommt nun mal das Fressen, dann die Moral!" Wer keine Lebensperspektive habe, werde auch keine Familie gründen und keine Kinder in die Welt setzen. Also seien sichere und verlässliche Arbeitsplätze eine Voraussetzung dafür, dass dieses Land und seine Menschen eine gute und lebendige Zukunft haben. Böhm zitierte Heribert Prantl (Ressortschef für Innenpolitik bei der Süddeutschen Zeitung): "Sozialstaat und Demokratie gehören zusammen, sie bilden eine Einheit. Wer den Sozialstaat beerdigen will, der muss also ein Doppelgrab bestellen!"

Die Integration der Menschen, die sich aus Elend, Verfolgung und Krieg zu uns geflüchtet haben, ließ der Redner nicht außer acht. "Wir haben ja schon eine jahrhundertelange Erfahrung mit Flüchtlingen und als Christen und als Gewerkschaftler werden wir es niemals hinnehmen, dass es Menschen erster und zweiter Klasse geben soll, dass Menschen anderer Hautfarbe oder anderer Kultur ausgesetzt, diffamiert oder gar attackiert werden." Im Moment ließen sich die damit verbundenen Lasten noch aus Überschüssen begleichen, was aber später? Hier dürften in Zukunft nicht die Armen gegen die Ärmsten ausgespielt werden. Es müsste stattdessen dann die Einnahmenseite des Sozialstaates angehoben werden. d.h. die Reichen und Wohlhabenden dieses Landes müssten entsprechend ihrer Finanzkraft an der Finanzierung beteiligt werden. Vorschläge dazu gebe es genug. "Lassen wir uns also unsere Würde nicht nehmen von jenen, die glauben, alles auf der Welt ist nur eine Frage des Preises!"


"Region geht es gut"

Die Schlagworte Solidarität, Vielfalt und Gerechtigkeit durchzogen auch die Ansprachen der anderen Redner. Gabriele Klaußner (CSU) ging auf spezielle Themen des Landkreises ein. "Wir haben hier nur zwei Prozent Arbeitslose; uns in der Region geht es vergleichweise gut." Höchstadt und der Landkreis hätten aktive Helferkreise, zeige Offenheit und Toleranz. Die Sozialstruktur des Landkreises sei positiv. Auf dem Wohnungsmarkt gebe es noch viel zu tun, genauso bei der Gerechtigkeit für Mann und Frau.

Roland Holler, Betriebsratsvorsitzender der INA, ging auf die aktuelle Lage in seiner Firma ein. Aus zwei Schaefflerwerken sei eins geworden, man sei voll ausgelastet, sogar Leiharbeiter würden übernommen. Erfreut zeigte er sich über den Nachwuchs im Betriebsrat. Eine neue Pforte sei in Planung. Probleme gäbe es noch beim Interessenausgleich, Überstunden, Sonntagsarbeit und zusätzlichen Schichten.

Die beiden Kirchenvertreter, Pfarrer Gottfried Schlee (ev.) und Dekan Kilian Kemmer (kath.), gingen das Thema aus biblischer Sicht an: Man muss solidarisches Miteinander pflegen, fördern und einfordern. Der Schöpfer habe Freude an der Vielfalt und das Ganze gehe nicht ohne Gerechtigkeit, sonst werde die Gesellschaft zerstört. "Wir sind nicht weit davon entfernt", so Schlee. Kemmer sprach von Böhm als "Mann des klaren Wortes", der eigentlich schon alles gesagt habe. Man solle außerdem den 1. Mai so begehen, wie er ursprünglich gedacht sei.

Bürgermeister Gerald Brehm (JL) schloss sich allen Worten der Vorredner an. "In Höchstadt nehmen wir bezahlbaren Wohnungsraum und Grundstücke in Angriff. Solidarität, Rentengerechtigkeit und Vielfalt sind wichtig und ein höherer Mindestlohn sind unumgänglich", sagte Brehm.